Adé Alnatura – tschüss Tegut?
Wie der neue Chef die kriselnde Migros Zürich auf Kurs bringen will

Die grösste Genossenschaft des Konzerns kriselt. Ihr Chef Patrik Pörtig muss sie wieder auf Kurs bringen – doch die Altlasten wiegen schwer.
Publiziert: 26.06.2025 um 17:50 Uhr
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Aktualisiert: 26.06.2025 um 18:29 Uhr
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Patrik Pörtig: Der neue Chef macht mit Lieblingsprojekten seines Vorgängers Schluss. Sie waren oft unrentabel.
Foto: Samuel Trümpy für BILANZ

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Erich Bürgler
Bilanz

Der Basilikumtopf im Gemüseregal des Supermarkts ist für Patrik Pörtig ein verlässlicher Indikator. Vorsichtig hebt der Chef der Migros Zürich die Blätter der empfindlichen Pflänzchen an, um sich ein genaues Bild vom Zustand zu machen. Er nickt anerkennend. «Ein frischer Basilikum zeigt, dass das Personal in der Früchte- und Gemüseabteilung einen guten Job macht», sagt Pörtig, der die grösste Migros-Genossenschaft seit rund einem Jahr leitet. Während er sich mit dem Grünzeug in der Filiale der Flughafengemeinde Kloten zufrieden zeigt, bereiten ihm die roten Geschäftszahlen der Genossenschaft Migros Zürich (GMZ) keine Freude.

Zum vierten Mal in Folge zeigt der Jahresabschluss ein Minus – zuletzt war es ein Rekordverlust von über 100 Millionen Franken. Die deutsche Supermarkttochter Tegut ist ein Sanierungsfall und sorgt für hohe Abschreiber, was das Ergebnis der ganzen Migros-Gruppe belastet. Mit Sven Kispalko hat Pörtig einen Mann der Migros Zürich nach Fulda ins Bundesland Hessen entsandt, der die schwierige Mission hat, die Tegut-Läden bis 2026 aus der Verlustzone zu holen.

Doch auch daheim gibt es einiges aufzuräumen. Die von Bern bis St. Gallen von den Zürchern betriebenen 25 Biomärkte von Alnatura stösst Pörtig ab. «Die Rentabilität der Standorte blieb hinter den Erwartungen zurück», kommentiert er. Das vor vier Jahren als hipper urbaner Treffpunkt angekündigte Gastro-Supermarkt-Konzept Bridge passte ebenfalls nicht mehr ins Portfolio. Dabei wollten die Verantwortlichen seinerzeit damit «die DNA der Migros neu interpretieren» und priesen das Ganze als zukunftsträchtiges Pilotprojekt im Sinne des Migros-Gründers Gottlieb Duttweiler an.

Artikel aus der «Bilanz»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

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Patrik Pörtig will stattdessen lieber auf den eigentlichen Kern des Unternehmens fokussieren: die Supermärkte. In der Region Zürich wirken – wie auch in anderen Genossenschaften – viele Migros-Läden angestaubt, eine Modernisierung ist überfällig. Das Geld floss in der Vergangenheit weniger in die Auffrischung der Standorte als in Abenteuer im Ausland, Experimente wie Bridge oder den Online-Blumenversand Say Flowers, den der neue Zürich-Chef ebenfalls aussortiert hat.

Von Schuhen zum Food

In den Migros-Filialen bleiben Blumen hingegen wichtig. Nicht weil sie Verkaufsrennern wie Bananen Konkurrenz machen. Pörtig spricht vom «Frischebild», das die Kundinnen und Kunden beim Betreten eines Ladens erblicken sollen. Dazu tragen nicht nur Früchte und Gemüse bei. Auch eine farbige Pflanzenpracht im Eingangsbereich spielt eine wichtige Rolle.

Der erste Eindruck zählt: Beim Betreten eines Supermarkts soll frische Ware sofort ins Blickfeld rücken. Am Standort Kloten ist das bereits der Fall.
Foto: Samuel Trümpy für BILANZ

Der Betriebsökonom ist ein Retail-Profi. Doch im Bereich Nahrungsmittel betrat er vor einem Jahr Neuland. Lange beschäftigte sich der 46-Jährige vor allem mit Schuhen. 16 Jahre arbeitete er beim deutschen Familienunternehmen Deichmann respektive bei dessen Schweizer Ablegern Dosenbach und Ochsner Sport. Vom Einkauf über Marketing und Vertrieb bis hin zum E-Commerce durchlief er in seiner Karriere die zentralen Disziplinen des Retail-Business. In der Schweiz schaffte er es beim deutschen Unternehmen ganz nach oben. Mit 38 Jahren übernahm er die Geschäftsleitung von Dosenbach-Ochsner, leitete zwei internationale Formate und berichtete direkt an Heinrich Deichmann. Dieser leitet das Schuhimperium in dritter Generation und war ein Förderer von Pörtig. Unternehmerisches Denken war Pflicht, die Hierarchien flach. In Gesprächen mit Heinrich Deichmann reiche die Themenpalette von Details über das Kinderschuhsortiment bis zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens – da sei Fachwissen auf allen Ebenen gefragt, sagt ein Branchenkenner.

Bei Deichmann war der weitere Weg für Pörtig vorgespurt: neue Aufgaben im internationalen Geschäft mit Basis am Hauptsitz in Essen im Ruhrpott – zahlreiche Geschäftsreisen inklusive. Ein Leben zwischen Koffer und Konferenzraum wäre dem dreifachen Vater sicher gewesen. Er entschied sich anders. Die Migros suchte 2020 jemanden, der die kriselnden Fachmärkte auf Kurs bringt. Herausgelöst als separate Einheit, wollten die Genossenschaften mit der neuen Fachmärkte AG mächtigen Gegenspielern die Stirn bieten. Im Gegensatz zum Kerngeschäft mit Supermärkten war der Grossverteiler im Non-Food-Bereich eher ein Zwerg: Micasa gegen Ikea, SportX gegen Decathlon und Ochsner Sport, M-Electronics gegen die hausinterne Onlinekonkurrenz Digitec Galaxus. Was bewog ihn, sich auf dieses äusserst heikle Unterfangen einzulassen? «Die Aufgabe, die Fachmärkte neu aufzustellen, hat mich gereizt – auch wenn mir die schwierige Ausgangslage bewusst war.»

Chefposten trotz Scheitern

Die Rettungsmission von Pörtig misslang. Vier Jahre hatte er den Chefposten bei den Fachmärkten inne. Zuletzt verramschte die Migros ihre Fachformate an Konkurrenten oder schloss sie. Dass Pörtig danach den Job als Leiter der grössten der zehn Migros-Genossenschaften bekam, sorgte mancherorts für Stirnrunzeln. Migros-Insider überraschte das allerdings nicht. «Pörtig war der Erste, der schonungslos aufgezeigt hat, wie es um die Fachmärkte steht. Er machte klar, wo man wie viel Geld verliert», sagt ein ehemaliges Migros-Kadermitglied. Zuvor schleppte man die Fachmärkte stets mit, subventionierte sie mit dem Kerngeschäft, was dazu führte, dass die Preise in den Migros-Supermärkten stiegen und nicht mehr mit der Konkurrenz mithalten konnten. Angesichts der Marktanteilsverluste im Kerngeschäft und des Investitionsstaus bei der Modernisierung der Filialen war das nicht mehr länger möglich. «Im Nachhinein gesehen, waren die Fachmärkte schon zu weit weg vom Erfolg, um die Kehrtwende zu schaffen», sagt Pörtig heute.

Gemeinsam mit Mario Irminger, dem Chef der Migros-Zentrale, initiierte er das Ende von M-Electronics und Co. Es war die radikalste aller möglichen Varianten. Die Migros-Spitzen waren mit dem Einsatz Pörtigs offenbar zufrieden. Er setzte sich für den Zürich-Job gegen den internen Bewerber und ehemaligen Supermarkt-Chef Matthias Wunderlin durch, der kurz darauf zum Leiter der Migros-Industriebetriebe ernannt wurde.

Im Gespräch mit dem Personal will der Chef die Befindlichkeiten der Belegschaft spüren. Hier in der Küche des Migros-Restaurants im Einkaufscenter Glatt.
Foto: Samuel Trümpy für BILANZ

«Der Mann kann was», sagt ein Migros-Insider über Pörtig. Er mache bei Präsentationen einen überzeugenden Eindruck und verstehe es, seine Leute zu motivieren, sagt ein anderer. Skeptiker bemängeln die fehlende Erfahrung im Food-Geschäft. Pörtig sieht das gelassen und verweist auf universelle Regeln im Retail: «Die grundlegenden Gesetzmässigkeiten im Handel sind dieselben. Wichtig ist das Gespür dafür, was einen guten Laden ausmacht. Aber selbstverständlich bringt das Frischegeschäft andere Herausforderungen mit sich.» Diese Expertise holte er sich aus dem Team: In den vergangenen zwölf Monaten war er viel mit Food-Profis aus dem eigenen Haus unterwegs.

Von ihnen hat er den Trick mit dem Basilikum als Gradmesser für die Produktqualität gelernt, wie er offen einräumt. In der Filiale in Kloten stimmt das Frischebild. Gemüse und Obst sind gleich beim Betreten des Ladens im Blickfeld. Genauso wie ein breites Angebot von Convenience Food, darunter viel Gesundes wie Salate und Protein-Bowls. Das Migros-Restaurant musste für solche Angebote Platz machen. Einige Tische mit Sitzgelegenheiten drinnen und draussen gibt es weiterhin. An zwei Theken können Hungrige über die Mittagszeit frisch gebackene Pizza und jeden Tag wechselnde Menüs holen. Heute stehen Poulet-Cordon-bleu oder Chäs-Chnöpfli auf dem Programm. Auch im Supermarkt gekaufte Ware kann vor Ort verzehrt werden, was bei Schülern beliebt ist.

Gemäss dem neuen schweizweiten Ladenkonzept werden die Abteilungen für Früchte und Gemüse grosszügiger gestaltet.
Foto: Samuel Trümpy für BILANZ

Während das Migros-Angebot auf typisch Schweizerisches setzt, darf es bei Familie Pörtig privat auch mal Fast Food sein. McDonald’s steht bei den Kindern höher im Kurs als die Migros-Restaurants – gegessen wird dort aber nur zu besonderen Anlässen, etwa auf dem Weg in die Ferien oder auf einem Ausflug.

Im eigenen Restaurant-Geschäft sah Pörtig Handlungsbedarf. «Wir haben in der Gastronomie die Organisation deutlich verschlankt.» Damit einher ging ein Stellenabbau im Management. Unrentable Standorte der Kette Hitzberger machten dicht, auch an hoch frequentierten Lagen wie im Zürcher Hauptbahnhof. Am Format hält er fest, genau wie an der auf Thailändisches spezialisierten Kaimug. Expansion steht hier nicht auf dem Plan. In der Gastronomie kocht bisher jede Migros-Genossenschaft ihr eigenes Süppchen – inklusive unterschiedlicher Thai-Formate. Mit Molino sind die Zürcher dagegen schweizweit mit 21 italienischen Restaurants vertreten. Ein oder zwei Standorte könnten jährlich hinzukommen. «Für Molino sehe ich ein moderates Wachstum», so Pörtig vorsichtig.

Vieles ist hausgemacht

Dass die Migros-Restaurants mehr als Schnitzel-Pommes im Retroambiente anbieten, will der Genossenschaftsleiter im Einkaufscenter Glatt zeigen, wo das Restaurant jüngst renoviert wurde. Vom Falafel bis zur Erdbeerschnitte stellen die Mitarbeitenden die Ware vor Ort her. Auch das Schöpfbuffet darf nicht fehlen. Allein dort gehen pro Tag 350 Kilogramm Essen weg.

«Wir müssen schneller, anspruchsvoller und manchmal vielleicht auch wieder ein bisschen frecher werden.»

Im Zentrum von Pörtigs Agenda steht die überfällige Modernisierung der Supermärkte. Doch an diesem Tag geht es nicht in eine der veralteten Filialen, sondern an den Vorzeige-Standort am Zürcher Kreuzplatz, den das Unternehmen vor einigen Jahren umfassend sanierte. Filialleiter Agron Zahiri hat den Laden mit seinem Team herausgeputzt. Die Chips-Packungen thronen ordentlich gestapelt in einem grossen, geflochtenen Korb – fast schon wie eine Schaufensterinstallation. Patrik Pörtig lobt die schönen Erdbeeren in der Auslage. Zahiri hat schon seine Lehre bei der Migros gemacht und arbeitet seit 27 Jahren im Unternehmen. Pörtig und Zahiri bestehen darauf, dem Besuch trotz engem Zeitplan die Fleischabteilung zu zeigen. Im begehbaren Kühlraum lagert reichlich Nachschub – besonders dann, wenn sonniges Grillwetter angesagt ist. Zum Abschied wünscht Pörtig dem Filialleiter noch viel Erfolg für die anstehende berufliche Weiterbildung, die er mit einer Fachprüfung in der kommenden Woche abschliesst. «Unsere Leute auf der Fläche in den Supermärkten machen einen Superjob», sagt Pörtig. Gerade sie sind es, die von Kunden öfter auf den mit Entlassungen verbundenen Umbau im Konzern angesprochen werden. In der Administration der Migros Zürich sieht der Chef noch Luft nach oben. «Mir geht es mehr darum, dass man bei uns in der Zentrale die Dinge unkomplizierter macht und schlanker wird.» Für ihn braucht es etwas mehr Biss, und das fordert er bei seinen Leuten ein. «Wir müssen schneller, anspruchsvoller und manchmal vielleicht auch wieder ein bisschen frecher werden.»

Dementsprechend folgen der Umbau der Filialen und die Eröffnung neuer Standorte einem straffen Zeitplan. «Bis 2030 werden wir rund 50 Filialen umbauen. Die meisten müssen wir dafür kurzzeitig schliessen.» Zudem sollen in diesem Zeitraum bis zu 40 neue Filialen zu den bestehenden 110 Migros-Supermärkten hinzukommen. Für 14 hat man bereits Verträge unterschrieben. Die zusätzlichen und die renovierten Standorte werden gemäss dem neuen Ladenkonzept gestaltet. Mehr Platz fürs Frischesortiment sowie Sandwiches und anderes zum Schnellverzehr beim Eingang mit direkter Abkürzung zur Kasse ist Teil davon. Das klingt nicht nach revolutionären Neuerungen. Das soll es auch nicht sein. Die Kundschaft mag es nicht, wenn sie ihre Lieblingsprodukte zusammensuchen muss. Doch endlich liegt ein einheitlicher schweizweiter Erneuerungsplan vor, den die Anfang 2024 gegründete Supermarkt AG angestossen hat. Tonangebend sind dort Peter Diethelm, der die zentrale Einheit operativ führt, und Präsident Guido Rast. Beide bezeichnet Pörtig als wichtige Sparringspartner, genau wie Migros-Chef Mario Irminger. Der lobt den Verantwortlichen des Sorgenkinds unter den Migros-Genossenschaften. «Ich finde, er macht einen sehr guten Job. Er geht mit sehr viel Drive an die Sache ran», so Irminger.

Hohe Verluste 2025?

Die Migros wird in Zürich und dem Rest der Schweiz wegen der neuen Strategie zunächst Federn lassen. «Durch die Tiefpreisstrategie und den Umbau von Filialen werden wir beim Umsatz erst einmal Marktanteile verlieren», sagt Pörtig. «Dafür werden wir deutlich an Mengen gewinnen.» Die zusätzlichen Volumen werden den Preissenkungseffekt vorerst nicht wettmachen. Innerhalb der Migros rechnet man mit zwei bis drei Jahren mit schrumpfendem Marktanteil. Konkurrent Coop ist in Sachen Filialerneuerung meilenweit voraus. Die Basler begannen bereits 2017 mit dem Umbau des gesamten Filialnetzes und können nun mit einem modernen Auftritt bei den Kundinnen und Kunden punkten.

Die Tochter Tegut versucht Pörtig bis 2026 aufzupäppeln.
Foto: imago/Rüdiger Wölk

Derweil prägt bei der Migros Zürich vorerst weiterhin die von Pörtigs Vorgänger Jörg Blunschi gekaufte Deutschland-Tochter Tegut die Geschäftsaussichten. Droht wegen der Probleme im Ausland auch fürs laufende Jahr wieder ein grosser Verlust? «Das operative Ergebnis der GMZ-Gruppe wird besser ausfallen. In welchem Ausmass sich die anhaltende Transformation in den Ergebnissen niederschlagen wird, wird sich zeigen», sagt Pörtig. Ein entscheidender Punkt: die Bewertung von Tegut. «Ein wichtiger Faktor bei Tegut ist die Beurteilung der Werthaltigkeit in Zusammenarbeit mit der Prüfgesellschaft. Die Beurteilung findet jährlich statt.» Der Impairment-Test wird zum finanziellen Stresstest – denn je nach Ergebnis könnte es zu weiteren Abschreibungen kommen.

Tegut steht noch mit rund 400 Millionen Franken in den Büchern der Migros Zürich. Die Sanierung läuft, doch Entwarnung gibt es keine: «Mit der Restrukturierung von Tegut sind wir auf Kurs. Doch Deutschland ist ein brutaler Markt. Es bleibt anspruchsvoll», so Pörtig. Für Alnatura, eines der Lieblingsprojekte von Blunschi, wurden wegen der Abtrennung bereits Rückstellungen gebildet. Doch das Risiko weiterer Belastungen für 2025 ist dort ebenfalls nicht gebannt.

Das Sorgenkind Alnatura stösst Pörtig ab.
Foto: keystone-sda.ch

Bezüglich der Ära des Vorgängers mag Pörtig trotz teurer Fehlgriffe nur verhaltene Kritik üben. «Man hat sich in der Vergangenheit etwas verzettelt und hat versucht, durch Diversifikation neue Einkommensquellen zu erschliessen.» Nicht alles lief schief. Die Bündelung der schweizweit betriebenen Activ Fitness und Fitnesspark unter dem Dach der GMZ funktioniert. Das Geschäft entwickelt sich laut Pörtig «sehr erfreulich» und soll rasch wachsen. «Derzeit sind es 140 Standorte. Ich sehe Potenzial für 200.»

Ruhe trotz Turbulenzen

Trotz diverser Altlasten blickt Pörtig zuversichtlich nach vorn. «Ich schlafe ruhig. Wir haben einen klaren Plan und setzen ihn Schritt für Schritt um.» Schnelle Entscheidungen über das künftige Portfolio waren ihm wichtig. Beim Rundgang durch die Zürcher Migros-Filialen und das Verteilzentrum für Frischware wirkt er locker – sein lautes, herzhaftes Lachen hat er jedenfalls nicht verlernt. Auch an Medienanlässen gibt sich Pörtig offen und direkt, verteilt Visitenkarten mit seiner Mobilnummer – und ruft Journalistinnen und Journalisten bei Bedarf selbst an. So meldete er sich beim Autor dieses Beitrags eine Stunde vor dem vereinbarten Treffen in Kloten. Kein Rückzieher, wie kurz befürchtet – nur ein kurzer Anruf, um zu sagen, dass er sich auf das Gespräch freue. Ob aus Höflichkeit oder als kleiner psychologischer Test: unklar.

Psychologisches Geschick und Menschenkenntnis braucht es jedenfalls im Konstrukt Migros mit seiner komplexen Struktur und den verschlungenen Entscheidungswegen: Zehn Genossenschaften und zwei zentrale Einheiten – die Supermarkt AG und der Migros-Genossenschafts-Bund – reden mit. Wer sich bei Migros durchsetzen will, braucht nicht nur Ideen, sondern auch Geduld. Laut Pörtig bewegt sich aber etwas im System des orangen Riesen. «In vielen Schlüsselpositionen der Migros-Gruppe gab es in den letzten Jahren personelle Wechsel. Man spürt das und arbeitet gemeinsam an Lösungen.»

Pörtig wird daran gemessen werden, wie erfolgreich er die Migros Zürich aus der Krise manövriert. Er muss sie gesundschrumpfen und gleichzeitig im Kerngeschäft die Expansion vorantreiben. Dass Tegut in einigen Jahren noch zum Portfolio gehört, ist unwahrscheinlich. Unabhängig davon, ob das gesetzte Ziel erreicht wird, bis 2026 mit der Deutschland-Tochter eine schwarze Null zu schreiben. Ohne Tegut und Alnatura wird die GMZ den Titel als grösste Migros-Genossenschaft – ein Label, auf das Jörg Blunschi jeweils grossen Wert legte – an die Kolleginnen und Kollegen der Migros Aare abgeben müssen. In einigen Jahren wird dann aber ohnehin der Posten des heute 60-jährigen Migros-Chefs Mario Irminger frei. Gelingt Pörtig die Frischekur in Zürich, könnte er sich als Kandidat für dessen Nachfolge empfehlen.

Mario Irminger, Chef der Migros-Zentrale MGB.
Foto: Keystone

Ein politischer Betrieb

Dass der nächste Migros-Chef aus dem eigenen Kosmos kommt, gilt als sicher. Gleichzeitig sind Personalentscheide bei der Migros selten vorhersehbar. Pörtigs Vorgänger Blunschi hatte einst Ambitionen – und verlor als klarer Favorit knapp gegen den wenig bekannten Kandidaten aus Neuenburg, Fabrice Zumbrunnen. Eine launige Bewerbungsrede Blunschis habe ihn im letzten Moment Stimmen gekostet, sagen Insider.

Mehr noch als in anderen grossen Konzernen spielen bei der Migros interne Allianzen und Seilschaften eine wichtige Rolle. Es zählt nicht nur Leistung, Loyalitäten entscheiden oft mit. Pörtig lässt durchblicken, dass er mit solcher Taktiererei generell wenig anfangen kann. Auf die Frage, wie politisch geprägt die Unternehmenskultur der Migros sei, sagt er: «Ich bin kein Politiker, ich bin Retailer.»

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