Darum gehts
- Bine Norcic übernimmt Schweizer Skisprungteam um Simon Ammann
- Finanzielle Probleme und Anzugskandal prägten seine Zeit in Norwegen
- Todesfall und Sturz beendeten seine Skisprung-Karriere vorzeitig
Eigentlich sollte sich Bine Norcic (44) an der Skisprung-WM in Trondheim (NOR) nur um einige organisatorische Dinge kümmern. Doch plötzlich steckte er mitten im grössten Wintersport-Skandal der jüngeren Geschichte. Nachdem die Anzug-Manipulation der Norweger aufflog, übernahm Norcic die Führung des Nationalteams und schmiss nach drei Tagen bereits wieder hin.
So wurde es zumindest berichtet. Doch nun stellt der Slowene klar: «Das stimmt nicht. Ich habe nie zugesagt. Diese Episode zeigt, was für ein riesiges Chaos herrschte.» Neun Monate sind seither vergangen. Norcic steht unterhalb der Skisprungschanze in Einsiedeln SZ.
Für die Olympia-Saison und darüber hinaus holten ihn die Verantwortlichen von Swiss Ski in die Schweiz. Er soll Simon Ammann und Co. zurück an die Weltspitze führen. Bevor Norcic über seine Pläne spricht, blickt er noch einmal auf seine turbulenten letzten Monate bei den Norwegern zurück.
Grosse finanzielle Probleme
Als Trainer der B-Gruppe war er vor allem im zweitklassigen Continental Cup unterwegs. Dort kämpfte Norcic mit finanziellen Problemen. Teilweise konnten sich seine besten Springer die Flüge nicht leisten. «Ich musste die mitnehmen, die am meisten Geld hatten. Das tat mir brutal weh.» Um die Kosten möglichst tief zu halten, nahm er einige Springer bei sich zu Hause in Slowenien auf.
Damit sie zwischen zwei Wettkämpfen nicht nach Norwegen zurückfliegen mussten. «Meine Frau kochte für sie. Mit einem Bus fuhren wir zur nächstgelegenen Schanze und absolvierten ein kleines Trainingslager.»
Die finanziellen Sorgen seiner Athleten setzen Norcic zu. «Ich dachte dauernd daran, wo ich noch ein günstigeres Hotel oder einen billigen Flug finden könnte. Dadurch schlief ich sehr schlecht.»
Spezielles Telefonat vor dem Abflug
Angeschlagen reiste der zweifache Familienvater an die WM nach Trondheim. Dort erfuhr er wie alle anderen über die sozialen Medien vom Anzugskandal. «Als ich das Video zum ersten Mal sah, konnte ich es nicht glauben. Es war ein riesiger Schock. Ich wusste nichts davon. Obwohl ich sehr viel mitbekommen habe.»
Weil Norcic an einer Grippe litt, flog er kurz darauf in seine Heimat zurück. Auf dem Weg zum Flughafen erreichte ihn der Anruf eines Journalisten, der wissen wollte, was er zu seinem neuen Job sagt. «Ich hatte keine Ahnung, wovon er spricht. Dann erklärte er mir, dass die Verantwortlichen an einer Pressekonferenz mich als Nachfolger verkündeten.»
Norcic lehnte das Angebot ab und bot sogar seinen sofortigen Rücktritt als Trainer an. «Ich wollte nicht Teil dieses Chaos sein.» Letztlich liessen die Verantwortlichen ihn seine Arbeit im Nachwuchsbereich bis zum Saisonende fortsetzen.
Todesfall und Sturz setzen ihm zu
Da Norcics Name im Zusammenhang mit dem Skandal fiel, wurde er immer wieder darauf angesprochen. «Ich spürte ein Misstrauen. Das tat weh.» Auch sein Team im Continental Cup musste sich böse Blicke gefallen lassen. «Wir kamen uns teilweise vor wie Aliens. Alle schauten uns komisch an.»
Der Anruf aus der Schweiz kam für Norcic deshalb zum richtigen Zeitpunkt. Auch wenn ihm seine Schützlinge ans Herz gewachsen sind. Hierzulande traf Norcic auf einen alten Bekannten. Gegen Ammann sprang er selbst noch. Dass seine Karriere bereits im Alter von 22 Jahren zu Ende ging, ist eng mit einem Schicksalsschlag verbunden.
Sein Vater starb an Krebs. «Er war mein erster Trainer, wir hatten eine sehr tolle Beziehung.» Zur gleichen Zeit zog sich Norcic bei einem Sturz eine schwere Rückenverletzung zu. «Ich war mental und körperlich nicht mehr bereit, weiter über die Schanzen zu fliegen. Zudem musste ich unbedingt Geld nach Hause bringen.» Deshalb begann er seine Trainerkarriere, die ihn unter anderem in die Türkei und in die USA führte.
Lob für Olympiasieger Ammann
Sein Beginn in der Schweiz bewertet er als sehr positiv. «Das Team ist super motiviert», erzählt er in gutem Hochdeutsch. Erste kleine Anpassungen hat er bereits vorgenommen. «Einige waren in der Vergangenheit am Schanzentisch zu aggressiv.» Als grossen Spass bezeichnet er die Zusammenarbeit mit Ammann. «Ihn zurück auf ein stabiles Niveau zu bringen, ist für mich eine riesige Motivation.»
Der Weg stimmt. «Simon macht Fortschritte. Er wirkt auf mich sehr motiviert und fokussiert.» Ob sich die Arbeit von Norcic bereits auszahlt, wird sich am ersten Weltcup-Wochenende Ende November zeigen – das ausgerechnet in Norwegen stattfindet.