Sportidol Boris Becker über seine Zeit im Knast – und die Lehren daraus
«Ich hatte zweimal Todesangst»

Vom Tennishimmel in die Gefängnishölle: Die deutsche Ikone Boris Becker spricht im Interview über seine dunkelsten Stunden, wie Schach ihn vor den «harten Jungs» rettete – und die Herzlichkeit der Familie Federer.
Publiziert: 02:56 Uhr
|
Aktualisiert: 10:36 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/8
«Ich war immer ein Grenzgänger»: Sportidol Boris Becker.
Foto: Domenik Broich für SonntagsBlick

Dienstagmittag in einem Nobelhotel in Düsseldorf (D), direkt am Rheinufer. Boris Becker (57) erscheint pünktlich – und allein. Er lächelt, lässt einen festen Händedruck folgen und macht einen Vorschlag. «Lasst uns erst einen Espresso an der Hotelbar trinken, damit wir uns ein bisschen besser kennenlernen.» Dann gehts rüber ins Riva, zu seinem Lieblingsitaliener, «wo Michele sicher ein gutes Plätzchen für uns hat». Auf dem kurzen Weg über die Brücke wird Becker immer wieder erkannt und angesprochen, Passanten schiessen Fotos. Der frühere Tennis-Weltstar zeigt sich entspannt. Trotz seines unglaublich bewegten Lebens. Er wirkt nahbar. Und unkompliziert. Für Blick nimmt er sich zweieinhalb Stunden Zeit. Becker schuftet wie ein Tier. Er weilt in Deutschland, weil er gerade Nacht für Nacht für Sporteurope.tv die US Open kommentiert. Um vier Uhr geht er ins Bett. Und diesen Nachmittag nimmt er seinen Podcast mit Andrea Petkovic (37) auf. Erst kommende Woche kehrt er nach Hause nach Mailand zurück, wo er mit seiner Frau Lilian de Carvalho Monteiro (35) lebt. 

Im Riva herrscht lockere Atmosphäre. Becker will «Fakten schaffen». Er spricht über die schwierigste Zeit seines Lebens – und das daraus entstandene Buch («Boris Becker Inside – Gewinnen, Verlieren, Neu beginnen»), das am Mittwoch erscheint. Zum Essen bestellt der Wahlitaliener aber keine Pasta, sondern das Tagesmenü: Zürcher Geschnetzeltes. 

Herr Becker, Sie sassen 2022 siebeneinhalb Monate in England im Gefängnis. Das war vor bald drei Jahren. Wieso bringen Sie jetzt ein Buch darüber heraus?
Boris Becker: Weil ich die letzten Jahre Erfahrungen gemacht habe, die ich meinem schlimmsten Feind nicht wünsche. Und weil ich auf eigene Fehler hinweisen kann, die ein jüngerer Sportler nicht machen muss. Ich habe gemerkt, dass erfolgreiche Sportler nach ihrer aktiven Karriere oft Probleme bekommen. Private, berufliche, wirtschaftliche. Und das hat einen Grund. Warum ist ein Boris Becker auf die schiefe Bahn geraten? Warum hat Becker diese Fehler gemacht? Und was hat er daraus gelernt? Dazu kommt, dass leider auch viel Mist erzählt wird. Also Dinge, die faktisch falsch sind.

Das können Sie jetzt korrigieren.
Es nervt, wenn fremde Leute etwas behaupten, was einfach nicht stimmt.

Sie fühlen sich missverstanden?
Ich werde auf der falschen Grundlage beurteilt. 

Bleiben wir zunächst bei den erwähnten Erfahrungen, die Sie Ihrem schlimmsten Feind nicht wünschen würden. Hilft Ihnen das Buch, diese zu verarbeiten?
Sich während über eines Jahrs mit einem Ghostwriter hinzusetzen und aufzurollen, was denn in den letzten 15 Jahren alles passiert ist, heilt die Seele. Das ist eine Art Gesprächstherapie, um das Ganze besser zu verstehen und daraus zu lernen. Deswegen war es wohltuend, dies rasch nach meiner Entlassung zu tun. Um sofort den Finger in die Wunde zu stecken.

Entstand die Buchidee schon im Gefängnis?
Ich habe Tagebuch geführt. Weil ich das sowieso immer mal wieder mache und weil man auch sehr viel Zeit hat in der Zelle. Und man will ja auch den eigenen Geist nicht unterfordern. Ich habe viel aus meinem Leben gelernt. Wir alle haben Probleme mit der Frau, mit den Kindern, mit dem Geschäft, mit dem Chef und so weiter, mit der Welt. Wir haben alle die gleichen Probleme. Nur: Bei mir sind sie bekannt, bei Ihnen nicht.

Boris Becker

Boris Becker, geboren 1967 in Leimen (D), ist bis heute der erfolgreichste Tennisspieler, den Deutschland je gesehen hat. Mit 17 gewann er erstmals in Wimbledon – und stieg daraufhin zum Weltstar auf. Fünf weitere Grand-Slam-Siege liess der frühere Weltranglistenerste ebenso folgen wie Olympiagold im Doppel, drei ATP-Weltmeistertitel und zwei Davis-Cup-Erfolge. Becker war zweimal Europas Sportler des Jahres und wurde 2003 in die International Tennis Hall of Fame aufgenommen. Als Trainer führte er Novak Djokovic zwischen 2013 und 2016 zu sechs Grand-Slam-Titeln. Zur Lebensgeschichte von «Bobele» gehören auch zahlreiche Boulevard-Schlagzeilen: die berühmte Besenkammeraffäre, eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung im Jahr 2002 (auf Bewährung) und seine siebeneinhalb Monate im Gefängis im Jahr 2022. Im Dezember erwarten seine Frau Lilian de Carvalho Monteiro (35) und er den ersten gemeinsamen Nachwuchs. Es ist das fünfte Kind für Becker. Das Paar lebt im Stadtzentrum von Mailand.

Boris Becker, geboren 1967 in Leimen (D), ist bis heute der erfolgreichste Tennisspieler, den Deutschland je gesehen hat. Mit 17 gewann er erstmals in Wimbledon – und stieg daraufhin zum Weltstar auf. Fünf weitere Grand-Slam-Siege liess der frühere Weltranglistenerste ebenso folgen wie Olympiagold im Doppel, drei ATP-Weltmeistertitel und zwei Davis-Cup-Erfolge. Becker war zweimal Europas Sportler des Jahres und wurde 2003 in die International Tennis Hall of Fame aufgenommen. Als Trainer führte er Novak Djokovic zwischen 2013 und 2016 zu sechs Grand-Slam-Titeln. Zur Lebensgeschichte von «Bobele» gehören auch zahlreiche Boulevard-Schlagzeilen: die berühmte Besenkammeraffäre, eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung im Jahr 2002 (auf Bewährung) und seine siebeneinhalb Monate im Gefängis im Jahr 2022. Im Dezember erwarten seine Frau Lilian de Carvalho Monteiro (35) und er den ersten gemeinsamen Nachwuchs. Es ist das fünfte Kind für Becker. Das Paar lebt im Stadtzentrum von Mailand.

Was war die grössere Qual: Ihre Zeit im Gefängnis oder die Insolvenz, also das Wissen, finanziell bei null zu stehen?
Stimmt denn, was Sie jetzt behaupten?

Sie spielen auf die Insolvenz an?
Genau. Dazu aber später mehr. Das Schlimmste ist, nicht zu wissen, ob einem die Freiheit genommen wird oder nicht. Am 8. April 2022 wurde verkündet, dass ich in vier Punkten schuldig bin. Dann dauerte es 21 Tage, bis das Urteil kam. Diese 21 Tage waren die Hölle.

Dann kam der Hammer: die Gefängnisstrafe. Wie war das?
Das geht dann ganz schnell. Dieser 29. April 2022 war auch noch der Geburtstag meiner Frau. Da bin ich frühmorgens raus und habe ihr ein paar Blumen gekauft, wir haben dann zusammen meinen Sohn abgeholt. Dann lautet die Frage: Bewährung – und wir gehen wieder nach Hause? Oder Gefängnis? In England wirst du nach dem Urteil sofort in eine Auffangzelle im Keller des Gerichtsgebäudes gebracht. Das heisst, du hast gar keine Zeit mehr, dich zu verabschieden oder zu trauern. Du wirst direkt abgeführt. Und bist sofort in einer anderen Welt. 

Was prägte Ihre Zeit hinter Gittern?
Das Gefängnis – und ich kann jetzt nur von englischen Gefängnissen sprechen – ist ein extrem gefährlicher Ort. Man ist nicht sicher. Menschen sterben dort. Sei es durch Selbstmord, wegen anderer Menschen oder du wirst einfach nur schwer verletzt. Da gibt es eine Dunkelziffer, die willst du nicht wissen. Die ganze Zeit war ein permanenter Überlebenskampf.

Also brauchten Sie eine Strategie?
Ein Gefängnis wird in der Regel von den Gefangenen geführt, nicht von den Wärtern. Ich nannte sie für mich «die starken Jungs». Im HMP (His Majesty Prison, d. Red.) Wandsworth gibt es 2000 Gefangene und 70 Wärter. 

Dann wussten Sie: Ich muss mich mit den «starken Jungs» gut stellen.
Als Tennisspieler war ich immer gut unter Druck und kann mit Stress umgehen! Aber wie gewinnt man diese Leute? Und wer ist an der Macht? Wer ist es in Wandsworth, wer in Huntercombe, wohin ich später verlegt wurde? Das hat in beiden Gefängnissen jeweils eine Woche gedauert. Man trifft sich in der Kantine zum Essen und sieht sofort, wer der Anführer ist, wer gefährlich aussieht, welche Gruppe miteinander abhängt – und mit wem die Wärter mehr reden. 

War Ihre Prominenz Vor- oder Nachteil?
Denen war es egal, dass ich Tennisspieler war. Das spielte keine Rolle. Ich wurde als gross gewachsener, weisser Deutscher wahrgenommen. Als Star wurde ich nicht wirklich erkannt. In beiden Gefängnissen, in denen ich war, gibt es jede Religion, jede Hautfarbe und jede Körpergrösse. Dass ich weisser Deutscher war, war jetzt kein Vor- oder Nachteil, sondern eine bestimmte Gruppe hat sich meiner dann einfach angenommen. 

Sie wurden auch bedroht. Jemand wollte an Ihr Geld. Hatten Sie Angst um Ihr Leben?
Ich hatte zweimal Todesangst. Einmal in Wandsworth, einmal in Huntercombe. Es heisst, dass Menschen besonders reagieren, wenn sie Todesangst haben. Dann können sie drei Meter höher springen als sonst. Das erlebte ich zweimal. Aber ich bin grundsätzlich nicht der ängstliche Typ. Sonst hätte ich mein Leben anders gestaltet. Ich war immer ein Grenzgänger. Angst habe ich eigentlich nur um meine Kinder. Und um meine Frau.

Sie wurden in der Haft sofort als High-Risk-Gefangener eingestuft.
Genau, weil der Gefängnisdirektor meine Geschichte kannte und befürchtete, dass andere Insassen das ausnutzen könnten. Meine erste Frage war, ob ich eine Einzelzelle bekommen würde. Das wurde mit Ja beantwortet. Er erklärte mir, er wolle nicht, dass mich mein Zimmergenosse nachts bedrohe oder mir mit dem Teekocher heisses Wasser übers Bein schütte, damit ich tue, was er sage.

Wie muss man sich die Hierarchien hinter Gittern vorstellen? Werden gewisse Insassen intern geächtet?
Wer im Gefängnis keine gute Zeit hat, sind Kinderschänder. Die werden fast wöchentlich verprügelt.

Wurden Sie Zeuge von solcher Gewalt?
Da war einer, der hat sich an einem 14-jährigen Mädchen vergangen. Der schlief immer unruhig in seiner Zelle. Wann immer es die Möglichkeit gab, sind da ein paar hin und haben ihm die eine oder andere Ohrfeige verpasst. Und die Wärter haben weggeguckt. Das Gefängnis hat seine eigenen Gesetze. Es ist eine brutale Welt. Nachts ist es okay. Man hört manchmal Schreie und andere Dinge, doch die Türen sind zu. Wenn diese dann wieder offen sind, kann alles passieren.

Wie kam es dazu, dass Sie anderen Häftlingen Unterricht gaben?
Das Geheimnis im Gefängnis ist, dass du so schnell wie möglich arbeitest. Erstens, um die Zeit zu vertreiben. Und zweitens, um Geld zu verdienen. Ohne Arbeit bekommst du 15 Pfund pro Woche, mit denen du deine Telefonate und die Verpflegung bezahlen musst. Damit kommst du aber nicht weit. Wenn du mal einen Apfel, Kaffee, Schokolade oder eine Diet Coke willst, musst du also was tun.

Wie funktioniert das?
Wenn du arbeitest, kannst du dir mehr leisten. Es gab ungefähr 1,50 Pfund pro Job am Tag. Ich habe geschaut, dass ich zwei Jobs bekam. Ich unterrichtete Englisch und Mathematik-Grundlagen, weil ich mich da auskenne – im Vergleich zu den meisten dort. Viele konnten weder gut lesen noch schreiben. Im zweiten Gefängnis war ich Sportlehrer und dann auch noch Stoizismuslehrer …

Die antike griechische Philosophie …
Das Höchste, was ich mit meiner Arbeit erreicht habe, waren 35 Pfund in der Woche. Damit kann man gut leben hinter Gittern. Und es gab auch einen Schachklub. Ich gehörte mit zu den Besten! Nach ein paar Wochen hat dann eine bestimmte Gruppe gemerkt, dass ich im Kopf wohl ganz ordentlich funktioniere. Also wurde ich für die schweren Jungs zum Vermittler. Ich habe in ihrem Namen mit der Gefängnisführung gesprochen, habe deren Briefe gelesen und für sie beantwortet. Und so bekam ich eine ganz wichtige Rolle. Und den nötigen Schutz.

Pflegen Sie noch Kontakte ins Gefängnis?
Man hat mir geraten, das nicht zu forcieren. Ich hatte es ja mit echten Verbrechern zu tun. Nicht mit Gaunern, die im Kiosk was mitgehen liessen, sondern mit Mördern, Kinderschändern, schweren Drogenhändlern, Menschenhändlern, die schlimmste Sorte. Man riet mir, in der Freiheit so gut wie keinen Kontakt zu pflegen. Dennoch habe ich zu ein, zwei Mithäftlingen nach wie vor einen Draht.

Sie haben gesagt, es gebe einen Grund, warum Ihre Geschichte diesen Verlauf annahm. Wie lautet die Antwort?
Ein wichtiger Punkt ist, dass sehr erfolgreiche Sportler – ich war ja ein sogenanntes Wunderkind – so gut betreut werden, dass das eigene Denken fast hinderlich ist. Und dass der junge, erfolgreiche Sportler oder Musiker nur noch auftreten muss. Alles andere wird ihm abgenommen. Man ist sozusagen fremdbestimmt. Mein Job war es, Tennisturniere zu gewinnen, Nummer 1 zu werden. Was dann mit dem wirtschaftlichen Erfolg passiert, überlässt man anderen. Und wenn es um Millionen geht, zieht das unglaublich viele Helfer und Experten an, die ihre Kommission wollen. Dann kann man sehr schnell den Überblick verlieren. Ich hatte meine wirtschaftlichen Berater, meinen Manager, meine Agenten, meine Steuerberater. Und die haben natürlich erst mal auf sich geschaut. Und dann auf mich.

Sie hatten Rundumbetreuung auf dem Tenniscourt, aber Sie haben das Leben nicht gelernt?
Die eigene Familie schafft das normalerweise nicht allein, man braucht professionelle Hilfe. Roger Federer hatte grosses Glück. Seine Eltern und seine Frau waren von Anfang an so in der Materie drin, dass er damit sozusagen ein Netz und einen doppelten Boden hatte. Er wusste: Die passen auf mich auf …

Wie erleben Sie Federers Familie?
Das sind ganz feine Menschen. Am Laver Cup in Berlin letztes Jahr haben sich seine Eltern und seine Frau so liebevoll um meine Frau gekümmert, die ja nicht vernetzt ist in der Tennisfamilie. Das müssten sie nicht machen – aber sie machten es. Das vergesse ich ihnen nie.

Sie hatten diesen familiären Schutz in der Tenniswelt nicht?
Mein Vater war Architekt, und meine Mutter hat sein Büro damals geleitet. Während meiner aktiven Zeit hatten wir mit Ion Tiriac einen erfahrenen Manager an der Seite. Meine Probleme kamen erst in meiner zweiten Karriere nach dem Tennissport. Ich habe den falschen Personen vertraut!

Machen Sie sich selbst Vorwürfe?
Im Nachhinein ist man immer schlauer. Heute würde ich ganz andere Entscheidungen treffen. Ich habe mir gemeinsam mit meiner Frau ein komplett neues Umfeld aufgebaut, und wir arbeiten sehr intensiv.

Als wir vorhin über die Brücke gegangen sind, blieben die Leute stehen, haben Sie angesprochen, Fotos gemacht. Sie sind ein Teil Deutschlands. Sie sind auch ein Stolz dieser Nation. Fühlen Sie sich von Ihrem Land missverstanden?
Ich würde unterscheiden zwischen Kritikern und dem normalen deutschen Fan, der mich nach wie vor respektiert, vielleicht auch auf eine ganz bestimmte Weise liebt. Heute genauso wie vor 40 Jahren. Das hat eher zugenommen, weil ich jetzt mittlerweile menschliche Züge habe. Als Wunderkind hat man keine menschlichen Züge.

Die ganze Welt erlebte Ihre Hochs und Tiefs mit.
Als 17-jähriges Wunderkind habe ich meine Anonymität für immer verloren. Gerade mein Privatleben hat den medialen Boulevard sehr interessiert, weil es natürlich auch sehr farbenfroh gelaufen ist.

Sie sagten in Ihrem ersten Interview nach der Freilassung bei Sat1: «Ich gebe niemandem die Schuld. Ich bin für meine Entscheidungen selbst verantwortlich. Wenn man sich als Opfer fühlt, kommt man nie wieder raus.»
Das hat faktische und philosophische Gründe. In Berufung gehen konnte ich nicht, weil man das in England nur kann, wenn es bei der Urteilsbegründung einen technischen Fehler gab. Den gabs nicht. Also musste ich das Urteil akzeptieren. Der philosophische Grund ist, dass ich die Vergangenheit ohnehin nicht ändern kann. Je schneller man das kapiert, desto schneller schafft man es, die Gegenwart zu meistern. Das ist ganz, ganz wichtig. Denn die ersten Wochen bist du über 20 Stunden allein in der Zelle. Wenn du an der Vergangenheit rumnagst, drehst du durch. Diese Lehre blieb mir. Und der liebe Gott hat seine eigenen Pläne für uns.

Es gibt viele, die in Extremsituationen religiös werden. Sie auch?
Ich wurde christlich erzogen, war sogar Messdiener. Gott hat für mich immer eine Rolle gespielt. Leider aber immer nur in Krisen. So auch im Gefängnis. Es gab jeweils am Sonntagvormittag eine Art Gottesdienst, den ich besuchte. Man geht als Gruppe hin, betet zwei Stunden lang, liest aus der Bibel vor und versucht etwas Sinn zu geben, was keinen Sinn macht. Das habe ich beibehalten. Ich drehe fast jeden Tag eine Runde um den Mailänder Dom, in der Nähe unserer Wohnung. Im Dom spreche ich meine drei Gebete, und dann ziehe ich weiter. Aber …

Ja?
… ich stelle Ihnen jetzt eine wichtige Frage: Wissen Sie ganz genau, weshalb ich im Gefängnis gelandet bin?

Sie sprechen die oft verkürzten Begründungen für ihren Schuldspruch in den Medienberichten an. Die Rede ist von «Insolvenzdelikten». Wofür wurden Sie genau verurteilt?
Ich wurde in 29 Punkten angeklagt und in 25 davon für unschuldig erklärt! Punkt 4 der Anklage war, dass ich Mittel aus meiner Firma genommen habe, um private Kosten zu begleichen: Miete, Kindesunterhalt, Knie-OP. Das tat ich nach Absprache mit meiner Anwältin und dem verantwortlichen Beamten der Behörde, dem Official Receiver. Wir sprechen zeitlich von Anfang Juli 2017. Bei meinem ersten Treffen mit meinem Insolvenzverwalter, dem Trustee, am 13. September 2017 habe ich ihm das natürlich ebenfalls mitgeteilt. Er stellte noch andere Fragen bezüglich meines Hauses in Leimen (D) und Aktien in einem Start-up. Alle offenen Fragen habe ich ihm am 28. September per E-Mail beantwortet. Es geht um die Zeit zwischen Juli und Ende September. Leider wurde ich falsch beraten. 

Das heisst?
Meine Firma war nicht insolvent. Also fragte ich den Official Receiver, ob ich aus meiner Firma Geld nehmen könnte. Er sagte: Das dürfen Sie. Sie müssen nur dem Insolvenzverwalter Bescheid sagen. Das habe ich gemacht. Ich nahm die Mittel raus, weil man mir sagte, dass ich das darf. Es kann jedem passieren, dass man aufgrund von falschen Ratschlägen Fehler macht.

Wie ging es weiter?
Dafür, dass ich Geld aus der Firma genommen habe, bekam ich 30 Monate. Für das Haus in Leimen sowie die Hypothek darauf, die ich in ihren Augen nicht rechtzeitig offengelegt habe, erhielt ich je 18 Monate. Und für die Anteile an der Sport-Internetfirma ebenfalls 18 Monate. Aber alles «concurrently», also gleichzeitig. Heisst: Alle Straftaten waren schon in den letztlich 30 Monaten inbegriffen. Was mir das Gericht nicht beweisen konnte, war eine Absicht dahinter. Sonst wäre meine Strafe viel länger gewesen. Sieben Jahre nämlich. Man könnte jetzt auch sagen: Was ich Ihnen hier erzähle, ist meine Wahrheit. Aber das wurde alles vor Gericht bewiesen.

Was ist die wichtigste Lehre, die Sie aus Ihrem Leben nach der Tenniskarriere gezogen haben?
Dass ich selber mehr auf mich aufpassen muss und es nicht anderen Leuten überlasse. Ich bin jetzt sehr vorsichtig mit der Wahl meines Umfelds. Man sagt: «Stell mir deine Freunde vor, dann kenne ich dich.» Da ist vieles dran.

Wie wichtig war Ihre Frau während jener Zeit?
Sie war die einzige Bezugsperson, mit der ich regelmässig aus dem Gefängnis raus Kontakt hatte. Ohne ihre Kraft, ihre Liebe und ihr Vertrauen hätte ich meine schlimmste Zeit nicht geschafft.

Boris Beckers Freundin zeigt erstemals ihren Baby-Bauch
0:42
Kind Nummer fünf unterwegs:Boris Beckers Freundin zeigt ihren Baby-Bauch
Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen
      Meistgelesen