Darum gehts
- Belinda Bencic erreicht Wimbledon-Halbfinal nach Babypause und kehrt in Top 20 zurück
- Experte Heinz Günthardt verrät das Erfolgsrezept der Ostschweizerin
- Statistik gegen Halbfinalgegnerin spricht gegen Bencic – doch sie hat auch Asse im Ärmel
Was ist das nur für eine Geschichte! Vor vierzehneinhalb Monaten brachte Belinda Bencic (28) ihr Töchterchen Bella auf die Welt. Vor neun Monaten gab sie ganz sachte ihr Comeback bei kleineren Turnieren. Anfang Jahr stand sie noch auf Rang 487 in der Weltrangliste. Und jetzt? Steht Mami Bencic tatsächlich im Wimbledon-Halbfinal – und wird nach dem Turnier in die Top 20 zurückkehren. Es ist das Wimbledon-Märchen dieses Jahres.
Hat die Tennis-Welt zu Beginn der Saison noch gestaunt, wie selbstverständlich Bencic in den Australian-Open-Achtelfinal einzog, so stehen am Mittwochnachmittag im Centre Court die Münder noch weiter offen: Bencic rockt ihre Rückkehr nach der Babypause auf beeindruckende Art und Weise. So sehr, dass selbst der Spielerin die Worte fehlen. Als sie im Platzinterview nach ihrer Gefühlslage gefragt wird, sucht sie nach den passenden Vokabeln: «Sprachlos» sei sie, meint sie lachend. «Es ist verrückt, unglaublich, ich weiss nicht was sagen, ich bin einfach nur happy und stolz auf meine Familie, mein Team und mich.»
Zurecht. Bencic schlägt im Viertelfinal mit Mirra Andrejewa (18) die hochgehandelte, russische Teenagerin, die in diesem Jahr bis auf Platz sieben in der Weltrangliste stürmte. Doch Bencic erteilt dem Supertalent eine Lektion in Sachen Konstanz in ihrem Spiel: «Sie war viel solider als Mirra», lobt auch Blick-Experte Heinz Günthardt (66), der Bencic in seiner Funktion als Billie-Jean-King-Cup-Captain bestens kennt: «Es ist Belinda sehr hoch anzurechnen, wie sie dem guten, druckvollen Service ihrer Gegnerin standgehalten hat.»
«... dann kann sie gegen alle gewinnen»
Den Schlüssel zu Bencics erfolgreichen Auftritten in Wimbledon sieht Günthardt aber in einem anderen Bereich. Er fasst das so zusammen: «Es gibt Spielerinnen, die besser servieren als Belinda, die härter schlagen oder sich gar noch besser bewegen. Aber wenn es um die Ballwechsel geht, dann gibt es da draussen kaum eine, die so solide und präzise ist wie sie. Da macht ihr gar niemand etwas vor.»
Günthardt weiss genau, dass nun im Halbfinal am Donnerstagnachmittag (ca. 16.30 Uhr Schweizer Zeit) die frühere Weltranglistenerste Iga Swiatek (24) wartet. Und im Final womöglich ein Duell mit der aktuellen Nummer eins, Aryna Sabalenka (27), drohen könnte. Und dennoch sagt er: «Wenn Belinda genau so stark auftritt wie gegen Andrejewa, wenn sie sich gut bewegt und die Gegnerin so gekonnt liest, dann kann sie gegen alle gewinnen. Jetzt ist alles möglich – ich traue ihr auch den Titel zu.»
Sie hat mit Swiatek noch eine Rechnung offen
In den bisherigen Begegnungen mit Swiatek liegt Bencic mit 1:3 hinten. Doch gerade die letzte Affiche hatte es in sich. 2023 erspielte sich Bencic im Wimbledon-Achtelfinal zwei Matchbälle, ehe sie doch noch 7:6, 6:7, 3:6 verlor. «Die Partie zeigte aber, dass sie auf Rasen sehr unangenehm sein kann für Swiatek, die ihrerseits bislang nicht als Rasenspezialistin in Erscheinung getreten ist.» Das beste Wimbledon-Ergebnis der Polin war bislang ein Viertelfinal, in besagtem Jahr, als sie gegen Bencic den Kopf aus der Schlinge zog.
Günthardt erwartet ein enges Spiel, in dem eine andere Qualität von Bencic von Vorteil sein könnte. Nämlich jene, in den kritischen Momenten mental parat zu sein. Von den vier Tiebreaks, die sie während des aktuellen Turniers an der Church Road spielte, verlor sie kein einziges. Wie wichtig das sein kann, hat etwa Novak Djokovic (38) im Jahr 2023 gezeigt, als er bis zu seiner Wimbledon-Final-Niederlage an Grand-Slam-Turnieren sage und schreibe 15 Tiebreaks in Folge für sich entscheiden konnte. Das war in jener Phase, in welcher der Serbe noch einen Major-Titel nach dem anderen gewann.
Ob es Bencic ihrerseits zu ihrem Premierentitel reicht? Zwei schwierige Siege fehlen. Doch Günthardt sagt: «Jetzt ist Belinda brandgefährlich.»