Darum gehts
- Kilian Wenger arbeitet neu als Autoverkäufer bei Volvo in Steffisburg BE
- Mentale Belastung war ausschlaggebend für seinen Rücktritt vom Schwingen
- Als Klub-Präsident verfolgt er aktuell ein grosses Projekt
Schwingerkönig Kilian Wenger (35) wirkt bereits wie ein Vollprofi. «Wenn dir ein Auto gefällt, berate ich dich sehr gerne», sagt er lachend und öffnet die Tür zu seinem neuen Arbeitsplatz – der Volvo-Garage in Steffisburg BE, wo er seit gut zwei Monaten tätig ist.
Eine überraschende Wahl. «Autoverkäufer stand nicht zuoberst auf meiner Interessensliste.» Diese erstellte er nach seinem Rücktritt im letzten Sommer. Der Publikumsliebling zog mitten in der Saison einen Schlussstrich. Jahrelang plagten ihn Rückenschmerzen.
«Dank einer Spritze bin ich aktuell schmerzfrei, doch das Vertrauen habe ich seit dem Frühling nicht mehr gefunden», erklärte er damals. Nun enthüllt Wenger, dass hinter seinem Abschied aus dem Nationalsport mehr steckte als nur körperliche Beschwerden. «Ich hätte wohl auch ohne Rückenprobleme aufgehört.»
Grosse Erleichterung nach Paukenschlag
Ausschlaggebend für seinen Rücktritt war die mentale Belastung. Seit seinem Königstitel 2010 in Frauenfeld TG stand Wenger unter ständiger Beobachtung. «Das zerrte an mir und an meiner Energie. Je älter ich wurde, desto stärker merkte ich das.» Die Rückenprobleme liessen ihn zusätzlich spüren, dass nun der richtige Zeitpunkt für den Abschied sei.
Für Wenger kam die Bekanntgabe einer Erlösung gleich. Die allerdings ihre Tücken hatte. Denn plötzlich war der Kalender leer – die vertraute Struktur weg. «Das war eine Herausforderung. Aber auch sehr schön. Denn ich konnte nun mehr Zeit mit meiner Familie verbringen.»
Neues Hobby in der Natur
Dass das Kapitel Spitzenschwinger zu Ende war, wurde dem zweifachen Vater erst einige Monate später so richtig bewusst. Dann, als seine Kollegen ins Wintertraining starteten. «Das fühlte sich im ersten Moment komisch an. Man realisiert, dass einem nie mehr Zehntausende Leute zujubeln werden.»
Abseits der Öffentlichkeit hat Wenger ein neues Hobby gefunden. Seit kurzem trifft er sich mit einer Kollegengruppe zum Biken. «Mir gefällt es, in der Natur zu sein.» Ganz ohne Kraftraum geht es im Leben von Wenger aber nicht. «Ich muss meinen Rumpf trainieren, sonst meldet sich der Rücken wieder.» Aktuell kann er den Alltag schmerzfrei absolvieren.
Ein Anruf veränderte alles
Für einen kurzen seelischen Schmerz sorgte die diesjährige Ferienplanung. «Das ist mir ein Lapsus passiert», beginnt Wenger zu erzählen. Erstmals sind für den gelernten Metzger im Sommer Familienferien möglich. Das Datum hatten sie im Winter festgelegt – ohne einen Blick auf den Schwing-Kalender zu werfen.
Als bereits alles gebucht war, realisierte Wenger, dass er genau während seines Heimfests im Berner Oberland verreist. «Das ist schade. Aber man kann nicht überall sein.» Dass er aktuell einen grossen Teil seiner Woche in der Autogarage in Steffisburg verbringt, verdankt Wenger einem Sponsor.
Die letzten Jahre durfte Wenger einen Volvo fahren. Als er auf Jobsuche war, rief ihn der Chef der Garage an. «Er machte mir ein super Angebot.» Wenger prüfte gleichzeitig noch eine Stelle im Aussendienst und einen Job als Projektleiter. «Wenn du eine höhere Funktion übernehmen willst, musst du 80 Prozent oder mehr arbeiten. Das konnte ich nicht.»
Kunden können es kaum glauben
Schliesslich konnte Wenger nach dem Rücktritt alle Sponsoren behalten. Diese zufriedenzustellen, benötigt ebenfalls Zeit. Entsprechend gelegen kam ihm die 60-Prozent-Stelle bei Volvo. Dieses Pensum ermöglich ihm auch einen Papi-Tag. «Als ich meinem Umfeld von meinem neuen Job erzählte, waren alle überrascht.» Mittlerweile hat sich Wenger bestens eingelebt. «Es ist eine tolle Herausforderung, die Leute von unseren Autos zu überzeugen.»
Dabei erlebt der ehemalige Spitzenschwinger viele lustige Momente. Einige Kunden erkennen ihn. «Viele denken, ich sei nur kurz auf Sponsorenbesuch. Wenn ich ihnen dann erkläre, dass ich jetzt hier arbeite und sie berate, staunen sie.» Zwischen Probefahrten, Autoverkäufen und Leasingverträgen bleibt immer noch genug Zeit für den Schwingsport.
Wenger steigt wieder in die Zwilchhosen
Schliesslich hat Wenger eine verantwortungsvolle Position übernommen. Er wurde zum Präsidenten des Schwingklubs Niedersimmental gewählt. In seiner neuen Funktion beschäftigt ihn ein Grossprojekt ganz besonders. «Wir planen einen neuen Schwingkeller.» Aktuell laufen Abklärungen bezüglich des Baulands. «Ich bin sehr zuversichtlich.»
Neben seiner Funktionärstätigkeit steigt Wenger noch immer gerne in die Zwilchhosen. «Es kitzelt mich manchmal, wieder richtig Gas zu geben.» Vor allem jetzt, wo die Kranzfestsaison begonnen hat. «Dann denke ich ab und zu schon, dass es eigentlich cool wäre, wieder zu schwingen.»
TV-Premiere rückt näher
Abfallen würde Wenger bestimmt nicht. «In der aktuellen Verfassung könnte ich um die Kränze mitschwingen. Zu mehr fehlt die Ausdauer.» Der Rücktritt sei aber schon die richtige Entscheidung gewesen. «Ein Comeback gibt es nicht.» Statt selbst im Ring zu stehen, analysiert er künftig vom Bildschirm aus – als neuer Experte bei Swiss 1. «Ich studiere jede Rangliste. Das Interesse ist nach wie vor riesig.»
Seinen ersten TV-Einsatz hat Wenger am 29. Mai beim Baselstädtischen Schwingfest. Für die Premiere hat er sich Folgendes vorgenommen: «Ich will das Geschehen im Sägemehl so erklären, dass es auch der Schwing-Laie versteht.» Wenn er so schnell in die TV-Rolle schlüpft wie in jene des Autoverkäufers, dürfte das ein grosser Erfolg werden.