Darum gehts
Alle drei Jahre wird Geni Hasler (60) an seine schmerzhaftesten Niederlagen erinnert. Der Schwyzer verlor gleich zweimal den Schlussgang an einem Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF). Höchst umstritten war das Duell in Chur im Jahr 1995, bei dem der damals erst 21-jährige Thomas Sutter (51) triumphierte. Bis heute wird darüber diskutiert, ob der Appenzeller beim Siegeswurf Griff hatte oder nicht. Nun ist der denkwürdige Schlussgang genau 30 Jahre her.
Ein Treffen mit Hasler im Schwingkeller in Schübelbach SZ. «Diese Niederlage hat mich noch sehr lange beschäftigt», erzählt Hasler. Schliesslich habe er sich auf kein ESAF derart akribisch vorbereitet gehabt wie damals auf jenes in Chur. «Ich lebte mehr als ein Jahr lang für das Ziel, dort Schwingerkönig zu werden. Dafür passte ich meine Ernährung an. Ich verzichtete beispielsweise wenn immer möglich auf Saucen.»
Vor dem Schwingfest ein Stück Fleisch
Hasler wollte sich endlich die Krone aufsetzen lassen. Ein eigentlich längst überfälliger Akt, denn von Mitte der Achtziger- bis Mitte der Neunzigerjahre war er der dominierende Schwinger. Hasler triumphierte an 38 Kranzfesten. Er überzeugte mit seiner Kraft und seiner technischen Versiertheit. «Ich bearbeitete die Gegner so lange, bis sie auf dem Rücken lagen. Für mich zählte nur der Sieg.» Hasler trainierte bis zu 25 Stunden in der Woche, und dies neben einem Arbeitspensum von 100 Prozent.
Für den grösstmöglichen Erfolg pflegte er am Morgen eines Schwingfestes ein aussergewöhnliches Ritual. «Ich ging knapp eine Stunde joggen, um mich mental auf den Tag vorzubereiten. Als ich nach Hause kam, hatte mir meine Frau ein Stück Fleisch gemacht.»
Moment mal: Am Morgen kam bei Hasler tatsächlich ein Steak auf den Tisch? Hasler bejaht und ergänzt: «Teilweise war es auch ein Filet oder ein Entrecôte.» Dank der Joggingrunde kam in Hasler so etwas wie ein Hungergefühl auf: «Sonst brachte ich am frühen Morgen keinen Bissen herunter.»
Sutter hatte auch viel Glück
Vor dem ESAF in Chur 1995 gehörte der spätere Triumphator Sutter zum erweiterten Favoritenkreis. Ein Jahr zuvor hatte der Appenzeller den Unspunnen-Schwinget gewonnen. Die Wettkämpfe vor dem grossen Highlight Ende August im Bündnerland dominierte Hasler. Der Schwyzer hatte in dieser Saison neun Schwingfeste gewonnen.
Einmal mehr lief er als Topfavorit am Samstagmorgen in die 40’000 Zuschauer fassende Arena in Chur ein. «Das war ein Gänsehautmoment», sagt Hasler auch noch 30 Jahre danach. Er zog mit zwei Gestellten und fünf Siegen in den Schlussgang ein. Dass er dort auf Sutter treffen sollte, war lange nicht klar, denn drei Kämpfe mussten gestellt enden, sonst wäre statt des Appenzellers ein anderer im Schlussgang gestanden.
Freundschaft für kurze Zeit pausiert
Es lief alles für Sutter, und so stand er um 16.43 Uhr Hasler gegenüber. Zwei Freunde duellierten sich um die Königskrone. «Wir hatten in diesem Jahr ein paar Mal zum Brunchen abgemacht», erinnert sich Hasler. Nach dem Handschlag im Sägemehl war es aber kurzzeitig vorbei mit ihrer Freundschaft. Favorit Hasler brachte Sutter bereits im ersten Angriff an den Rand einer Niederlage. Doch der Widersacher rettete sich am Boden.
Rund fünf Minuten später kam es dann zur umstrittenen Szene: Hasler suchte die Entscheidung, brachte Sutter zu Boden. Als er selbst beinahe auf dem Rücken lag, liess er beide Hände los und streckte sie demonstrativ in die Luft. In diesem Moment packte Sutter die Zwilchhosen des Rivalen und drehte ihn auf den Rücken.
Beide wieder am ESAF – in unterschiedlichen Rollen
Für Hasler ist bis heute klar: «Thomas hatte keinen Griff. Ich spürte das sofort.» Die Wiederholungen im TV belegen den Fehler der Kampfrichter. Hasler fiel danach regelrecht in ein Loch. «Ich ging drei Tage nicht mehr aus dem Haus. Ich lag im Bett, sah die Decke an und fragte mich, was da genau passiert ist. Ich schämte mich. Ich war zweimal an einem ESAF im Schlussgang der Favorit gewesen, und zweimal war ich gescheitert. Das tat richtig weh.»
Die Diskussionen um den Schlussgang hallen noch lange nach. Doch es war Sutter, der sich als König verewigte. Und Hasler ging als Schwingerkönig ohne Krone in die Geschichte ein. Wer nun 2025 obenaus schwingt?
Sowohl Halser als auch Sutter werden vor Ort sein – in unterschiedlichen Rollen. Hasler als Veranstalter, der im Kern-OK sitzt. Sutter als Zuschauer, der noch immer regelmässig Schwingfeste besucht. Auf ihre Heldentaten werden sie auch 30 Jahre nach dem epischen Duell von Chur immer wieder angesprochen. Schliesslich gehören sie zu den Grössten des Schwingsports – mit oder ohne Krone.