Darum gehts
Die Schweizer Leichtathletik-Szene ist in freudiger Erwartung – und das gleich doppelt. Nach Sarah Atcho-Jaquier (30) hat auch Mujinga Kambundji (32) ihre Schwangerschaft bekannt gegeben. Beide Sprinterinnen haben direkt klargemacht, dass sie nach der Babypause beabsichtigen, in den Spitzensport zurückzukehren. Und dass sie deshalb auch während der Schwangerschaft weitertrainieren werden. In reduzierter Form, versteht sich.
Doch obwohl aus medizinischer Sicht längst klar ist, dass dies – immer individuell betrachtet – kein Problem für Mutter und Kind darstellen muss, gibts immer noch kritische Stimmen, die wenig Verständnis aufbringen für Profisport während der Zeit, in dem das Baby im Bauch heranwächst. Atcho-Jaquier, die auch als Influencerin auf Social Media unterwegs ist, geht in ihren Beiträgen bewusst auch auf skeptische Stimmen ein. Überhaupt gewährt sie immer wieder Einblick in ihren neuen Trainingsalltag, weil sie aufzeigen will, wie sich die Zeiten geändert haben.
Ein Ferrari für das gedeihende Kind
Genau wie das auch ein Anliegen von Nicola Spirig (43) darstellt. Die Triathlon-Olympiasiegerin ist dreifache Mama und weiss genau, wie es ist, schwanger zu trainieren und dann wieder in den Spitzensport zurückzukehren. «Ich hatte immer das Gefühl, mich fürs Trainieren rechtfertigen zu müssen», sagte sie vor ein paar Jahren im Swiss-Olympic-Podcast «smartHer – the women’s sportcast»: «Dabei werden wir ständig von Ärzten überwacht. Und zudem haben Spitzenathletinnen ein sehr ausgeprägtes Körpergefühl.»
Spirig meinte weiter, als Profi würde man ohnehin schon ideale Rahmenbedingungen schaffen: «Wir achten auf die Erholung, rauchen nicht, trinken nicht, ernähren uns gut, schauen auf die Vitaminzufuhr und machen Bluttests, damit wir ja keinen Mangel haben. Aus dieser Perspektive hat das heranwachsende Kind eigentlich einen Ferrari, in dem es wohnen kann. Der Körper ist dann ja nicht nur für den Spitzensport, sondern eben auch für eine Schwangerschaft sehr gut gewappnet.»
Dieser Meinung ist auch die Sportärztin Sibylle Matter Brügger, die früher ebenfalls Spitzen-Triathletin war. Sie hält fest: «Der Frauenkörper ist zu enorm viel fähig.» Und sie verweist darauf, dass das Training viele Vorteile für Mutter und Kind mit sich bringen könne. Unter anderem durch das erhöhte Blutvolumen ist es theoretisch gar möglich, mit verbesserten Grundkonditionen aus einer Schwangerschaft herauszukommen.
Leitplanken müssen eingehalten werden
Matter Brügger sagt auch: «Es gibt immer noch Beispiele, bei denen Athletinnen für ihr Training angefeindet werden. Da gibt es gesellschaftlich schon noch Nachholbedarf. Allerdings muss man auch sagen: Die veralteten Ansichten kommen auch daher, weil man früher aus ärztlicher Sicht vom Weitertrainieren abgeraten hat. Doch mittlerweile ist die Datenlage eine andere.»
Wichtig bei all dem: Von positiven Effekten und keinem erhöhten Risiko durch das Trainieren kann nur gesprochen werden, wenn die Schwangerschaft ohne Komplikationen verläuft. Und wenn gewisse Leitplanken eingehalten werden. Spirig reduzierte damals ihr Trainingspensum auf ungefähr die Hälfte, was auch der heute empfohlenen Norm entspricht, wie Matter Brügger bestätigt. Die zentralen Punkte vereinfacht erklärt: kein zu hoher Puls, keine Überhitzung, kein Sturz- oder Schlagrisiko eingehen und Krafttraining nur ohne Pressatmung.
«Der Wandel braucht Zeit»
Zudem werde das Training während der Schwangerschaft laufend angepasst. Wie etwa jetzt bei Atcho-Jaquier, die sich im fortgeschrittenen dritten Trimester befindet. Weil sie im Juli ihr Kind erwartet, ist ihr Pensum mittlerweile drastisch reduziert. «Das ist logisch, weil in dieser Phase der Bauch oder die Müdigkeit vieles verunmöglichen», so Matter Brügger, die in den letzten Jahren zusammen mit Swiss Olympic zum Thema «Frau und Spitzensport» viel Aufwand betrieben hat.
Mit Infomaterial und einer offiziellen Anlaufstelle für Themen wie Schwangerschaft oder Zyklus können Athletinnen Beratungen in Anspruch nehmen. «Das hat gut Anklang gefunden, es kommen immer wieder Sportlerinnen auf uns zu», schildert Matter Brügger, die bei Swiss Olympic als Health Performance Managerin agiert.
Die Olympiateilnehmerin von 2000 sagt, man stosse dadurch auch auf weitere Baustellen. Etwa, dass in vielen Verträgen mit Partnern oder Sponsoren eine Schwangerschaft gar nicht von vornherein geregelt sei. Hier gestalte es sich ähnlich wie in der Wahrnehmung der Gesellschaft: «Der Wandel braucht Zeit.»