«Seine Erfahrung ist spürbar»
Captain Widmer über die Mainz-Krise und Hoffnungsträger Fischer

Unmittelbar vor dem ersten Europacup-Spiel unter dem neuen Coach Urs Fischer spricht Mainz-Captain Silvan Widmer bei Blick über die schwierige Lage beim Bundesliga-Letzten.
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Der neue Chef in Mainz: Urs Fischer.
Foto: keystone-sda.ch
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Sven SchochReporter Sport

Nach 753 Tagen steht der Schweizer Trainer Urs Fischer beim FSV Mainz erstmals wieder auf dem Trainingsplatz – er wird Nachfolger von Bo Henriksen. Captain Silvan Widmer schildert im Blick-Gespräch seine ersten Eindrücke und spricht über die Zusammenarbeit mit dem erfahrenen Zürcher. 

Blick: Urs Fischer hat am Sonntag in Mainz unterschrieben – Ihr ersten Gedanken zum neuen Coach?
Silvan Widmer: Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Wir sind uns vorher schon mehrfach über den Weg gelaufen. Mein erster Gedanke war, dass wir immer mal wieder ins Gespräch gekommen sind, als wir uns gesehen haben. Ich habe ihn als sehr offenen Menschen wahrgenommen – und dieser Eindruck hat sich nun in den ersten beiden Tagen in Mainz bestätigt.

Sie betonen die offene Art von Fischer …
… ja. Ich kann mich gut an ein zufälliges Treffen am Flughafen in Salzburg erinnern. Wir waren mit Mainz auf der Rückreise von einem Trainingslager. Urs war mit Union ebenfalls unterwegs. Er kam direkt auf mich zu und hat sich mit mir über Gott und die Welt unterhalten. Das war für mich eine sehr spannende Begegnung, die ich nicht vergessen habe.

Er gilt als überaus strukturierter Mensch, der seine Linie klar vertritt und sich nicht so schnell aus der Reserve locken lässt. Braucht Mainz genau diese Eigenschaften in der aktuellen Situation?
Der Verein hat klar signalisiert, auf diese Attribute setzen zu wollen.

Fischer erklärte an der Medienkonferenz, er sei kein Vulkan, er wolle das Team nicht mit Informationen überladen und zuerst mal die Hausaufgaben machen. Wie verstehen Sie seine Ansage?
Ich glaube, dass wir alle gut daran tun, auf unsere eigenen Tugenden zu setzen und alles dafür zu machen, hinten die Null zu erzwingen.

Das ist Silvan Widmer

Silvan Widmer wird am 5. März 1993 in Aarau geboren. Mit 17 kommt der Verteidiger aus Würenlos in die 1. Mannschaft beim FC Aarau, wo er unter René Weiler in der Challenge League sofort Stammspieler wird. Mit 20 folgt der Wechsel in die Serie A zu Udinese (131 Serie-A-Spiele). 2018 kehrt Widmer in die Schweiz zurück und gewinnt mit dem FC Basel 2019 den Cup, ehe er 2021 nach Mainz weiterzieht. Widmer ist mit Céline verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Für die Nati absolvierte er bisher 56 Länderspiele (5 Tore).

Silvan Widmer wird am 5. März 1993 in Aarau geboren. Mit 17 kommt der Verteidiger aus Würenlos in die 1. Mannschaft beim FC Aarau, wo er unter René Weiler in der Challenge League sofort Stammspieler wird. Mit 20 folgt der Wechsel in die Serie A zu Udinese (131 Serie-A-Spiele). 2018 kehrt Widmer in die Schweiz zurück und gewinnt mit dem FC Basel 2019 den Cup, ehe er 2021 nach Mainz weiterzieht. Widmer ist mit Céline verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Für die Nati absolvierte er bisher 56 Länderspiele (5 Tore).

Wenn ein Klub nach 13 Runden den Trainer ersetzen muss, welches Gefühl kommt da bei einem Spieler hoch?
Natürlich kein gutes. Ich habe schon sehr viel Trainerentlassungen während meiner Karriere erlebt. Das ist nie schön. Man fühlt sich schuldig, die Leistung nicht auf den Platz gebracht zu haben. Und wenn ein Coach wie Bo mit den Akteuren auch persönliche Beziehungen aufgebaut hat, tut eine solche Trennung richtig weh.

Henriksen hat sich für das Team emotional sehr verausgabt – nach einem starken Jahr nun ohne Erfolg.
Es schmerzt, weil wir mit ihm als Trainer viel erreicht haben. Er hat uns in seiner ersten Saison gerettet, und die letzte Saison war wahnsinnig gut. Da verbindet man viele gute Erinnerungen. Das macht die Entlassung intensiver und trauriger.

Wie ist der kolossale Absturz innerhalb weniger Monate von Platz sechs ans Tabellenende der Bundesliga zu erklären?
Eine einfache Erklärung habe ich keine. Es sind viele kleine Dinge, die einem das Gefühl geben, es laufe in die falsche Richtung. In der letzten Saison haben wir knappe Spiele gewonnen, jetzt verlieren wir sie. Wir haben den Flow komplett verloren. Das ist keine messbare Grösse, aber das Gefühl hat Auswirkungen auf das Selbstvertrauen – es wird immer kleiner.

War das 0:4 in Freiburg ein Spiegelbild der ganzen Saison? Ein Spiel ohne Orientierung, ohne Basis?
Korrekt, diese Niederlage war für uns alle ein Tiefpunkt. Wir waren chancenlos, alles lief schief. Das war eine bittere Pille, die wir zu schlucken hatten.

In der vorletzten Saison stand Mainz nach 21 Runden an einem ähnlichen Punkt. Hilft die Erfahrung, es schon einmal geschafft zu haben, sich vom Ende wegzuspielen?
Damals war die Situation dramatischer. Aber auch jetzt ist es höchste Zeit, den Turnaround zu schaffen. Die Erfahrung einiger Spieler, die heute noch im Kader sind, kann hilfreich sein. Aber darauf dürfen wir uns natürlich auf keinen Fall verlassen.

Sie gelten als sehr reflektierte Persönlichkeit. Stehen Sie deshalb noch mehr in der Verantwortung, positiven Einfluss zu nehmen?
Ich bin gefordert, klar. Wenn es zu einer solchen Freistellung kommt, hat in erster Linie das Team versagt und damit auch der Captain. Deshalb stehe ich in der Pflicht, noch mehr zu investieren und Urs sowie seinem Team zu helfen. Es ist aber genauso wichtig, ab und zu Abstand zu nehmen und sich nicht mit der sportlichen Situation zu befassen, um den Fokus wiederzufinden und die Kräfte neu zu bündeln.

Wie geht das Umfeld mit dem Sinkflug des Teams um?
Die Leute sind unzufrieden und werden ungeduldig. Die Fans haben ihren Unmut geäussert, was aber völlig legitim ist. Der Support für uns ist dennoch gross. Aber klar: Wir spüren, dass die Zuschauer zu Recht mehr erwarten und einfordern.

Anlaufzeit hat der neue Coach keine. Am Donnerstag steht der Trip zu Lech Posen an, am Sonntag warten in München die Bayern.
Es hat Vor- und Nachteile, mit einem solchen Programm zu starten. Mit einem guten Resultat gegen Posen kann man etwas Selbstvertrauen aufbauen. Mehr Trainingseinheiten wären idealer, um die taktischen Inputs besser unterzubringen. Urs Fischer kann uns nun halt nur stufenweise zeigen, was er vorhat. Aber seine immense Erfahrung ist spürbar.

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