Nati-Captain so gut wie nie
Ist Granit Xhaka der einflussreichste Fussballer der Welt?

Es mag individuell bessere Fussballer geben. Aber keiner hat derzeit so viel Einfluss auf die Leistung seiner Mannschaften, wie der Schweizer Granit Xhaka.
Publiziert: vor 38 Minuten
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Aktualisiert: vor 3 Minuten
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In grosser Form: Der AFC Sunderland ist als klarer Abstiegskandidat in die Premier League gestartet. Mit Granit Xhaka ist dasd Team bislang die grösste Überraschung der Saison.
Foto: TOTO MARTI

Darum gehts

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Florian RazReporter Fussball

Der Mann sitzt auf einer Goldmine. Aber er wird sie vermutlich nie antasten. Dabei muss man keine grosse Fantasie aufbringen, um sich den Erfolg auszumalen, den Granit Xhaka (33) mit einem Seminar für Möchtegern- und tatsächliche Führungskräfte haben würde: Wie werde ich zum natürlichen Leader? Buchen Sie jetzt die Masterclass!

Gut, mit einem geschätzten Wochenlohn von 110’000 bis 140’0000 Franken sollte Xhaka auf die Zusatzeinkünfte nicht angewiesen sein. Aber darum geht es auch gar nicht. Sondern um die grosse Frage, die sich derzeit stellt: Gibt es momentan einen anderen Fussballer, der Kraft seiner Klasse ein ganzes Team praktisch im Alleingang auf ein höheres Niveau heben kann, wie es derzeit Xhaka mit der Schweizer Nati und dem AFC Sunderland macht?

Ist er zwar nicht der beste, aber der einflussreichste Spieler?

Nicht verwechseln: Es geht nicht darum, ob der Basler der beste Fussballer dieser Welt ist. Selbst auf seiner Position im zentralen Mittelfeld gibt es da mit Pedri (22) vom FC Barcelona, Vitinha (25) von Paris St-Germain oder auch Moises Caicedo (24) von Chelsea ein paar Spieler, mit noch beeindruckenderen Statistiken.

Aber um einen Premier-League-Aufsteiger wie Sunderland vom – je nach Saisonvorschau – Abstiegskandidaten Nummer 1, 2 oder 3 zur Sensation des ersten Saisonviertels zu machen? Dazu braucht es mehr als «bloss» spielerische Klasse. Wie riesig der Schritt aus der zweitklassigen Championship in die beste Liga der Welt ist, zeigt der Blick auf die letzten beiden Saisons: Da stiegen die drei Aufsteiger jeweils direkt wieder sang- und klanglos ab.

Für so eine Herkulesaufgabe braucht es jemanden, der alles zusammenhält. Einen, der so mit gutem Beispiel vorausgeht, dass die anderen gar nicht anders können, als ihm zu folgen. «Er setzt jeden Tag die Standards», hat Régis Le Bris (50) gleich nach Xhakas Ankunft im Norden Englands festgestellt. Und natürlich hat der Sunderland-Trainer dem Schweizer gleich die Captain-Binde überreicht.

Shaqiri war der brillante Solist, aber Xhaka der Dirigent

Die trägt er seit dem Ende der WM 2018 ganz selbstverständlich auch in der Schweizer Nati, obwohl sich Xherdan Shaqiri (34) die Binde auch ganz gut an seinem gut ausgebildeten Oberarm hätte vorstellen können. Aber die Ausgangslage war eigentlich von Anfang an klar: War Shaqiri der brillante Solist, dann war Xhaka immer der Dirigent des Orchesters.

Wenn man versucht, Xhakas Fähigkeiten als Leader auf den Grund zu gehen, könnte man es sich also einfach machen und irgendwas von einem «geborenen Anführer» erzählen. Haben er und sein Bruder Taulant nicht schon hundertmal erzählt, wem von ihnen die Mutter den Schlüssel um den Hals gehängt hat, wenn sie als Kinder raus gegangen sind, um im Basler Arbeiterquartier St. Johann kicken zu gehen? Natürlich nicht dem um etwas mehr als ein Jahr älteren Taulant. Sondern Granit, weil der schon im Kindesalter verantwortungsbewusst war.

Der Grössere ist der Jüngere: Granit Xhaka mit seinem Bruder Taulant im Jahr 2016.
Foto: TOTO MARTI

Und ja, dieser Sohn kosovarischer Einwanderer muss damals mit dem gewissen Extra auf die Welt gekommen sein. Wie anders wären diese ersten Schritte zu erklären? 2004 verliert die U-13 des FC Basel vor 20’000 Menschen in Paris den Final des Danone-Cups. Im Stadion: Zinédine Zidane. Bester Basler Torschütze: Granit Xhaka.

2009 der Gewinn der U-17-Weltmeisterschaft mit der Schweiz. Sein erster Auftritt bei den Profis des FC Basel: In einem Spiel, in dem es um die finanzielle Zukunft des gesamten Vereins geht. Die neue Klubführung ist soeben all in gegangen und hat Alex Frei von Borussia Dortmund nach Hause geholt. Der FCB braucht dringend die Millionen der Champions League. Xhaka trifft als 17-Jähriger aus 30 Metern gegen Debrecen. Mit 18 dann das Debüt im A-Nationalteam unter Ottmar Hitzfeld: Die Schweiz spielt im ausverkauften Wembley gegen England 2:2.

Doch diese Auftritte beweisen erst Xhakas Klasse als Fussballer. Und sein unerschütterliches Selbstvertrauen. Um aber zu jener Führungspersönlichkeit zu werden, die er heute ist, hat er sich ein paarmal die Nase blutig schlagen müssen. Und jedesmal, wenn er zu scheitern schien, hat er den Widerstand genutzt, um noch besser zu werden.

Bei Gladbach merkt er: Wer labern will, muss liefern

Als er mit 19 Jahren von Basel zu Borussia Mönchengladbach wechselt, erzählt er den neuen Teamkollegen als erstes von der Champions League. Das kommt bei den auf Abstiegskampf gepolten Bundesliga-Profis eher nicht so gut an. «Ich habe zu viel geredet und zu wenig geleistet», stellt Xhaka danach fest. Und merkt sich: Wer labern will, muss liefern – sonst kann es ungemütlich werden in der Garderobe. Drei Saisons später ist er Gladbachs Captain.

Rund 45 Millionen Franken bezahlt Arsenal 2016 für Xhaka. Es auch neuneinhalb Jahre später die höchste Transfersumme, die je für einen Schweizer Fussballer aufgeworfen worden ist. Er kommt in einer schwierigen Phase des Klubs nach Nordlondon. Und führt sich gleich mit zwei Roten Karten für reichlich sinnlose Tacklings ein. Bereits bei Gladbach ist er zuvor mit fünf Platzverweisen aufgefallen.

Die englischen Medien sind unerbittlich

Sein Image auf der Insel bekommt er spätestens aufgedrückt, als ihn Ex-Profi Danny Murphy (48) auf BBC als «undiszipliniert» abstempelt und sein Spiel als «dreckig». Dabei sind Xhakas Aktionen eher ungestüm als bösartig. Weil er noch nach seiner idealen Position sucht. U-17 Weltmeister ist er auf dem Flügel geworden, beim FC Basel hat er oft im offensiven Mittelfeld gespielt. In seiner Anfangszeit bei Arsenal will er das ganze Feld abdecken – und überfordert sich damit selbst.

«Manchmal macht er ungeschickte Grätschen, weil er kein geborener Verteidiger ist», sagt sein damaliger Trainer Arsène Wenger (76) dazu. Und: «Intelligenz heisst, dass du denselben Fehler nicht wiederholst.» Heute gehört Xhaka mit seinen Leistungen bei Sunderland laut Statistiken bei den erfolgreichen Tacklings zu den besten drei Prozent aller Mittelfeldspieler in der Premier League

Der schwierigste Moment kommt aber am 27. Oktober 2019. Xhaka ist zuvor – natürlich – von seinen Mitspielern zum Captain gewählt worden. Als Arsenal aber zuhause gegen Crystal Palace einen 2:0-Vorsprung aus der Hand gibt und Xhaka ausgewechselt wird, geschieht das aus seiner Sicht Unvorstellbare: Die eigenen Fans buhen und pfeifen ihn vom Feld.

Xhaka wird von eigenen Fans ausgepfiffen
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Provokante Geste des Captains:Xhaka wird von eigenen Fans ausgepfiffen

«Wenn ich meine Augen schliesse, kann ich immer noch ihre Gesichter sehen. Ich kann die Wut sehen. Es ist nicht einfach so, dass sie mich nicht mögen. Es ist Hass. Purer Hass.» So hat er das später erzählt. Xhaka reagiert mit höhnischem Applaus, wirft erst seine Captain-Binde zu Boden – und zieht auf dem Weg in den Spielertunnel auch noch demonstrativ sein Trikot aus.

Es müsste das Ende seiner Zeit in London sein. Hertha Berlin will ihn verpflichten. Die Koffer sind gepackt, die Pässe liegen bereit. Aber ein Gespräch mit Mikel Arteta (43) verändert alles. Der Arsenal-Trainer überzeugt Xhaka mit seiner Wärme – und mit dem Plan, den er ihm aufzeigen kann. 2023 wird Xhaka von den Arsenal-Fans bei seinem Abschied nach Leverkusen gefeiert.

Klar, sind Trainer für alle Fussballer wichtig. Für Xhaka aber sind sie noch ein wenig wichtiger als für andere. Auch, weil er Trainings nicht als lästige Pflicht zwischen den Spielen versteht. Sondern als Chance, sich als Spieler und Team weiter zu entwickeln.

Er hat Granit Xhaka gezeigt, wie er ein besserer Fussballer wird: der Schweizer Trainer Lucien Favre im Jahr 2014 bei Borussia Mönchengladbach.
Foto: imago sportfotodienst

Lucien Favre (68) hat ihn mit seiner akribischen Arbeit bei Gladbach zum besseren Fussballer gemacht. Wenger ist der Monsieur, der ihn mit seiner Ruhe überzeugt. Arteta und danach Xabi Alonso (43) bei Leverkusen eröffnen ihm taktisch neue Welten.

Mit diesen Erfahrungen im Rucksack spürt er sofort, wenn es mit einem Coach nicht passt. Es ist kein Zufall, dass die Transfergerüchte um Xhaka ins Kraut schiessen, kaum wird in diesem Sommer Erik ten Hag (55) als neuer Trainer von Leverkusen vorgestellt. Der Schweizer geht zurück auf die Insel – ten Hag wird bei Bayer nach bloss drei Pflichtspielen schon wieder entlassen.

Im Nationalteam wirkt Xhaka lange zwar wie der geborene Anführer. Aber nicht immer wie der ideale Teamplayer. Zu oft stellt er dazu sich und seine Befindlichkeiten ins Zentrum. Da sind WM-Spiele gegen Serbien 2018 und 2022 samt Griff in den Schritt. Da ist der ungeimpfte Gang ins Tattoo-Studio unmittelbar vor der Covid-Europameisterschaft 2021.

Immer diese Serbien-Spiele: Granit Xhaka und Nikola Milenkovic geraten sich an der WM 2022 in Katar in die kurzgeschorenen Haare.
Foto: Toto Marti

Trotzdem bleibt immer klar, dass die Leistungskurve der Mannschaft jener von Xhaka folgt. Nur kurz scheint es, als ob sich die Nati emanzipieren könne: Als sie sich ohne den kranken und verletzten Captain im Herbst 2021 mit zwei Unentschieden gegen Italien für die WM in Katar qualifiziert.

Aber schlussendlich ist seine fussballerische Qualität zu gross. Auch, weil er sich auf und neben dem Platz weiter entwickelt hat. Früher schien es der Nati fast verboten, einen Angriff ohne mindestens einen Xhaka-Pass zu spielen. Jetzt opfert er sich sogar als Köder, wenn es dem Team wie beim 4:0 über den Kosovo nutzt, um den Gegner aus der Reserve zu locken und dann mit weiten Bällen zu übertölpeln. Oder er akzeptiert wie beim 4:1 gegen Schweden, dass es für einmal die Flügelspieler sind, die die erste Geige spielen.

«Dass sich Xhaka und Yakin jetzt verstehen, spürt man»
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Endlich gute Beziehung:«Dass sie sich verstehen, spürt man»

Überhaupt wirkt er ruhiger. Wobei Gelassenheit wohl das falsche Wort wäre. Weil Xhaka ohne seine Grundaggressivität vermutlich einer seiner Qualitäten beraubt wäre. Aber ein wenig staatsmännischer ist er geworden. Und wenn er Reibung sucht, dann derzeit, um das ganze Team vorwärts zu bringen. Wie mit seiner Trainings-Schelte nach einem miesen 2:2 im Kosovo.

Inzwischen hebt selbst Murat Yakin (51) heraus, wie wichtig die Intensität in den Übungseinheiten sei: «Wir spielen so, wie wir trainieren.» Ein Satz, den der Nati-Trainer eins zu eins von seinem Captain übernommen hat. Vorbei ist der schwelende Machtkampf der beiden Alphatierchen. Die überzeugende Qualifikation für die WM 2026 ist der Lohn.

Die zwei Alphatierchen haben sich gefunden: Murat Yakin herzt Granit Xhaka nach dem 20:-Sieg der Nati in Schweden.
Foto: TOTO MARTI

Möglich, dass Xhaka irgendwann einmal wieder im roten Bereich dreht. Aber derzeit wirkt es so, als hätte er aus jedem Konflikt, aus jeder Niederlage, aus jedem Widerstand ein weiteres Puzzleteil gewonnen, das ihn mit 32 Jahren zum besten Granit Xhaka seiner bisherigen Karriere macht.

Und vermutlich wird er seine Erfahrungen als Spieler ja doch irgendwann weitergeben. Wenn auch nicht in Führungsseminaren, sondern als Trainer. Er arbeitet bereits an seinen Diplomen. Nati-Trainer Yakin sagt: «Ich weiss, dass er Trainer werden möchte. Und so führt er die Nati auch an. Er hat gute Aussichten.»

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WM-Quali Gruppe A
Mannschaft
SP
TD
PT
1
6
13
15
2
6
-2
12
3
6
1
9
4
6
-12
0
Qualifiziert
Playoffs
Gruppe B
Mannschaft
SP
TD
PT
1
6
12
14
2
6
1
11
3
6
-5
4
4
6
-8
2
Qualifiziert
Playoffs
Gruppe C
Mannschaft
SP
TD
PT
1
6
6
13
2
6
9
11
3
6
-2
7
4
6
-13
2
Qualifiziert
Playoffs
Gruppe D
Mannschaft
SP
TD
PT
1
6
12
16
2
6
-1
10
3
6
2
7
4
6
-13
1
Qualifiziert
Playoffs
Gruppe E
Mannschaft
SP
TD
PT
1
6
19
16
2
6
5
13
3
Georgien
Georgien
6
-8
3
4
6
-16
3
Qualifiziert
Playoffs
Gruppe F
Mannschaft
SP
TD
PT
1
6
13
13
2
6
2
10
3
6
1
8
4
6
-16
3
Qualifiziert
Playoffs
Gruppe G
Mannschaft
SP
TD
PT
1
8
23
20
2
8
7
17
3
8
-6
10
4
8
-15
5
5
8
-9
3
Qualifiziert
Playoffs
Gruppe H
Mannschaft
SP
TD
PT
1
8
18
19
2
8
10
17
3
8
9
13
4
8
0
8
5
8
-37
0
Qualifiziert
Playoffs
Gruppe I
Mannschaft
SP
TD
PT
1
8
32
24
2
8
9
18
3
8
-1
12
4
8
-13
4
5
8
-27
1
Qualifiziert
Playoffs
Gruppe J
Mannschaft
SP
TD
PT
1
8
22
18
2
8
10
16
3
8
3
13
4
8
-4
8
5
8
-31
0
Qualifiziert
Playoffs
Gruppe K
Mannschaft
SP
TD
PT
1
8
22
24
2
8
2
14
3
8
-1
13
4
8
-10
5
5
8
-13
1
Qualifiziert
Playoffs
Gruppe L
Mannschaft
SP
TD
PT
1
8
22
22
2
8
10
16
3
8
2
12
4
8
-9
9
5
8
-25
0
Qualifiziert
Playoffs
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