Darum gehts
Es ist eine der verrücktesten Storys an dieser EM. Als Nati-Super-Joker Alayah Pilgrim (22) Anfang Woche an einer Pressekonferenz erzählt, dass in ihrem Elternhaus in Muri AG ein ausgestopfter Löwe im Wohnzimmer sitzt, der einst bei ihren Grosseltern und ihrer Mutter gelebt hat, geht diese Geschichte auch im Ausland viral.
Mit dem Löwenbaby Mauzli aufgewachsen ist Tanja Pilgrim (54), die Mutter von Alayah. Sie war siebenjährig, als ihr Vater das von der Mutter verstossene Löwenbaby aus dem Zirkus Nock mit nach Hause brachte. «Meine Schwester und ich hatten natürlich eine Riesenfreude, meine Mutter weniger, weil wir ihm zu Beginn alle zwei Stunden den Schoppen geben mussten», erinnert sie sich, als Blick sie besucht.
Aber Mauzli, der wegen eines Rückenleidens nur eineinhalbjährig wurde, sei zahm gewesen. «Klar mussten wir ihn auf Spaziergängen an der Leine halten, aber ausser an den Vorhängen und dem Sitzpolster im Auto hinterliess er keine Kratz- oder Bissspuren.» Auch ihr 82-jähriger Vater, der derzeit in Kanada weilt, musste lachen, als er erfahren hat, dass seine Enkelin die Story mit Mauzli an einer Pressekonferenz während der EM erzählte.
Denn die Löwen-Story war bei den Pilgrims schon früher immer wieder Thema; im Bekanntenkreis, der Schule, wo ihr Vater Schulpflegepräsident war, und natürlich auch in den lokalen Medien. Auch ihre Kinder hätten diese verrückte Geschichte immer wieder erzählt. «Als sie in der Primarschule ihren ersten Vortrag halten mussten, haben wir den ausgestopften Mauzli jeweils mitgebracht.»
Prägende Zirkusjahre
Der Zirkus hat das Leben von Tanja Pilgrim geprägt. Schon als kleines Mädchen war sie dank ihres Vaters regelmässig beim Zirkus zu Gast, durfte gelegentlich im Wohnwagen übernachten oder in Kindervorstellungen auf einem Elefanten reiten. Später lernte sie dort ihren langjährigen Partner und Vater ihrer drei Kinder kennen, der aus Marokko stammt und als Zeltbauer arbeitete. Auch die gelernte kaufmännische Angestellte half mehrere Saisons tatkräftig mit: Buchhaltung, Kasse, Ticketverkauf, Lastwagenfahrerin, Nummerngirl, und das erledigen, was gerade anfällt. «Im Zirkus macht man alles.»
Heute arbeitet Tanja Pilgrim als Heilpädagogin und Deutschlehrerin für fremdsprachige Kinder und hat dank flexibler Arbeitszeit die Möglichkeit, die Karriere ihrer jüngeren Tochter eng zu begleiten. «Klar ist der Fussball in unserem Leben ein grosses Thema.» Fast täglich steht sie mit Alayah in Kontakt, «aber ich frage nicht, sondern höre zu, wie ihr Befinden ist und wenn sie etwas erzählen möchte».
Es sind auch für Tanja Pilgrim und ihre zwei älteren Kinder Jalil (29) und Aileen (27) sehr emotionale Tage. Vor dem Haus hängt ein Transparent, auf dem alle Alayah viel Glück für die EM wünschen. «Ich empfinde einfach Freude für die Frauen, dass sie das erleben dürfen: diese vollen Stadien, diese Stimmung, diese Euphorie.» Der Fanmarsch in Bern sei eindrücklich gewesen. «Alte Leute haben auf dem Balkon die La-Ola-Welle gemacht.» Und in ihrem Dorf liefen derzeit auch Männer mit Nati-Shirts herum und würden «viel Glück» wünschen.
Vor allem das Tor von Alayah beim 2:0 gegen Island bleibt unvergessen. «Ich bin nach den Spielen jeweils so aufgewühlt, dass ich vor 5 Uhr morgens nicht einschlafen kann und nochmals das ganze Spiel schaue», sagt Tanja Pilgrim. Sie mag es ihrer Tochter und den Teamkolleginnen gönnen. «Sie haben einen tollen Teamgeist. Jede mag es jeder gönnen, von Eifersucht keine Spur.» Die Nati hat im Sturm die Herzen der Schweizer erobert. «Endlich kriegen sie auch einmal diese Aufmerksamkeit, die sie verdient haben.»
Im Hause Pilgrim wird oft getanzt
Diese Sichtbarkeit sei wichtig, sagt Tanja Pilgrim. «Sie ist das A und O für den Frauenfussball.» Sie hofft, dass der Boom auch nach der EM anhält und die Schweizer Liga in dem Mass professionalisiert wird, dass die jungen Frauen nebenher nicht noch Vollzeit arbeiten müssen. Denn was es heisst, Fussball und Beruf unter einen Hut zu bringen, hat die Mutter hautnah erlebt, als Alayah ihre Lehre als Fachfrau Gesundheit absolvierte. «Sie stand um 6 Uhr auf und kam oft erst um halb 12 Uhr ins Bett, nachdem ich sie vom Training beim FC Basel abgeholt habe. Die Doppelbelastung war schon extrem.»
Eigentlich wäre der Wunsch der Mutter gewesen, dass ihre Tochter einmal tanzt. Deswegen verschwieg Alayah, als sie mit acht an einem Schülerturnier entdeckt wurde und im lokalen Fussballclub erstmals mit den Jungs trainierte. «Aber wenige Tage später hat mich dann der Trainer angerufen und da habe ich mich schnell umstimmen lassen», sagt Tanja Pilgrim. Getanzt wird im Hause Pilgrim dennoch regelmässig. «Wenn Freunde der Kinder zu Besuch sind, schalten wir oft Musik ein und dann wird getanzt. Das sind sich unsere Nachbarn gewohnt.» Und mittendrin sitzt Mauzli.
Tanzt die Nati am Freitag gegen Spanien auch in den Halbfinal? «Natürlich sind wir Aussenseiter», sagt Tanja Pilgrim. «Aber wir haben schnelle Stürmerinnen. Und schliesslich hat Alayah gegen Spanien schon einmal getroffen.»