Darum gehts
- Sydney Schertenleib: Jüngste im Schweizer EM-Kader mit grossem Potenzial
- Sie spielt für FC Barcelona, wird mit Messi und Yamal verglichen
- Mit 16 Jahren zu GC gewechselt, ein Jahr später Angebot von Barcelona
Reykjavík. Mitte April. Als im Gespräch mit dem isländischen Trainer Thorsteinn Halldorsson (57) die Schweizer Nati zum Thema wird, sagt er: «Die Nummer 7, Schertenleib. Sie wird ein grosser Star im Frauenfussball. Sie hat Technik, Speed und Cleverness. Von ihr werden wir in den nächsten Jahren noch viel hören.»
Ein paar Wochen später in Stockholm sagt Nati-Trainerin Pia Sundhage (65): «Ich habe schon viele Talente trainiert, aber ich habe noch nie eine Spielerin gesehen, die sich innerhalb von weniger als einem halben Jahr so schnell entwickelt hat.»
Mitte Juni, im Nati-Camp in Nottwil, sagt Svenja Fölmli (22): «Sydney hat krasse Fähigkeiten mit dem Ball, das habe ich so noch nie gesehen. Deswegen will ich den Ball jeweils gar nicht unbedingt und überlasse ihr diesen, damit ich mich bereits in der Box positionieren kann.»
Sydney Joy Schertenleib, im Januar 2007 geboren und damit die Jüngste im Schweizer EM-Kader. Ihre spielerischen Anlagen wecken Fantasien und schüren Hoffnung, dass die Heim-EM zu einem Schweizer Sommermärchen wird. Ihr zweiter Vorname steht sinnbildlich dafür, wenn man Schertenleib spielen sieht. Die Leichtigkeit, mit der sie den Ball beherrscht, ist eine wahre Freude, wie sie ihre Gegenspielerinnen aussteigen lässt, ein Genuss.
Gross denken, gross träumen
Eine, die Schertenleibs Weg eng verfolgt hat, ist die U19-Natitrainerin Veronica Maglia (35). Als sie diese im August 2022 bei der U17 nach ihren Zielen fragt, sagt Schertenleib, dass sie an die WM 2023 wolle. «Da wurde mir klar, mit wem ich es zu tun habe. Eine junge, sensible Frau, die aber sehr gross denkt.» Schertenleib verpasst zwar die WM-Teilnahme, inzwischen ist sie aus der Nati aber nicht mehr wegzudenken.
Aufgewachsen ist Schertenleib in Richterswil ZH, zusammen mit ihren Eltern und den beiden älteren Schwestern Josephine (23) und Lillian (20). Als Mädchen spielt sie mit den Nachbarskindern im Quartier, auf sogenannten «Spielstrassen». Zwar wird auch Räuber und Poli gespielt, aber das Interesse gilt vor allem einem Objekt: dem Ball. Strassenfussball auf zwei Hockeytore – mittendrin die kleine Sydney, gegen die auch die Jungs gelegentlich das Nachsehen haben. «Ich habe es geliebt, ihren Blick zu sehen, wenn ich an ihnen vorbeigezogen bin», sagt Schertenleib mit einem Lachen.
Das Bewegungstalent probiert sich auch in anderen Sportarten. Tennis oder Basketball, wie ihre Mutter, die aus Florida stammt. Doch die grosse Liebe gilt dem Fussball. Schertenleib tritt den D-Juniorinnen des FC Wädenswil bei. Schnell ist ihr Talent ersichtlich. Dass die Tochter aber für Höheres berufen ist, wird dem Vater erst vor Augen geführt, als ein Juniorentrainer des FCZ ihn darauf hinweist, dass Schertenleib mit ihrem Talent hier am falschen Ort sei.
Rasanter Aufstieg in Barcelona
Beim FCZ entwickelt sie sich weiter, nur reibungslos verläuft der Aufstieg aber nicht. Schertenleib lernt, Widerstände zu überwinden, wechselt mit 16 zu GC, um in der 1. Mannschaft der Hoppers Spielzeit zu sammeln und sich auch gegen Erwachsene durchzusetzen. «Da haben die Jungen auch einmal auf die Socken gekriegt», erinnert sich Lara Dickenmann (39), die damalige General Managerin von GC. Aber der Plan geht auf. Ein Jahr später flattert das Angebot des FC Barcelona ins Haus. Champions-League-Sieger 2021, 2023 und 2024, das Nonplusultra im Frauenfussball.
Spätestens jetzt werden auch die Medien und Sponsoren auf Schertenleib aufmerksam. Doch ist der Sprung nicht zu gross? Für sie ist es der richtige Schritt, denn der auf spielerische Dominanz ausgelegte Spielstil entspricht ihren Fähigkeiten. Die Katalanen wissen, wie man mit talentierten Fussballern umgeht. In La Masia, dem berühmten Nachwuchszentrum, sind schon Lionel Messi (38), Lamine Yamal (17) oder Aitana Bonmati (27) zu Weltstars gereift.
Angedacht ist, dass Schertenleib die Vorbereitung mit der 1. Mannschaft absolvieren darf, um sich danach im Reserveteam weiterzuentwickeln. Dort kommt sie auch sporadisch zum Einsatz, darf jedoch weiterhin mit dem A-Team trainieren – und schon bald spielt sie regelmässig an der Seite von Superstars wie Bonmati, Caroline Graham Hansen oder Ewa Pajor. «Es ist ihre Welt», sagt Maglia. «Sie muss sich mit den Besten messen, denn in der Schweiz hatte ich nie das Gefühl, dass sie einmal in den vierten oder fünften Gang hochschalten muss.»
Auch musisch begabt
Auf dem Platz steht Schertenleib im Scheinwerferlicht, daneben steht sie aber nicht gerne im Mittelpunkt. Als Kind ist sie eher introvertiert, behält ihre Gefühle für sich, was für die Mutter nicht immer ganz einfach ist. Erst in der Pubertät öffnet sie sich mehr, innerhalb des Teams ist sie gut integriert, aber keine, die sich in den Vordergrund drängt. Sie zieht sich auch mal zurück, ist zufrieden mit sich und der Welt, hört Musik, träumt vor sich hin oder schaut im Internet Fussball-Videos. Die Musik ist ihre zweite grosse Leidenschaft. Während ihrer Schulzeit nimmt sie auch einige Jahre Klavierunterricht, noch heute spielt sie in ihrer Freizeit gerne moderne klassische Stücke.
Torhüterinnen: Nadine Böhi, Elvira Herzog, Livia Peng
Verteidigerinnen: Luana Bühler, Viola Calligaris, Noelle Maritz, Nadine Riesen, Julia Stierli
Mittelfeld und Sturm: Iman Beney, Noemi Ivelj, Sandrine Mauron, Géraldine Reuteler, Coumba Sow, Smilla Vallotto, Lia Wälti, Ana-Maria Crnogorcevic, Svenja Fölmli, Alisha Lehmann, Alayah Pilgrim, Sydney Schertenleib, Leila Wandeler, Riola Xhemaili, Meriame Terchoun
Torhüterinnen: Nadine Böhi, Elvira Herzog, Livia Peng
Verteidigerinnen: Luana Bühler, Viola Calligaris, Noelle Maritz, Nadine Riesen, Julia Stierli
Mittelfeld und Sturm: Iman Beney, Noemi Ivelj, Sandrine Mauron, Géraldine Reuteler, Coumba Sow, Smilla Vallotto, Lia Wälti, Ana-Maria Crnogorcevic, Svenja Fölmli, Alisha Lehmann, Alayah Pilgrim, Sydney Schertenleib, Leila Wandeler, Riola Xhemaili, Meriame Terchoun
In Barcelona wird sie im Nu zum aufgehenden Stern am internationalen Fussball-Himmel. Den Hype um sie in den sozialen Medien versucht sie auszublenden, denn dort wird sie gelegentlich auch schon mit Messi oder Yamal verglichen. «Ihr Leben hat sich 180 Grad verändert. Damit umzugehen, musste sie lernen», sagt Dickenmann. Dass sie trotzdem ihre Unbeschwertheit und Jugendlichkeit bewahrt hat, freut die ehemalige GC-Chefin. «Aber man darf nie vergessen, wie jung sie noch ist.»
Sydney Schertenleib scheinen keine Grenzen gesetzt. Die Experten sind sich einig: Wenn sie von Verletzungen verschont bleibt, hat sie eine grosse Karriere vor sich. Sie selbst sagt nach ihrer Ankunft im EM-Camp: «Ich will eines Tages den Ballon d’Or gewinnen.» Dass sie das Potenzial dazu hat, daran zweifelt niemand.