Das isländische Erfolgssystem
«Nie aufgeben und kämpfen ist in unserer DNA»

Island hat nur knapp 400'000 Einwohner. Trotzdem ist der Inselstaat im Nordatlantik in Anbetracht seiner Grösse im Sport extrem erfolgreich. Blick versucht bei einem Besuch im Land der Fjorde und Geysire, dem Erfolgsgeheimnis auf die Spur zu kommen.
Publiziert: 05.07.2025 um 15:41 Uhr
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Aktualisiert: 05.07.2025 um 18:44 Uhr
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Klein, aber erfolgreich: Island nimmt zum fünften Mal in Folge an einer Frauen-EM teil.
Foto: AFP
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Christian FinkbeinerStv. Fussballchef

Mitte April in Reykjavík. Das Wetter ist garstig, eine kalte Brise weht vom Meer in die Hauptstadt Islands. In dem sich im Umbau befindenden Nationalstadion Laugardalsvöllur befindet sich auch der Sitz des Fussballverbands Knattspyrnusamband Island, kurz KSI. Die Büros sind modern, ein gutes Dutzend Menschen arbeiten in einer entspannten Atmosphäre. Auch unbekannte Besucher spricht man mit Du an. Und wenn über jemand diskutiert wird, dann wird immer der Vorname genannt. Der Umgang ist unkompliziert, aus dem ursprünglich für eine halbe Stunde vereinbarten Termin mit dem technischen Direktor Jörundur Sveinsson (54) wird eine knappe Stunde.

Gleich bei der Einstiegsfrage, ob er nur für die Frauen oder auch für die Männer verantwortlich sei, schmunzelt Sveinsson: «Diese Frage wird mir oft gestellt. Wir unterscheiden hier nicht. Für uns gibt es nur einen Fussball.» Wenn es um das Thema Gleichstellung geht, gehört Island zu den führenden Nationen weltweit. «Unsere Premierministerin, die Staatspräsidentin, die Polizeikommandantin, die Bischöfin von Island – alle wichtigen Positionen im Land sind derzeit von Frauen besetzt», sagt Sveinsson mit einem Lachen. Gleichstellung sei hier das Normalste der Welt. Deswegen ist es selbstverständlich, dass die beiden Nationalteams vom Verband die gleichen Prämien bekommen.

Die Republik Island, die während des Zweiten Weltkriegs in dieser Form gegründet wurde und die vollständige Unabhängigkeit von Dänemark erlangte, zählt nur knapp 400’000 Einwohner. In Anbetracht dessen ist es mehr als erstaunlich, wie erfolgreich der Inselstaat im Nordatlantik ist. Die Frauen nehmen zum fünften Mal in Folge an einer EM-Endrunde teil, die Männer sorgten an der EM 2016 für Furore, als sie in Frankreich im Achtelfinal England eliminierten und erst in der Runde der letzten acht am Gastgeber scheiterten. Die bekanntesten Namen damals: Gylfi Sigurdsson, Eidur Gudjohnsen oder der Ex-FCB’ler Birkir Bjarnason. Die WM 2018 war allerdings die bislang letzte Turnierteilnahme der Männer, nun ist eine neue Generation im Aufbau, die einst Ähnliches schaffen soll.

Jedes Kind hat die gleichen Möglichkeiten

Auch in anderen Sportarten wie Handball oder Kunstturnen ist Island erfolgreich, der populärste Sport nach Fussball sei aber inzwischen Golf, so Sveinsson. Worin liegt das Geheimnis dieses Erfolgs? Für den Vater von drei Töchtern und drei Söhnen gibt es zwei entscheidende Faktoren. «Erstens ist es unsere Mentalität, die den Kindern in der Erziehung mitgegeben wird: nie aufgeben, kämpfen, gewinnen wollen. Das ist bei all unseren Sportlern in der DNA. Zweitens hat jedes Kind im Alter von 5 bis 19 Jahren an seinem Wohnort die Möglichkeit, alle Sportarten unter organisierten Bedingungen auszuüben.»

Die Gemeinden sind für die Infrastruktur verantwortlich, die Klubs und der Verband dafür, dass genügend Trainer ausgebildet werden, welche die stufengerechte Uefa-Ausbildung haben. Die Eltern bezahlen einen Jahresbeitrag von rund 1000 Euro. Die Kleinsten trainieren zweimal pro Woche, ab dem elften Altersjahr kann die Anzahl der Trainings beim stärksten Team des Jahrgangs bis auf fünf steigen. Entscheidend, damit das System funktioniert, ist, dass kein isländischer Klub in privatem Besitz ist, sondern der Gemeinde gehört. «Vor ein paar Jahren gab es einmal ein paar Übernahmeversuche, diese wurden aber abgeblockt», sagt Sveinsson.

Das Sportsystem wird in Island auch als präventive Massnahme bei der Erziehung der Jugendlichen verstanden. «Eine drogenfreie Gesellschaft gibt es auch bei uns nicht», sagt Sveinsson. Aber dass Sport und Bewegung der Gemeinschaft helfen, sei keine neue Erkenntnis. Dass Fussball auch während der dunklen und frostigen Wintermonate gespielt werden kann, liegt daran, dass seit den Neunzigerjahren und dem Aufkommen von Kunstrasen landesweit Indoor-Hallen gebaut werden. Insgesamt gibt es neun grosse Hallen landesweit, allein im Raum Reykjavík sind es fünf. Dazu kommen noch diverse kleinere Hallen.

Organisiertes Chaos

Der Besuch einer solchen Halle mit dem Namen Midgardur ein paar Kilometer ausserhalb von Reykjavík macht Eindruck. Es herrscht ein organisiertes Chaos. Das Fussballfeld mit den üblichen Massen ist in diverse kleine Felder aufgeteilt. Auf dem einen spielen fünfjährige Mädchen gegeneinander, auf einem anderen werden spielerisch Übungen gemacht, dazwischen tollen ein paar Buben herum, die sich in diesem Moment aber nicht für einen Ball interessieren.

Auf dem Platz nebenan spielen sich ein paar Ältere in Freizeitkleidung einen Ball zu, während auf dem gleichen Feld ein Jugendlicher eine Horde Kinder anleitet. Am Kopf der Halle auf einem Nebenplatz wärmen sich zwei Mädchen-Teams auf, daneben findet Gymnastik für ältere Leute statt, und ein paar Erwachsene stählen im Kraftraum ihre Muskeln. Eine Kletterwand sorgt dafür, dass auch andere Bedürfnisse befriedigt werden. Das Ganze ist kostenlos und unkompliziert, mit Ausnahme eines Ess- und Rauchverbots scheint es keine Regeln zu geben.

In diesen Hallen sollen die nächsten Stars heranwachsen. Fussball ist der grösste Sport auf Island. Insgesamt gibt es rund 32’000 registrierte Fussballer, was rund acht Prozent der Bevölkerung entspricht. Rund 10’000, und damit ein Drittel, sind Frauen. Das Nationalteam ist das Aushängeschild, allen voran Captain Glodis Viggosdottir (30), die 2024 zum Sportler des Jahres gewählt worden ist – auch bei dieser Wahl werden Männer und Frauen nicht unterschieden.

«Glodis ist ein grosses Vorbild – für Mädchen wie auch für Jungs», sagt Sveinsson. «Sie ist eine fantastische Person und eine grossartige Leaderin.» Auch im Duell gegen die Schweiz soll die gesundheitlich angeschlagene Verteidigerin von Bayern München ihr Team anführen und mit ihrem Auftritt eine nächste Generation von isländischen Fussballerinnen inspirieren. Schliesslich will der Inselstaat aus dem Nordatlantik auch in Zukunft an Fussball-Endrunden für Furore sorgen – auch dank der seinen Einwohnern eigenen DNA.

Gruppe A
Mannschaft
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Playoffs
Gruppe B
Mannschaft
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Playoffs
Gruppe C
Mannschaft
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Playoffs
Gruppe D
Mannschaft
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Playoffs
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