Tragödie von Ramiswil SO
Wenn Tierliebe zur Sucht wird

Der Fall Ramiswil erschüttert die Schweiz: Über 160 Tiere in schlechtem Zustand, eine überforderte Halterin, viele offene Fragen. Fachleute sehen darin ein Beispiel für ein weitgehend verborgenes Problem – Animal Hoarding.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Der Tierschutzfall von Ramiswil SO erschüttert die Schweiz.
Foto: Karin Frautschi

Darum gehts

  • Tierhalterin von Ramiswil suchte noch vor wenigen Wochen Pflegeplätze für Hunde
  • Der Fall zeigt Merkmale von Animal Hoarding
  • 32'079 Tiere wurden 2024 vom Schweizer Tierschutz (STS) aufgenommen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sara BelgeriRedaktorin

Wie konnte es so weit kommen? Und warum hält ein Mensch so viele Tiere?

Das fragt sich die ganze Schweiz, seit letzte Woche einer der grössten Fälle mutmasslicher Tierquälerei im Kanton Solothurn aufgedeckt wurde. 120 Hunde wurden auf einem abgelegenen Hof in Ramiswil eingeschläfert. Zusätzlich beschlagnahmte das Veterinäramt 42 Pferde sowie zwei Ziegen. Praktisch alle Tiere waren in desolatem Zustand. Die Halterin wird wegen Verstosses gegen das Tierschutzgesetz angezeigt.

Die Frau, Ernährungswissenschaftlerin und Mutter von acht Kindern, war den Behörden bekannt; diese waren mehrfach vor Ort und hatten Massnahmen angeordnet. Noch vor rund einem Monat suchte sie auf Facebook Pflegeplätze für Herdenschutzhunde – ein Hinweis darauf, dass sie «helfen» wollte, aber offenbar längst überfordert war. Ob es sich dabei um die Hunde handelte, die eingeschläfert wurden, ist nicht bekannt.

Die Sucht, Tiere zu sammeln

Der Fall weist Merkmale von Animal Hoarding auf – zu Deutsch: Tiersammelsucht. Tiere werden krankhaft gesammelt und auf engem Raum gehalten, ohne dass ihre Grundbedürfnisse erfüllt werden.

Gieri Bolliger (57) von der Stiftung für das Tier im Recht kann nicht bestätigen, dass es sich in Ramiswil eindeutig um dieses Phänomen handelt, aber «verschiedene Indizien sprechen dafür». Die grosse Anzahl der Tiere und ihr Zustand seien typisch. «In der Regel beginnt alles mit tierliebenden Absichten», sagt er. Menschen nähmen immer mehr Tiere auf, überzeugt davon, sie zu retten. «Dabei realisieren sie nicht, dass die Bedingungen zunehmend schlechter werden.» Oft komme soziale Verwahrlosung hinzu – offene Rechnungen, der Verlust von Strukturen. Auch das trifft auf den Fall Ramiswil zu: Laut «Tages-Anzeiger» hat die Halterin über 200’000 Franken Schulden. Und «La Liberté» schreibt, dass sie einem Freiburger Bauern rund 800’000 Franken schulde.

Offizielle Zahlen zu Animal Hoarding gibt es in der Schweiz nicht. Doch laut der Tierschutzstatistik 2024 des Schweizer Tierschutzes (STS) wurden letztes Jahr 32'079 Tiere aufgenommen – 572 mehr als im Vorjahr. 1234 davon stammten aus amtlichen Beschlagnahmungen, der Rest waren Verzichts- oder Findeltiere.

Ein Problem, das meist im Verborgenen bleibt

Dass es keine Statistik gibt, überrascht Esther Geisser (56), Präsidentin des Networks for Animal Protection (Netap), nicht. «Vieles passiert im Verborgenen.» Oft würden Fälle nur entdeckt, weil Nachbarn etwas bemerkten. Betroffen seien sämtliche Tierarten, insbesondere Katzen. Aber: «Ich habe schon Fälle erlebt, bei denen 300 Vögel gehalten wurden.» Hunde würden aufgrund ihres auffälligen Bellens jedoch seltener gehortet.

Geisser erlebt häufig, dass Angehörige oder Bekannte von Betroffenen um Hilfe bitten: «Viele Fälle landen gar nie beim Veterinäramt, weil wir früh eingreifen, mit den Leuten sprechen und die Tiere unterbringen können.» Fehle jedoch die Einsicht, melde man den Fall den Behörden. Etwa einmal pro Monat erhält sie eine Meldung bezüglich Hoarding-Verdachts. «Grosse Fälle gibt es aber nur rund fünf bis sechs pro Jahr.»

«Sie ist kein Monster»

Während Netap regelmässig mit Tierhortung zu tun hat, kennt der Verein Lessmess, ein schweizweites Messie-Netzwerk, bislang keine vergleichbaren Fälle. Allgemein sei über das Phänomen Animal Hoarding noch zu wenig bekannt, sagt Vorstandsmitglied Johannes von Arx (82). «Hoffentlich wird sich das durch diesen Fall ändern.»

Von Arx betont, dass Horten ein Verhalten sei, das oft mit tiefgreifenden Problemen oder kindlichen Traumata verbunden sei. Bei Tieren mit dem Helfersyndrom. Auch für die Halterin von Ramiswil gelte das: «Sie ist kein Monster. Das sollte bei aller berechtigten Kritik nicht vergessen gehen.»

Was braucht es, um solche Fälle künftig früher zu erkennen und Leid zu verhindern? Wichtig sei, dass Menschen den Mut hätten, Verdachtsfälle zu melden, und dass Veterinärämter eng mit Tierschutzorganisationen kooperierten, sagt Esther Geisser. «Wir sind ein grosses Netz an Organisationen und Freiwilligen und finden fast immer eine lebensbejahende Lösung.» Und: «Im Zentrum steht das Tierwohl.»

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