«Zehn schwer bewaffnete Personen sind hier hereingestürmt»
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Wegen Fahren ohne Fahrausweis:«Zehn schwer bewaffnete Personen sind hier hereingestürmt»

St. Galler Spezialeinheit fährt bei Werkzeug-Dieb ein – Familie unter Schock
«Mir wurde ein schwarzer Sack über den Kopf gezogen»

Mitte September brach die Interventionseinheit der Kantonspolizei St. Gallen Roland Svobodas (46) Tür auf und nahm ihn noch im Bett fest. Gemäss Polizei wurde der Deutsche mit Kriegserfahrung als gefährlich eingeschätzt – trotz eher kleinerer Delikte.
Publiziert: 00:20 Uhr
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«Ich sah nur noch grüne Laserpointer von Maschinengewehren auf meiner Brust»: So schildert Roland Svoboda den Polizeieinsatz. (Symbolbild)
Foto: Shutterstock

Darum gehts

  • Polizeieinsatz bei Bauarbeiter: Festnahme unter Waffengewalt wegen Fahrens ohne Erlaubnis
  • Freundin und Schwiegermama traumatisiert, leiden unter psychischen und finanziellen Folgen
  • Einsatz mit 10 Polizisten, darunter 6 schwer bewaffnete Einsatzkräfte
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sandro ZulianReporter News

Es passierte am 18. September um 5 Uhr morgens in St. Margrethen SG. «Erst schlugen die Hunde an, dann hörte ich Geschrei», sagt Roland Svoboda (46). Die Haustür wird aufgebrochen, Spuren zeugen jetzt noch davon.

Svoboda schreckt auf, versucht, irgendwo etwas zu finden, womit er sich verteidigen kann. Er geht von einem Einbruch aus. Ein paar Sekunden später verwirft er die Idee, denn: «Sie kamen ins Schlafzimmer. Ich sah nur noch grüne Laserpointer von Maschinenpistolen auf meiner Brust.» Unter Waffengewalt sei der Deutsche gezwungen worden, sich auf den Bauch zu legen. «Dann wurde mir ein schwarzer Sack über den Kopf gezogen.» Ebenfalls im Haus waren seine Partnerin Miriam R.* (46) und deren Mutter, Susanne R.* (72). 

Hausbesuch von der Kapo-Spezialeinheit

Erst später sollte Roland Svoboda begreifen, was hier geschehen war. «Sechs bis an die Zähne bewaffnete Einsatzkräfte der Kantonspolizei St. Gallen in Vollmontur» waren bei ihm zu Hause. Hinzu kommen nochmals vier Kriminalpolizisten. Während der Hausdurchsuchung wurde Svoboda mit auf den Posten genommen. Dort händigte man ihm Festnahme-, Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsbefehle aus. Mittags liess man ihn wieder gehen.

Der Anlass: Fahren ohne Fahrerlaubnis, Fahren in nicht fahrfähigem Zustand und Diebstahl. Svoboda wurde drei Tage zuvor erwischt, wie er ohne Führerausweis fuhr. Im Auto des Bauunternehmers fand man Geräte, die aus einem Diebstahl eine Woche davor stammen könnten, so die Polizei in den Dokumenten, die Blick vorliegen. Gemäss Svoboda handelte es sich dabei um ein Laservermessungsgerät und mehrere Werkzeugkoffer der Marke Hilti. «Es stimmt. Ich bin ohne Ausweis gefahren. Und ja, ich habe etwas gestohlen. Ich habe Scheisse gebaut. Das gebe ich zu.»

Der Hintergrund: Die Kantonspolizei St. Galler schätzte die Verhaftung offenbar als heikel ein. Es habe «Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Einsatzkräfte» gegeben, erklärt Milo Frey, Sprecher der Kantonspolizei. Die genauen Hintergründe darf der Polizeisprecher nicht nennen. Er bestätigte jedoch die zur Last gelegten Straftaten von Svoboda.

Nachdem Svoboda mit dem Diebesgut beim Zoll erwischt wurde, folgte eine lange Einvernahme, das Protokoll liegt Blick vor. Unkooperativ wirkt er dabei nicht. Warum ein solcher Einsatz drei Tage später nötig war, beantwortet Frey nicht.

Kriegserfahrung aus Tschetschenien

Der Deutsche war 2018 in die Schweiz gekommen. Er betont, dass er seither gearbeitet habe – und sich sonst nie etwas habe zuschulden kommen lassen. «Sicher nichts, das es rechtfertigen würde, mich so zu bedrohen und meine Freundin und Schwiegermutter derart zu verängstigen.»

Ein Faktor bei der Beurteilung der Polizei dürfte die Tatsache sein, dass Svoboda über Kriegserfahrung verfügt. In jungen Jahren kämpfte er als Berufssoldat im zweiten Tschetschenienkrieg für eine Spezialeinheit – gemäss eigenen Angaben gegen Menschenrechtsverletzungen und Völkermord. Der Polizeieinsatz rufe die Erinnerungen daran sofort zurück, erklärt er. 

Freundin und Schwiegermutter nervlich am Ende

Ähnlich sieht es Svobodas Partnerin Miriam R. Sie verliess das Schlafzimmer, als es im Haus laut wurde. Die Polizei hielt sie im Treppenhaus fest, während Svoboda im Schlafzimmer blieb. «Ich musste mit gespreizten Beinen, mit dem Kopf zur Wand stehen.»

Einsatz der Spezialeinheit: Das sagt der Experte

Der Experte erklärt: «Bei einem polizeilichen Zugriff ist letztlich nicht ausschlaggebend, was man einer Person vorwirft, sondern wie ihr Gefährdungspotential im Zusammenhang mit dem Einsatz eingeschätzt wird.

Denn die Art und Weise, wie eine Festnahme oder Hausdurchsuchung durchgeführt wird, ist ja nicht Teil der Bestrafung. Vielmehr geht es darum, dass die Polizeiangehörigen und weitere Drittpersonen durch einen Polizeieinsatz nicht unnötig gefährdet werden.

Es scheint, dass die St. Galler Kantonspolizei das Gewaltpotenzial der Person sehr hoch eingeschätzt hat und daher einen solchen ‹Zirkus› veranstaltet hat.

Das Problem ist leider, dass wir die vorgängige Lagebeurteilung der Polizei nicht kennen und diese auch nicht offengelegt wird. Das macht es unglaublich schwierig, von aussen die Verhältnismässigkeit der Aktion nachzuprüfen.

Genau für derartige Fälle wäre es eigentlich gut, es gäbe eine Ombudsstelle, die solche Fälle untersuchen könnte, ohne dass gleich ein Strafverfahren, eine Aufsichtsbeschwerde gegen die Polizeiangehörigen oder eine Staatshaftungsklage geführt wird. Der Kanton St. Gallen kennt aber keine Ombudsstelle. Dies im Unterschied zur Stadt St. Gallen.»

Benjamin Schindler (54) ist Professor für öffentliches Recht an der Hochschule St. Gallen (HSG). Im November erscheint im Stämpfli-Verlag das Buch «Polizeirecht», das Schindler mitverfasst hat.

Benjamin Schindler ist Professor für öffentliches Recht, Universität St. Gallen (HSG).
zVg

Der Experte erklärt: «Bei einem polizeilichen Zugriff ist letztlich nicht ausschlaggebend, was man einer Person vorwirft, sondern wie ihr Gefährdungspotential im Zusammenhang mit dem Einsatz eingeschätzt wird.

Denn die Art und Weise, wie eine Festnahme oder Hausdurchsuchung durchgeführt wird, ist ja nicht Teil der Bestrafung. Vielmehr geht es darum, dass die Polizeiangehörigen und weitere Drittpersonen durch einen Polizeieinsatz nicht unnötig gefährdet werden.

Es scheint, dass die St. Galler Kantonspolizei das Gewaltpotenzial der Person sehr hoch eingeschätzt hat und daher einen solchen ‹Zirkus› veranstaltet hat.

Das Problem ist leider, dass wir die vorgängige Lagebeurteilung der Polizei nicht kennen und diese auch nicht offengelegt wird. Das macht es unglaublich schwierig, von aussen die Verhältnismässigkeit der Aktion nachzuprüfen.

Genau für derartige Fälle wäre es eigentlich gut, es gäbe eine Ombudsstelle, die solche Fälle untersuchen könnte, ohne dass gleich ein Strafverfahren, eine Aufsichtsbeschwerde gegen die Polizeiangehörigen oder eine Staatshaftungsklage geführt wird. Der Kanton St. Gallen kennt aber keine Ombudsstelle. Dies im Unterschied zur Stadt St. Gallen.»

Benjamin Schindler (54) ist Professor für öffentliches Recht an der Hochschule St. Gallen (HSG). Im November erscheint im Stämpfli-Verlag das Buch «Polizeirecht», das Schindler mitverfasst hat.

Auch Susanne R. hat die Nacht noch präsent: «Plötzlich kommen die rein. Ich hatte solche Angst!» Die Beamten bewachten die beiden Frauen. «Jede Bewegung haben sie registriert.»

An Arbeit sei aktuell nicht zu denken, sagt Svoboda. «Ich kann Miriam nicht allein lassen, und ich bleibe bis in den Morgen wach.» Das Geld hätte vor dem Polizeieinsatz knapp gereicht. Jetzt geht Svoboda ein Arbeitsauftrag von knapp 7000 Franken durch die Lappen. «Wir haben Mietschulden», erklärt er. Am Wochenende wurde im Haus der Strom abgestellt. «Wir sind restlos am Ende.» 

Milo Frey ist Mediensprecher der Kantonspolizei St. Gallen.
Foto: Kantonspolizei St. Gallen

Polizeisprecher Frey ist überzeugt, dass der Einsatz angemessen war. «Von Polizeigewalt kann hier keine Rede sein.» Die Festnahme sei geordnet erfolgt. «Aufgrund der Einschätzung des Gefahrenpotenzials war der Einsatz verhältnismässig. Es kam weder zu einer Gefährdung der Einsatzkräfte noch zu einer Gefährdung von Drittpersonen.»

* Namen bekannt 

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