In der langen Debatte vom letzten Mittwoch ging es vor allem um die Rechtmässigkeit der geplanten Gesetzesänderung, aber auch um die Gemeinde Kirchberg, wo besonders viele Flüchtlingen aus Eritrea leben und es deshalb Probleme mit der Integration gibt.
Bei den Diskussionen stellte sich heraus, dass die vorberatende Kommission weder den Verband der St. Galler Gemeindepräsidenten (VSGP) noch den Trägerverein Integrationsprojekte (TISG) eingeladen hatte. Der TISG ist für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen zuständig. Angehört wurde nur eine einzige Gemeinde: Kirchberg.
VSGP-Präsident Rolf Huber (FDP) sagte im Rat, es sei schon erstaunlich, wenn die Stellen nicht eingeladen würden, die für die tägliche Arbeit mit den asylsuchenden Personen zuständig seien. Und ergänzte: Die Gemeinde Kirchberg habe in den Jahren 2023 und 2024 insgesamt 270'000 Franken an verfügbaren Integrationsgeldern nicht abgeholt. Ein Kommentar dazu erübrige sich.
Wieso hat Kirchberg nicht alle Gelder eingesetzt?
Die von Mitte-EVP und SVP durchgesetzte Gesetzesänderung dürfte bald vor Gericht landen. Nach einem Gutachten der Universität Fribourg verstösst sie sowohl gegen Bundes- als auch gegen Völkerrecht. Es gibt allerdings ein zweites Gutachten des ehemaligen Bundesrichters Hansjörg Seiler, das von der SVP in Auftrag gegeben wurde und zu einem anderen Resultat kommt.
In Seilers Schlussfolgerungen heisst es: Entscheidend sei, dass die Massnahmen verhältnismässig seien. Für eine Beurteilung müsse der Kanton St. Gallen in einem Gerichtsverfahren aufzeigen können, «dass die nachteiligen Erscheinungen, welche mit der Motion vermieden werden sollen, tatsächlich eine gewisse Bedeutung und Schwere aufweisen».
Für die FDP lagen dazu zu wenig Informationen vor. Es brauche den Nachweis, dass die vorgesehene Gesetzesänderung dem Integrationsziel diene und sich dadurch als verhältnismässig erweise, schrieb die FDP zu ihrem erfolglosen Rückweisungsantrag.
In einem Gerichtsverfahren könnte damit die Frage relevant werden, ob in den Gemeinden bereits genug für die Integration getan wird – und deshalb eine zusätzliche Massnahme wie die Zuweisung von Wohnraum notwendig wird.
Wieso aber hat die vom Problem besonders betroffene Gemeinde Kirchberg nicht alle Integrationsgelder eingesetzt? Die Zahl von nicht abgeholten 270'000 Franken sei korrekt, bestätigte Roman Habrik, Gemeindepräsident von Kirchberg, auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Sie habe aber absolut nichts mit dem im Kantonsrat diskutierten Problem der Flüchtlingsverteilung zu tun. Im aktuellen Kontext sei dies «eine Nebelpetarde, die wahrscheinlich vom eigentlichen Problem ablenken soll».
Nicht bei allen Personen gleich umfangreiche Massnahmen sinnvoll
Im Jahr 2024 sei die durchschnittliche Ausschöpfungsquote der Integrationsmittel aller St. Galler Gemeinden bei 71 Prozent gelegen. Kirchberg weise mit 78 Prozent eine überdurchschnittliche Ausschöpfung auf und stehe im kantonalen Vergleich gut da, führte Habrik aus.
Die Integrationsgelder könnten zur sprachlichen, beruflichen und sozialen Integration von Geflüchteten eingesetzt werden. Auch wenn es auf den ersten Blick naheliegend erscheine, sei es nicht die Idee, diese Mittel um jeden Preis vollständig abzurufen und einzusetzen.
Das Ziel sei ein gezielter, bedarfsgerechter Einsatz. Nicht bei allen Personen seien gleich umfangreiche Massnahmen sinnvoll. Ein vollständiger Mittelbezug ohne konkreten Bedarf wäre «weder nachhaltig noch verantwortungsvoll», so der Gemeindepräsident.