Ein Strafbefehl bringt die Wahrheit ans Licht
30 Jahre abgetaucht – Blick spürt DDR-Fussballstar in St. Gallen auf

Marco Köller gehörte zu den grössten Hoffnungsträgern des DDR-Fussballs. Er flog hoch – und fiel dann so tief wie kaum ein anderer. Anfang der 90er-Jahre beendete er seine Karriere und verschwand scheinbar spurlos. Bis Blick ihn in der Ostschweiz fand.
Publiziert: 24.07.2025 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 24.07.2025 um 16:48 Uhr
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Darum gehts

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Sandro ZulianReporter News

Am Bodensee steht ein unscheinbares, graues Haus. Darin lebt ein unscheinbarer, grauer Mann von Mitte 50. Er trägt einen Vollbart, fährt ein unscheinbares, graues Auto. Einzig die Aufschrift auf seinem Hut lässt gewisse Rückschlüsse zu: «Berlin».

Recherchen von Blick ergeben: Bei diesem Mann handelt es sich um den ehemaligen DDR-Fussballstar Marco Köller (56)! Eines der vielversprechendsten Talente des ostdeutschen Fussballs – und seit 30 Jahren von der Bildfläche verschwunden.

Damals hängte der von Verletzungen geplagte und skandalträchtige Spieler seine Karriere an den Nagel. Seitdem liess er nichts mehr von sich hören. Deutsche Medien rätseln seit Jahrzehnten, was mit dem Ausnahmespieler geschehen sein mag. Ein Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, der Blick vorliegt, enttarnte ihn nun. Widerwillig trifft er sich mit dem Reporter in seiner Wahlheimat, einer Bodensee-Gemeinde. 

«Mir gehts gut, nur die Arbeit stört ein bisschen», sagt er. Er ist gut drauf, auch wenn es jetzt wieder Rummel um seine Person gibt. Das war ihm noch nie ganz geheuer. «Et jeht mir uff'en Sack», sagt er unverblümt und in breitester Berliner Schnauze.

Das bewegte Leben des Marco Köller

Marco Köllers Karriere sieht aus wie ein Berg: Ende der 80er-Jahre beginnt ein kometenhafter Aufstieg – und das im zarten Alter von erst 17 Jahren:

  • 1986: U18-Europameister mit der DDR an der Seite des späteren Weltstars Matthias Sammer. Torschütze im Final gegen Italien.
  • 1987: U20-WM-Dritter
  • 1987: DDR-Meister mit dem Berliner FC Dynamo
  • 1988: DDR-Meister mit dem Berliner FC Dynamo
  • 1989: DDR-Vizemeister mit dem Berliner FC Dynamo
  • 1988: DDR-Pokalsieger
  • 1989: DDR-Pokalsieger

Kurz darauf aber folgte nach dem steilen Aufstieg ein ebenso steiler Fall. Köller galt als Ausnahmetalent, als fabelhafter Verteidiger.

Der blutjunge Defensivspieler hätte eine glänzende Zukunft gehabt. Hätte.
Denn Köller plagen Verletzungen: erst der Fuss, dann das Knie.

Im Herbst 1989 flieht er von der DDR in den Westen, kurz darauf fällt die Mauer. Die Fussballzeitschrift «11 Freunde» schrieb vergangenes Jahr über ihn: «Auf einmal sind Ost-Fussballer keine Rarität mehr, sondern fluten den Markt. Der Verteidiger ist plötzlich einer unter vielen und muss entgegen der eigenen Vorstellung um seinen Platz im rauen Profibusiness kämpfen.»

Köller begegnet den physischen und politisch-demografischen Rückschlägen mit Trotz – und Alkohol. Er trinkt zu viel und zu oft, wird mit ordentlich Promille am Steuer erwischt, prügelt sich, zockt im Casino, verliert Geld.

Im Dezember 1990 eskaliert es neuerdings: Köller, mittlerweile zum MSV Duisburg gewechselt, wird gegenüber seinem damaligen Arbeitgeber handgreiflich und schlägt den Geschäftsführer an der Weihnachtsfeier nieder. Betrunken.

Danach verlieren sich Köllers Spuren zunehmend. Er spielte noch einige Saisons beim SV Bau-Union Berlin in den Berliner Kreisligen B und A. 1996 gibt er dem «Spiegel» das bislang letzte Interview. Dort hiess es: «Fussball, sagt er, werde er nie wieder spielen.»

Danach verliert sich die Spur von Marco Köller. Bis heute.

Marco Köller (links) bei einem Spiel des FC Lok Leipzig gegen den Berliner FC Dynamo im Jahr 1987.
ullstein bild via Getty Images

Marco Köllers Karriere sieht aus wie ein Berg: Ende der 80er-Jahre beginnt ein kometenhafter Aufstieg – und das im zarten Alter von erst 17 Jahren:

  • 1986: U18-Europameister mit der DDR an der Seite des späteren Weltstars Matthias Sammer. Torschütze im Final gegen Italien.
  • 1987: U20-WM-Dritter
  • 1987: DDR-Meister mit dem Berliner FC Dynamo
  • 1988: DDR-Meister mit dem Berliner FC Dynamo
  • 1989: DDR-Vizemeister mit dem Berliner FC Dynamo
  • 1988: DDR-Pokalsieger
  • 1989: DDR-Pokalsieger

Kurz darauf aber folgte nach dem steilen Aufstieg ein ebenso steiler Fall. Köller galt als Ausnahmetalent, als fabelhafter Verteidiger.

Der blutjunge Defensivspieler hätte eine glänzende Zukunft gehabt. Hätte.
Denn Köller plagen Verletzungen: erst der Fuss, dann das Knie.

Im Herbst 1989 flieht er von der DDR in den Westen, kurz darauf fällt die Mauer. Die Fussballzeitschrift «11 Freunde» schrieb vergangenes Jahr über ihn: «Auf einmal sind Ost-Fussballer keine Rarität mehr, sondern fluten den Markt. Der Verteidiger ist plötzlich einer unter vielen und muss entgegen der eigenen Vorstellung um seinen Platz im rauen Profibusiness kämpfen.»

Köller begegnet den physischen und politisch-demografischen Rückschlägen mit Trotz – und Alkohol. Er trinkt zu viel und zu oft, wird mit ordentlich Promille am Steuer erwischt, prügelt sich, zockt im Casino, verliert Geld.

Im Dezember 1990 eskaliert es neuerdings: Köller, mittlerweile zum MSV Duisburg gewechselt, wird gegenüber seinem damaligen Arbeitgeber handgreiflich und schlägt den Geschäftsführer an der Weihnachtsfeier nieder. Betrunken.

Danach verlieren sich Köllers Spuren zunehmend. Er spielte noch einige Saisons beim SV Bau-Union Berlin in den Berliner Kreisligen B und A. 1996 gibt er dem «Spiegel» das bislang letzte Interview. Dort hiess es: «Fussball, sagt er, werde er nie wieder spielen.»

Danach verliert sich die Spur von Marco Köller. Bis heute.

Seit mehr als 30 Jahren arbeitet er auf dem Bau. Seine Schritte auf dem Kiesweg am Bodenseeufer sind langsam und bedächtig, sein Körper ist müde. «Bizepsriss da und hier Sehne gerissen», sagt er und deutet auf seine Arme. «Vielleicht kann ich mich hier frühpensionieren lassen. Mit 63», sagt Köller hoffnungsvoll. 13 Jahre lebt er schon am See im Kanton St. Gallen.

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Marco Köller während eines Interviews 1986.
Foto: Screenshot

Die Zeit als Profifussballer ist in den letzten drei Jahrzehnten in weite Ferne gerückt. «Ich habe damit abgeschlossen. Das ist lange her», stellt er gleich zu Beginn des Interviews auf einer hölzernen Picknickbank klar.

Marco Köller am Bodensee. Hier wohnt er seit 13 Jahren unerkannt.
Foto: Sandro Zulian

Etwas aber bereut er: «Wär ich doch nicht geflüchtet damals. Das war nicht die beste Idee.» Denn der Zeitpunkt von Köllers Flucht aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1989 war äusserst unglücklich gewählt. «Ich kam an, und die Wende war da», sagt er. Seine Augen wandern über den Horizont. Die deutsche Küste ist in der Ferne zu sehen.

«Einer der grössten Zufälle meiner Karriere»
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Blick-Reporter Zulian:«Einer der grössten Zufälle meiner Karriere»

Ob er hierhergezogen ist, um seine Heimat immer ein wenig bei sich zu haben, will Blick wissen. «Nö, damit ick den See seh'n kann», sagt Köller, ein kehliges Lachen erklingt, danach folgt ein Griff zur Zigarettenschachtel. Köller ist sympathisch, kauzig, bodenständig, lustig. Er wirkt wie ein ganz normaler Chrampfer, der nebenbei einer der talentiertesten Fussballspieler Deutschlands war. Noch rasch – und fast aus Versehen.

«
«Ich hab mich mal selber fasziniert, als ich zwei Kopfballtore in Leipzig gemacht habe.»
»

So war es auch ein bisschen, sagt Köller: «Man fängt an als kleiner Steppke (pfiffiger, kleiner Junge, Berliner Dialekt, Anm. d. Red.), und dann auf einmal steht man da mit 17 in einer Jugendnationalmannschaft. Das war schon merkwürdig.»

Auch heute noch denkt Köller gern zurück: «Ich hab mich mal selber fasziniert, als ich zwei Kopfballtore in Leipzig gemacht habe.» Sein BFC Dynamo, gelenkt ausgerechnet von Stasi-Chef Erich Mielke, verlor das Spiel in der DDR-Oberliga am 10. Mai 1989 zwar mit 2:4, aber: «Da stand ich als Kopfball-Ungeheuer am Ende des Jahres mit auf der Torschützenliste.» Köller muss lachen und sagt: «Ich war ja eher der Kampfzwerg.»

Nach seinem Karriereende büezte der Berliner und wohnte in Berlin, Brandenburg, Leipzig und im österreichischen Vorarlberg. Vor 13 Jahren kam er an den Bodensee. «Die Finanzen» hätten ihn in die Schweiz gezogen, sagt er und lacht. «Drüben ists nicht vorwärtsgegangen mit den Gehältern. Da musste ich woanders hin.»

Köller hat eine 18-jährige Tochter, sie macht gerade ihre Matur in Berlin. Bald soll sie zu Besuch kommen. Köller ist geschieden, eine Freundin hat er derzeit nicht.

«
Ich bin nicht abgetaucht. Wo hätte ich denn auch hintauchen sollen?
»

«Ich bin offiziell nicht abgetaucht», sagt er, konfrontiert mit den Medienberichten der letzten Jahrzehnte. «Ich hab nur aufgehört mit Fussball und hab dann gearbeitet. Mehr ist da nicht. Wo hätte ich denn auch hintauchen sollen?» Wieder so ein lustiger Satz.

Dass ganz Fussballdeutschland wissen will, ob es ihm gut geht, ja, ob es ihn überhaupt noch gibt, fällt ihm schwer zu glauben. «Ich empfinde mich nicht als berühmt.» Das Geschwätz interessiere ihn eh nicht: «Sollen sie denken, was sie wollen.»

«
«Es geht mir auf den Sack, dafür so viel bezahlen zu müssen, bei Sky und so.»
»

Fussball spielt in seinem Leben kaum mehr eine Rolle. Selber spielen kann er nicht mehr, im Fernsehen verfolgt er Fussball auch nicht oft. Der einfache Grund: «Es geht mir auf den Sack, dafür so viel bezahlen zu müssen, bei Sky und so.»

Fussballprofi wäre er gern länger geblieben: «Hätte ich noch ordentlich laufen können, wäre das weitergegangen.»

Eine Autogrammkarte von Marco Köller aus seiner Zeit beim MSV Duisburg.
Foto: Autogrammoase.de

Doch nicht nur seine Verletzungen waren problematisch, sondern auch sein Verhalten. Verschiedene Artikel berichten davon. Er war Lebemann, Partytiger, Unruhestifter. Und: Trinker. Köller wird nachdenklich: «Gegen Ende durfte ich wegen meiner Verletzung kaum mehr laufen. Und deswegen habe ich noch mehr getrunken.» Gern spricht er nicht darüber. Lieber erzählt er von seinen damaligen Erlebnissen auf dem Platz.

Die «Dresche» am 11. Oktober 1988 im Europapokal der Landesmeister. Köller (ganz l.) schaut zu, wie der Dresdner Manfred Burgsmüller das 0:4 gegen den BFC Dynamo schiesst.
Foto: imago images/Sven Simon

Sein altes Leben und die Probleme scheinen ihn auch in der Schweiz nicht gänzlich in Ruhe zu lassen. Blick fand den Ausnahmespieler nur aufgrund eines gegen ihn erlassenen Strafbefehls der Staatsanwaltschaft St. Gallen. Er hatte seinem Vermieter per Whatsapp gedroht. Dieser schaue dem Haus zu wenig, kritisiert Köller: «Da kriegt man schon mal so einen Hals.» Seine Nachrichten kosten ihn nun rund 1500 Franken Strafe.

Die Wohnung ist gekündigt, Köller zieht weiter. Besorgte Fans will er wissen lassen: «Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben, keiner braucht sich Sorgen machen. Ich lebe.»

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