Jugendliche mit Long Covid kämpft sich zurück
«Ich fühle mich wie lebendig begraben»

Eliane lebt seit drei Jahren mit Long Covid – wie Tausende andere Kinder und Jugendliche in der Schweiz. Noch immer wird das Leiden bagatellisiert. Die 15-Jährige will das ändern, erzählt sie dem Beobachter.
Publiziert: 19.09.2025 um 19:03 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2025 um 21:07 Uhr
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Foto: Samuel Schalch

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Jasmine Helbling und Birthe Homann
Beobachter

«Vor kurzem wurde ich im Bekanntenkreis so vorgestellt: ‹Weisst du, das ist die mit Long Covid.› Das hat mich gestört. Klar, ich bin stark eingeschränkt. An guten Tagen habe ich nur Schwindel und Kopfschmerzen, an schlechten liege ich mit meinem Mischlingshund Lucky im Bett. Über ein Jahr konnte ich nicht zur Schule. Aber ich bin mehr als meine Krankheit! Ich will nicht darauf reduziert werden, darum trete ich in diesem Text auch mit einem erfundenen Namen auf.

Ich bin 15, aus der Ostschweiz und in der Oberstufe. Bald soll ich mich für eine Lehre entscheiden. Medizin, Tiere, Mode – vorstellen kann ich mir vieles. Ich backe gerne Torten, male Bilder, style unser Zuhause um und schreibe brutale Krimis. Wenn es mir schlecht geht, lasse ich das an den Figuren aus.»

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Amerikanische Studien gehen davon aus, dass rund ein Prozent aller Kinder und Jugendlichen von Long Covid betroffen sind. In der Schweiz wären das etwa 18’000 junge Menschen. Eliane ist eine davon.

«Mit Corona steckte ich mich im Dezember 2021 an, da war ich 12 Jahre alt. Es ging mir nicht gut, aber auch nicht richtig schlecht. Zumindest im Vergleich zu meiner Mutter. Ihre Symptome waren so schwer, dass sie nicht mehr arbeiten konnte und nur noch zu Hause lag.»

Long Covid kommt familiär gehäuft vor. Das belegt eine Studie der Universität Freiburg (D). Insbesondere Frauen und Mädchen sind stark betroffen. «Rund 400 Familien, hauptsächlich aus der Deutschschweiz, tauschen sich derzeit in unserer Facebook/Whatsapp-Gruppe aus», sagt Claudia Schumm, Präsidentin von Long Covid Kids Schweiz. Die Zahl steige stetig.

Brain Fog, extreme Erschöpfung, Herzrasen

Die Symptome reichen von extremer Erschöpfung über Schlafstörungen bis zum sogenannten Brain Fog, Nebel im Kopf. Auch Schwindel, Herzrasen, Seh- und Hörstörungen sind häufig.

Typisch sind Crashs: Der Gesundheitszustand verschlechtert sich nach körperlicher oder geistiger Belastung stark. Meist ein bis drei Tage nach der Anstrengung, manchmal für mehrere Wochen. Die schlimmste Form von Long Covid ist ME/CFS. Eine neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad an körperlicher Behinderung führt.

«Vor der Ansteckung spielte ich dreimal pro Woche Unihockey, doch plötzlich fehlte mir die Kraft. Rennen ging kaum, für Kraftübungen war ich zu schwach, mit den Jungs hielt ich nicht mehr mit. Eine Weile redete ich mir ein, es liege daran, dass ich ein Mädchen bin. Nach den Sommerferien gab ich den Sport auf. Das war eine schwere Entscheidung.

Im Herbst begann die Sek. Anfangs lief es okay, im zweiten Halbjahr fehlte ich aber so oft, dass im Zeugnis nur noch ‹besucht› stand. Die Schule tolerierte das. Wahrscheinlich, weil meine Eltern beide Lehrer sind.

In der Familie dachten wir schnell an Long Covid, die Kinderärztin vermutete aber eine psychische Ursache. Sie empfahl Bewegung: Ich solle während der Wintersportwoche jeden zweiten Tag Ski fahren. Dabei war ich schon nach dem Anziehen der Skischuhe erschöpft. Auch im Spital hiess es, es sei psychisch – selbst als ich mit abartigen Kopf- und Bauchschmerzen auf den Notfall musste.»

 

An schlechten Tagen spendet Mischlingshund Lucky Trost.
Foto: Samuel Schalch

Die Ursache sei psychisch, heisst es schnell

Bis zur Diagnose vergeht oft viel Zeit. Es gibt weder einen Test noch einen Laborwert, der Long Covid eindeutig bestätigt. Die Diagnose basiert vor allem auf unspezifischen Symptomen, die auch bei anderen Krankheiten oder sogar in typischen Wachstumsphasen auftreten können. Jüngeren Kindern fällt es zudem schwer, ihre Beschwerden zu benennen.

Wenn sich kein klares Bild ergibt, heisst es schnell: Die Ursache ist psychisch. «Viele Kinderärzte wissen wenig über Long Covid. Oft werden die Beschwerden als psychosomatisch beurteilt», bestätigt Maja Strasser, Fachärztin für Neurologie. Strasser hat sich in ihrer Praxis in Solothurn auf die Behandlung von Long Covid spezialisiert.

«Vor Schmerzen konnte ich kaum essen und schlafen, wog noch 45 Kilo und bekam Schlafstörungen. Bald litt auch die Psyche. Ich hatte so schlimme Panikattacken, dass ich nicht mehr leben wollte. Meine Eltern brachten mich in eine psychiatrische Klinik. Ich war aber nur ein paar Tage da, weil mir die anderen Patienten noch mehr Angst machten.

Erst im Juni 2023, eineinhalb Jahre nach der Ansteckung, erhielt ich im Kinderspital Zürich meine Diagnose: Long Covid. Also doch.»

Gegen Long Covid gibt es kein Heilmittel. Betroffene müssen mühsam ausprobieren, was helfen könnte. Bei Kindern und Jugendlichen ist die Behandlung noch schwieriger. Sie sind kleiner und leichter, brauchen also eine geringere Dosis.

Viele Medikamente sind für sie nicht zugelassen – selbst wenn sie Erwachsenen helfen. In Betroffenenkreisen werden teils Off-Label-Medikamente empfohlen. Etwa Nikotinpflaster, die manchen helfen, obwohl sie für etwas anderes gedacht sind. Ärzte sind aber meist zurückhaltend.

«Für kurze Zeit bezahlte unsere Krankenkasse eine Haushaltshilfe. Einmal meinte sie, ich solle nicht so faul rumliegen, sondern selbst aufräumen. Auch von Gleichaltrigen kam wenig Verständnis. Im Klassenlager rannte eine Freundin ständig davon – obwohl sie wusste, dass ich nicht hinterherkam.

Eine andere Freundin meldete sich plötzlich nicht mehr. Ich wurde im Stich gelassen, mein Freundeskreis hat sich aufgelöst. Ich fühlte mich wie lebendig begraben.

Nach den Sommerferien sollte ich die 1. Sek repetieren, weil ich so viel Stoff verpasst hatte. Nach zwei Wochen wurde ich aber wieder krank. Meine Eltern fanden, ich solle eine Weile zu Hause bleiben. Wir wussten noch nicht, dass es über ein Jahr werden sollte.»

Long Covid kommt familiär gehäuft vor. Da Elianes Mutter schwer erkrankt ist, blieben ihre eigenen Symptome lange unbemerkt.
Foto: Samuel Schalch

Wenig Unterstützung in Sachen Schule

Die Schulpflicht ist bei vielen Familien ein Thema. Fehlen die Kinder oft oder über lange Zeit, wird Eltern zuweilen gar mit einer Gefährdungsmeldung bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde gedroht. Elianes Eltern wünschten sich Homeschooling, damit ihre Tochter im eigenen Tempo lernen kann.

Ihre Mutter sagt rückblickend: «Ich habe mich beim Kanton und bei der Gemeinde erkundigt, doch es gab keine Unterstützung.» Weil sie selbst Lehrpersonen sind, versuchten sie, den Unterricht ihrer Tochter zu organisieren – nebst deren Vollzeitpflege. Erst Monate später kam seitens der Schule jemand einmal pro Woche nach Hause zu Eliane.

«Die Schlafstörungen und Panikattacken kehrten zurück. Wieder verlor ich jeglichen Lebenswillen. Der Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienst empfahl eine Reha. Doch wir wussten von anderen Betroffenen: Dort setzt man auf Aktivierung, was den Zustand meist nur verschlimmert. Wir hörten, manche Kinder seien im Rollstuhl aus der Reha zurückgekommen.

Lange suchten wir nach Alternativen und probierten vieles aus. Heute gehe ich alle drei Wochen zur Psychologin. Dazu kommen Chinesische Medizin, Komplementärmedizin und leichte Physio. Abends hilft mir ein Melatonin-Spray beim Durchschlafen, morgens nehme ich Nahrungsergänzungsmittel.

Am meisten geholfen hat mir eine Whatsapp-Gruppe mit rund 40 betroffenen Kindern und Jugendlichen – endlich fühlte ich mich weniger allein. In der Gruppe tauschen wir Erfahrungen aus, geben uns Rat. Inzwischen leite ich die Gruppe. Wir wollen sichtbar werden und gehört werden. Auch deshalb habe ich diesem Artikel zugestimmt.»

Unabhängige Coaches und Case Manager gefordert

Tatsächlich sind es oft Betroffene, die Betroffenen helfen. «Die Unterstützung von medizinischen Fachpersonen oder offiziellen Stellen ist hingegen unzureichend», kritisiert denn auch Chantal Britt. Sie ist Präsidentin von Long Covid Schweiz und Gewinnerin des Beobachter-Prix-Courage 2024. Hausärztinnen kennen sich zu wenig aus, Krankenkassen zahlen nur erprobte Therapien, spezielle Sprechstunden für Betroffene schliessen, Schulen zeigen wenig Verständnis.

«Es braucht unabhängige Coaches oder Case Manager, die Familien beraten und beim Weg durch den Dschungel unterstützen. Für den Umgang mit der Schule, mit Arbeitgebern oder Versicherungen», sagt Chantal Britt. Erkrankte haben zwar grundsätzlich Anspruch auf Unterstützung der IV – allerdings erst ab 13 Jahren und nicht in jedem Fall. Die Situation sei zutiefst unbefriedigend.

«Long Covid hat mir meine Jugend geraubt. Das tönt dramatisch, fühlt sich aber so an. Nicht immer kann ich meine Kräfte gut einteilen. Aber ich spüre, dass es langsam bergauf geht. Vor den Sommerferien konnte ich zehn Lektionen pro Woche zur Schule. Den Schulweg von 15 Minuten schaffte ich zwar noch nicht allein, aber ich schrieb wieder gute Noten.

Früher wollte ich an die Kanti und Ärztin werden. Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass das nicht geht. Mit dem Jobcoach der IV bespreche ich neue Möglichkeiten, interessieren tut mich zum Glück vieles.»

«Long Covid hat mir meine Jugend geraubt», sagt Eliane. Jetzt kämpft sie sich mühsam zurück.
Foto: Samuel Schalch
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