Darum gehts
Pflegefachfrau und Forensic Nurse Malaika Vetter sitzt an ihrem Computer und dokumentiert einen sexuellen Übergriff. Fotos zeigen die äusseren Verletzungen des Opfers: faustgrosse Blutergüsse an den Oberarmen sowie unterhalb des Gesässes. Typisch für brutales Zupacken und Niederdrücken. «Aber es gibt auch viele Betroffene von Sexualdelikten, die keine körperlichen Blessuren aufweisen», sagt die 34-Jährige dem Beobachter.
Das Institut liegt mitten im idyllischen Irchelpark in Zürich – lauschig ist hier aber nichts. Malaika Vetter fährt sich mit der Hand durch die dunklen Locken und verscheucht einen Brummer. «Wir haben hier viele Fliegen – die kommen mit den Leichensäcken», erklärt sie. Vetters Arbeitsort ist ein Büro im Untergeschoss des Rechtsmedizinischen Instituts.
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Spurensicherung bei häuslicher Gewalt und Sexualdelikten
Jede fünfte Frau hierzulande hat schon sexualisierte oder häusliche Gewalt erlebt. Dies ergab eine Umfrage des Forschungsinstituts GFS. Mit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention hat sich die Schweiz verpflichtet, die Bevölkerung besser zu sensibilisieren und bessere rechtsmedizinische Versorgung zu gewährleisten. Dafür steht Malaika Vetter: Sie ist Teil des achtköpfigen Forensic-Nurse-Teams am Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich (siehe Box).
Im Kanton Zürich sind die speziell ausgebildeten Pflegefachfrauen seit April 2024 im Einsatz für das Angebot mit dem sperrigen Namen «Aufsuchender Dienst Forensic Nurses». Ein Pilotprojekt, das auf drei Jahre angelegt ist. Hauptaufgabe von Vetter und ihren Kolleginnen ist es, Spuren bei häuslicher Gewalt und Sexualdelikten zu sichern, auch wenn die Opfer keine Anzeige machen möchten. Sowie Betroffene mit den Opferberatungsstellen zu vernetzen (siehe Interview mit Andrea Hofmann von der Zürcher Frauenberatungsstelle).
Beweisstücke wie DNA oder kontaminierte Unterwäsche
Das nüchterne Zimmer der Forensic Nurses liegt schräg gegenüber des Einsargungsraums. Dort werden die Opfer von Verbrechen obduziert und Tote untersucht, deren Identität unbekannt ist. Ab und an helfe sie den Rechtsmedizinern bei der Autopsie, so Vetter. Die Asservatenkammer ist weiter hinten im Flur. Dort lagern bei minus 20 Grad die Beweisstücke, die die Forensic Nurses gesammelt haben – von DNA-Proben bis zu kontaminierter Unterwäsche.
«Man gewöhnt sich an diesen Ort», sagt Vetter und schlägt erneut nach einer Fliege. Die Thurgauerin wuchs mit ihren beiden Schwestern auf einem Bauernhof bei Aadorf auf, der Vater ist Landwirt. «Wenn wir uns mal verletzt hatten, kam Papi jeweils mit dem Pferdebalsam», erinnert sie sich. Das habe ziemlich gebrannt. Malaika Vetter ist hart im Nehmen – gut für ihren Job.
Positives Zwischenfazit
Gerufen werden die Forensic Nurses von den Pflegenden und Ärztinnen auf den Notfallstationen der Spitäler – mit Einverständnis der Betroffenen. Der Dienst ist rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr geöffnet. Ziel ist, dass entscheidende Spuren wie DNA und blaue Flecken, Würgemale oder Einblutungen im Genitalbereich dokumentiert sind. Auch für allfällige spätere Anzeigen. Das soll den Opfern ermöglichen, in Ruhe und ohne Zeitdruck über die weiteren Schritte nachzudenken.
Das Zwischenfazit nach einem Jahr ist positiv: 21 Opfer haben nachträglich eine Strafanzeige eingereicht. Das ist bemerkenswert, weil es das in den 13 Jahren davor nur einmal gab. Das Projekt bietet also nicht nur den Opfern bessere Unterstützung, sondern treibt auch die strafrechtliche Verfolgung voran. Über 200 Spurensicherungen und 170 Fälle von telefonischer Unterstützung fanden im ersten Jahr des Projekts statt. Die Mehrzahl der Opfer war weiblich und zwischen 16 und 35 Jahre alt.
«Achtung, Verwesung»
«Durch den Mund atmen», warnt Malaika Vetter plötzlich. Süsslicher Geruch weht ins Büro – «ein verwester Toter». Auch daran gewöhne man sich. Ihr Pikettdienst hat um 13 Uhr begonnen und wird nach 22 Uhr enden. Die Schicht besteht an diesem sonnigen Samstag zu grossen Teilen aus Warten. Warten auf den nächsten Einsatz.
Ihr Diensthandy klingelt. Es ist 18.30 Uhr. Ein Notfallarzt des Unispitals Zürich informiert sie, dass eine verletzte Frau mit der Sanität gebracht wurde. Häusliche Gewalt. «Wir kommen», sagt Vetter. Sie packt ihren schwarzen Rucksack und geht mit ihrer Kollegin zum Auto. Wenn immer möglich, machen sie die Einsätze zu zweit.
Im Rucksack sind eine Kamera, spezielle Stäbchen für mögliche DNA-Spuren, Röhrchen für die Blut- und Urinproben sowie Lineale und Winkel, um die Grösse der Verletzungen zu messen. Auch Plastikbeutel für BHs oder andere Utensilien, ein Kamm für die Schamhaare, das sogenannte Haarasservierungsset. «Mittlerweile sind nicht mehr alle Opfer untenrum rasiert», so Vetter.
Blutspuren im Gesicht des Opfers
Im Notfall ist viel los, wie oft am Wochenende. In einem Raum liegt eine junge Frau zusammengekrümmt auf der Untersuchungsliege. Sie ist sehr dünn, die Schminke verlaufen, ihre lila Nylonstrumpfhose zerrissen. Sie hat Blutspuren, Schürfwunden und Kratzer im Gesicht und wurde bewusstlos neben einer Parkbank gefunden. Passanten riefen die Polizei, die sie mit der Ambulanz in den Notfall bringen liess.
«Ihr Alkoholgehalt liegt bei 3,1 Promille», sagt die diensthabende Ärztin. Sie sei polytox, habe mehrere Drogen genommen. Benzos, vermutet sie. Medikamente bei Angststörungen, die beruhigend wirken. Und süchtig machen können. Alte Wunden an den Armen deuten auf selbstverletzendes Verhalten hin. Sie verweigere genaue Untersuchungen, wollte aber dennoch, dass die Forensic Nurses kommen. Eine Psychiaterin sei alarmiert und auf dem Weg.
Toxische Beziehung?
Vor ein paar Wochen war die Frau schon einmal hier im Notfall. «Es handelt sich wohl um eine toxische Beziehung», meint eine involvierte Pflegefachfrau. Das Opfer sei sehr sprunghaft, beschuldige mal ihren Partner, dann wieder nicht.
Malaika Vetter und ihre Kollegin versuchen, mit ihr zu sprechen. Sie klagt über Schmerzen, hält sich die Rippen, verlangt nach Essen. Immer wieder muss sie auf die Toilette. «Sie konsumiert wohl regelmässig Alkohol, sonst könnte sie mit diesem Promillegehalt nicht mehr gehen», sagt Vetter.
Sie probiert, die Verletzungen zu dokumentieren. Die Frau lässt aber fast nichts zu, will ihr Kleid nicht ausziehen, ihren Oberbauch nicht untersuchen lassen. Einzig Fotos von den Gewaltspuren im Gesicht kann Vetter machen. Und von einem Bluterguss am Arm. Die junge Frau tigert im Raum umher, versucht wiederholt, ihre weissen Turnschuhe anzuziehen, vergebens. Sie ruft ihren Freund an. Er sei schuld, nein, doch, er sei der Täter. Sie weint. Will gehen. Vergisst ihre Tasche, reisst Material aus einem Schrank. Krümmt sich wieder vor Schmerzen.
Ein Fall, der nahegeht
Etwa zwei Stunden nehmen sich Malaika Vetter und ihre Kolleginnen jeweils Zeit für die Untersuchung. In diesem Fall gibt es nichts mehr zu tun, sie warten auf die Psychiaterin. Die Fachärztin muss die Zurechnungsfähigkeit abklären – kann die Patientin gegen ihren Willen im Spital behalten werden? Dafür wäre eine fürsorgerische Unterbringung wegen Selbstgefährdung notwendig. Ein Mann vom spitaleigenen Sicherheitsdienst sorgt dafür, dass die junge Frau nicht wegläuft.
«So ein Fall geht mir schon nah», sagt Vetter. Dass die Frau innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Mal in ähnlich besorgniserregendem Zustand eingeliefert wurde, mache sie betroffen. Irgendetwas stimme nicht. Ihr Ziel sei immer, dass die Betroffenen ein angemessenes Unterstützungsangebot erhalten. «Wie es danach weitergeht, ist nicht unsere Sache.» Das sei manchmal unbefriedigend, andererseits sei sie froh, dass sie nicht ermitteln müsse.
Ungutes Bauchgefühl
Malaika Vater ist Forensic Nurse geworden, weil sie als junge Frau bei der Spitex arbeitete, um sich das Studium zu finanzieren. Dort habe sie vor allem ältere Menschen betreut. «Öfters hatte ich ein ungutes Bauchgefühl: Woher stammen die blauen Flecken? Wurde die pflegebedürftige Person misshandelt? Von wem?» Diese Fragen hätten sie umgetrieben. Nach dem Master in Pflegewissenschaft entschloss sie sich deshalb zur Weiterbildung als Forensic Nurse: «Nun kann ich wenigstens die Verdachtsspuren sichern und so vielleicht für Gerechtigkeit sorgen», sagt sie.
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