Dubiose Angebote in der Schweiz
Eine Guru-Frau im Sog der Coaching-Szene

Seit der Pandemie boomt die Coaching-Branche. Und befeuert ein System von dubiosen Gurus, die mit grossen Versprechen Menschen in Lebenskrisen anziehen. Darunter: eine Blenderin aus dem Kanton Bern, wie das SonntagsBlick Magazin aufdeckt.
Publiziert: 04.11.2023 um 19:31 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2024 um 13:18 Uhr
Dubiose Coaches machen grosse Versprechen. In der Psychologie auch in Bezug auf die Heilung.
Foto: Annie Wehrli
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft / Magazin

Isabelle Berger sitzt in einer Zoom-Kachel. Sie hat sich eine Perlenkette umgelegt, dunkelroten Lippenstift aufgetragen, ein schlichtes, graues Jäckchen angezogen. Schön dosiert, bloss nicht billig, Berger wirkt elegant. Und mit ihren weissgrauen Haaren, der warmen Stimme und der berndeutschen Färbung auch wie eine grossmütterliche Frau, der man vertraut. Was sie hier als Gast im videobegleiteten Podcast «Erfolgstypen» sagt, klingt fürsorglich: «Ich bin unterwegs, um Menschen in die Sichtbarkeit zu bringen.»

Isabelle Berger (57) ist Coachin. Im Frühling 2021 hat sie das Unternehmen Powerlineteam gegründet. Von daheim im Kanton Bern aus berät sie online Menschen, die mit Depressionen und Ängsten zu kämpfen haben. Mehr noch aber Menschen auf dem Weg in die Selbständigkeit. Die meisten wollen Coach werden. Lernen, wie man sich verkauft. Und das lebt Isabelle Berger vor: durch Selbstsicherheit. Und grosse Versprechen. Schon in den ersten zwei Minuten des «Erfolgstypen»-Gesprächs mit der Moderatorin legt sie auf den Tisch, was sie zu bieten hat: «Meine Expertise ist, Menschen in die Fünfstelligkeit zu bringen.» Umsatz. Pro Monat.

Mit einfachen Tipps und gigantischen Versprechen haben in den Neunzigerjahren schon die ersten Erfolgstrainer wie der Deutsche Jürgen Höller oder der US-Motivationsguru Tony Robbins (mit Hang zum «Feuerlauf») ein Vermögen gemacht. Auf sie folgte die Finanzszene, Coaches wie der Brite Andrew Tate, die durch wenig Aufwand das schnelle Geld versprechen. Und nun macht sich eine neue Sorte breit: der Coach, der zeigt, wie man mit dem eigenen Business durchstartet und gleichzeitig glücklich wird. Life-Coaching nennt man das. Lebensberatung trifft auf knallharten Kapitalismus. Genaue Zahlen zu Life-Coaches in der Schweiz gibt es keine. Der Coaching-Beruf ist nicht geschützt. Doch die Coaching-Studie 2022 von der Philipps-Universität Marburg (D) weist 30'000 Life-Coaches im deutschsprachigen Raum aus.

An dieser Sorte Coaching kommt nun Kritik auf. Allem voran in der deutschen Zeitung «Die Zeit». Der Vorwurf: Ein paar wenige Coaching-Gurus an der Spitze profitieren mittels fragwürdiger Methoden von einer Masse von Menschen.

An der Spitze der Erfolgs-Guru aus Deutschland: Damian Richter.
Foto: Illustration: Annie Wehrli

Der Guru der Szene

Ein Name dabei leuchtet grell auf: Damian Richter. Der 47-jährige Deutsche mit seinen nach hinten gegelten Haaren und gefriergetrocknetem Lächeln hat sich an die Spitze des Trends hochgecoacht. Und eine ganz neue Form geschaffen: Richter bildet Menschen zu Coaches aus. Er ist Coaches-Coach. Richter ist ein Star. Ein kleines Imperium hat er geschaffen – mit 50 Angestellten und laut dem Finanzmagazin «Forbes» mit einem Jahresumsatz «im zweistelligen Millionenbereich». Über 300'000 Menschen soll er laut eigenen Angaben schon begleitet haben. Mit Versprechen wie: «Von Hartz IV zu finanzieller Freiheit» oder «Vom hässlichen Entlein zum strahlenden Schwan». Und mit Kursen in Form von Massenevents in Hallen oder über Zoom (Motto: «Level Up Your Life!» – Verbessere dein Leben). Dafür fordert er einiges. Allein der dreitägige Grundkurs kostet rund 2500 Euro, und jener für Fortgeschrittene, der hauptsächlich aus Onlineskripten und Videos besteht, über 10'000 Euro.

Ein Bombengeschäft. Makellos. Bis vergangenen Juni die «Zeit» enthüllte: Ehemalige Richter-Anhänger sitzen auf bis zu 60'000 Euro Schulden, weil der versprochene Erfolg ausblieb. Die Journalistinnen schreiben: «Der Verdacht liegt nahe, dass gezielt Menschen in Lebenskrisen angesprochen werden, um sie finanziell auszunehmen.»

Das Netzwerk reicht bis in die Schweiz

Die Recherche des SonntagsBlick Magazins legt nun nahe: Das manipulative Geschäftsmodell setzt sich auch bei uns fest. Auf Anhieb fanden wir online ein halbes Dutzend Schweizerinnen und Schweizer, die ihre Ausbildung bei Richter gemacht haben. Teils mit einem Webauftritt nach seinem Vorbild. In einem Fall zeigt sich: Das System treibt die Coaches dazu an, immer mehr Kunden zu gewinnen. Und stösst sie in den finanziellen Abgrund. Ein Name dahinter: Isabelle Berger aus dem Kanton Bern.

Damian Richter ist für Berger ein wichtiger Mann. Immer wieder schwärmt sie in Videos von ihm, von seinen Events, von «magischen Momenten». Auf ihrer Firmenwebsite schreibt sie neben einem Foto von sich selbst als Speakerin mit jesusmässig ausgebreiteten Armen: «Ich verdanke Damian ein ganz neues Leben.»

Wie viele andere Life-Coaches erzählt dort Berger ihr Leben als Aufsteiger-Story: Vor Jahren musste sie den Konkurs des Industrie-Elektronik-Unternehmens verkraften, das ihr Vater gegründet hatte. Auf ihr lasteten hohe Schulden, sie stand vor dem Nichts und rutschte in ein Burnout. Doch dann gab es ein Happy End: Sie traf auf Damian Richter und wurde erfolgreiche Coachin.

Wir vereinbaren einen Videoanruf mit Isabelle Berger. Wie happy ist sie mit ihrem Mentor heute? Sie gibt Auskunft. Positiv. Über Richter, über ihr eigenes Geschäft. Später zieht sie alle Aussagen zurück. In den sozialen Medien hingegen hält sie sich nicht zurück. Ihre Posts zeigen: Isabelle Berger gehört zum engeren Kreis des Richter-Clans. Ist dort gut vernetzt. Sie hat alle Ausbildungen, die er anbietet, gemacht. Viel Aufwand, auch finanziell, für Isabelle Berger. Warum sie diesen auf sich nimmt, wird im Podcast «Erfolgstypen» klar, als sie sagt: «Mein Ziel ist es, in die Grösse zu gehen. Zu wachsen.»

Isabelle Berger will ganz nach oben in den Coaching-Olymp.
Foto: Illustration: Annie Wehrli

Sie kopiert den Meister

Isabelle Berger will mehr. Mehr Umsatz. Mehr Kundschaft. Wie man das erreicht, macht Damian Richter vor. Ihre Arbeit, ihre Methoden, all das hat sie bei ihm abgeschaut.

Sie berät nach eigenen Angaben im Netz über fünfzig Menschen. Den angehenden Coaches verkauft sie nach Richters Vorbild mit Grundstufe, Fortgeschrittenenlevel und Masterclass eine Ausbildungspyramide mit happigen Preisen: Für den Grundkurs zahlt man 3997 Franken. Die Masterclass, überwiegend virtuell, kann ein Vielfaches davon kosten. Was man lernt: Kundengewinnung, Website erstellen, E-Mail-Marketing, Werbung schalten. Was man angeblich dafür kriegt, wie sie auf ihrer Firmenwebsite schreibt: «Ab dieser Stufe ist ein Monats-Umsatz als Coach von 20'000 bis 100'000 möglich.»

Mit einem kleinen Kreis arbeitet sie – wie Richter auch – eng zusammen. Eine Handvoll Frauen im mittleren und reifen Alter. Sie bieten ihr Coaching – Depression, Ängste, Gesundheit, Ernährung – auf Bergers Firmenwebsite an. Mindestens eine davon stammt aus Richters Netzwerk, er pusht sie auf seiner Website als lizenzierte Damian-Richter-Coachin. Für diese Position zahlt man ihm zehn Prozent des eigenen Umsatzes.

Menschen wie Richter und Berger entfalten eine grosse Strahlkraft. Sie füllen eine Lücke. Lange stiftete die Religion Lebenssinn und gab den Menschen Orientierung. Heute stehen wir alleine da. Und unter Druck einer Gesellschaft, die ständig im Umbruch ist. Liebesbeziehungen, Familie, Job, alles ist prekär, ständig müssen wir uns neu anpassen. All das stellt Ansprüche an die Menschen, die überfordern. Coaches sind die neuen Götter. Sie holen wie Isabelle Berger die Menschen bei ihren Unsicherheiten ab. Wie das funktioniert, zeigen Mitschnitte von Gratisgruppensessions von ihr auf Facebook – für sie auch eine Verkaufsgelegenheit («Wer noch nicht bei mir im Coaching ist, macht einen Fehler»).

Überdreht brüllt sie erst «Heyheyheyhey hellöööou!» in die Kamera und performt dann eine Mischung aus simplen Business-Tipps («Sagst du den Kunden, dass du die Lösung für sie hast?!»), Lebensberatung («Es gibt immer eine Lösung!») und Predigt wie zu Jesus' Zeiten. Mit einer Art Meditation fängt diese an. Man soll sich vorstellen, auf einer Felsklippe zu stehen. Und auch wenn man sich erst nicht traut: Springe! Das sagt sie erst mit sanftem Stimmchen, und beschwört dann mit tiefem Dröhnen eine Apokalypse herauf:

«Du wirst wahrscheinlich am Felsen aufschlagen. Du wirst dich wahrscheinlich an einem Felsvorsprung verletzen. Du wirst wahrscheinlich an einem Ast deinen Ärmel aufreissen. Es wird bluten. Es werden Schmerzen entstehen. Es wird dir vielleicht mit diesem Sprung nicht gut gehen. Aber …» Sie macht kurz Pause und säuselt: «Ich kann dir eins versprechen: Das Leben ist immer für uns. Dein Lebensfallschirm wird aufgehen.»

Alles, was die Coaches brauchen: Computer und Internet.
Foto: Illustration: Annie Wehrli

Seit Corona boomt Abzocke-Coaching

Isabelle Berger gründete ihr Unternehmen im zweiten Corona-Jahr. Und ist damit Teil eines Booms. Das sagt ein Mann, der dies besonders zu spüren bekommt: Reinhold Schranz. Er ist Leiter des Europäischen Verbraucherzentrums in Österreich (EVZ), das im Auftrag der EU-Kommission Konsumentinnen und Konsumenten berät. Er sagt, viele hätten während Corona ein Nebeneinkommen gesucht, die Branche sei gewachsen. «Und zieht Abzocke-Coaches an.»

Reinhold Schranz warnte deshalb vor einer österreichischen Starcoachin, die ihren Kursteilnehmerinnen ähnlich wie Berger fünfstellige Monatseinkünfte versprach, die diese nie erreichten. Sie hat das EVZ wegen der Warnung verklagt. Das hat System, sagt er: «Die Coaches versuchen, Kritik mundtot zu machen.» Sie liessen negative Bewertungen im Internet löschen, sie lebten letztlich ja vom Image ihres Erfolgs.

Die Coachin ist mit ihren dubiosen Praktiken kein Einzelfall. Rund 1000 Beschwerden sind in den vergangenen drei Jahren bei ihm eingegangen. Hinter diesen stehen Studierende, Pensionäre, alleinerziehende Mütter, junge Familien, die gerade ein Haus bauen und sich ein Vermögen aufbauen wollen und Menschen, die während Covid arbeitslos wurden. Zu Isabelle Berger liegt Schranz nichts vor. Anders bei Damian Richter. Der Konsumentenschützer berät Betroffene mit Geldproblemen, die nicht mehr aus einem Knebelvertrag mit diesem herauskommen.

Der EU-Konsumentenschützer Reinhold Schranz.
Foto: zVg

Reinhold Schranz erkennt bei seinen Fällen ein Muster: «Diese Art von Coaching-Business ist ein sektenhaftes Gebilde.» Fähigkeiten zum Erfolg würden als Geheimwissen verkauft. Und in Form von Masterclass-Ausbildungen weitergegeben, woran nur ein auserlesener Kreis, eine Elite, teilhaben könne. Ergo: Wer viel zahlt, wird Teil des Geheimnisses. Teil der kleinen eingeschworenen Gemeinde.

Tipps gegen Abzocke-Coaches

Reinhold Schranz, Leiter des Europäischen Verbraucherzentrums in Österreich (EVZ), gibt folgende Tipps: Wer auf der Suche nach einem seriösen Coach ist, sollte sich nicht finden lassen, sondern aktiv danach suchen. Dabei sollte man dessen Qualifikation überprüfen. Und misstrauisch gegenüber Bewertungen, sogenannten Testimonials, von Kunden sein. Diese können gefälscht oder auf Druck der Coaches entstanden sein.

Wichtig auch: Eine zweite Meinung von einer Person einholen, die man gut kennt. So verhindert man, in eine Manipulationsblase hineingezogen zu werden. Versuchen die Coaching-Firmen telefonisch einen Vertrag abzuschliessen, sollte man sich nicht darauf einlassen. Besser man verschafft sich Bedenkzeit und fordert, dass die Coaches einen schriftlichen Vertrag schicken. Üben diese Druck aus, lässt man es ganz sein. Wer Opfer wurde – keine falsche Scham. Hier findet man Hilfe: www.konsumentenschutz.ch.

Reinhold Schranz, Leiter des Europäischen Verbraucherzentrums in Österreich (EVZ), gibt folgende Tipps: Wer auf der Suche nach einem seriösen Coach ist, sollte sich nicht finden lassen, sondern aktiv danach suchen. Dabei sollte man dessen Qualifikation überprüfen. Und misstrauisch gegenüber Bewertungen, sogenannten Testimonials, von Kunden sein. Diese können gefälscht oder auf Druck der Coaches entstanden sein.

Wichtig auch: Eine zweite Meinung von einer Person einholen, die man gut kennt. So verhindert man, in eine Manipulationsblase hineingezogen zu werden. Versuchen die Coaching-Firmen telefonisch einen Vertrag abzuschliessen, sollte man sich nicht darauf einlassen. Besser man verschafft sich Bedenkzeit und fordert, dass die Coaches einen schriftlichen Vertrag schicken. Üben diese Druck aus, lässt man es ganz sein. Wer Opfer wurde – keine falsche Scham. Hier findet man Hilfe: www.konsumentenschutz.ch.

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Gegenüber der «Zeit» betont Damian Richter, sein Netzwerk sei keine Sekte, denn es mache Menschen gross statt klein. Die Journalistinnen schreiben weiter, dass sie ihn nach einem ersten Gespräch um eine Stellungnahme zu weiteren Vorwürfen gebeten haben. Darauf habe sein Anwalt mitgeteilt, dies sei innerhalb der gesetzten Frist nicht möglich.

Finanziell belastet

Isabelle Berger bietet nicht nur eine Masterclass an, sie machte bei jener von Damian Richter mit. Als Belohnung des Ausbildungsgangs lockte am Ende vergangenen Sommer ein Seminar mit dem grossen Meister himself in Costa Rica. Mitfahren durfte, wer genug investiert und ein hohes Umsatzziel erreichte. Bei ihr waren das 343'132 Euro. Das konnte im Juli jeder auf Richters Instagram-Profil sehen. Genauso, wie viel oder wie wenig sie davon erreicht hat. Richter liess in seiner Instagram-Story regelmässig Berger und sechs andere Kandidierende in einer virtuellen Grafik gegeneinander antreten. Eine Live-Aufholjagd, über Monate. Berger war laut der Grafik gut unterwegs, bis sie kurz vor Schluss in den sozialen Medien sagte: Ich bin nicht mehr dabei.

Im Laufe unserer Recherchen zeichnet sich ab: Isabelle Berger hat ein Problem. Ihre Firma Powerlineteam taumelt gewaltig. Das Handelsregister zeigt ein Unternehmen auf Schleuderkurs.

Bereits einen Monat nach der Firmengründung 2021 leitete ein Gericht eine provisorische Nachlassstundung ein, während vier Monaten konnten ihre Gläubiger die Firma nicht betreiben, damit sie wieder auf die Beine kommt. Zwei Monate später folgte die definitive Nachlassstundung, die ihr weitere Zeit gewährte. Und nun, vor kurzem, im September, ein neuer Eintrag: Der ordentliche Nachlassvertrag mit Dividendenvergleich. Der Gerichtsentscheid dazu fiel im Mai 2022. Das heisst: Die Gläubiger verzichten auf einen Teil ihrer Forderungen und hoffen darauf, dass Berger ihre Firma saniert.

Auch der Betreibungsregisterauszug von Isabelle Berger zeigt: Privat ist ihre finanzielle Situation nicht so gut, wie ihre Versprechen und ihr Auftritt suggerieren. Was sagt Isabelle Berger zu all dem? Sie schweigt.

Dafür meldet sie sich mit einer Rabattaktion in den sozialen Medien: Zwei Wochen lang alle Kurse zum halben Preis.

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