Darum gehts
- Quadroni-Unterstützerin Marion Ammann sieht Parallelen zwischen Opern- und Baukartell
- Eigene Geschichte motiviert die Opernsängerin, Whistleblower Quadroni zu helfen
- Das Geld kommt von ihr und ihrem Freundeskreis
Der Satz, den sie als 14-Jährige am Sterbebett ihres Vaters hörte, verfolgt Marion Ammann bis heute. «Wenn ich noch einmal könnte, würde ich alles anders machen», sagte ihr der Mann, den sie in ihrer Kindheit als erfolgreichen Geschäftsmann und liebevollen Vater erlebt hatte.
«Diese Art von Bilanz will ich am Ende meines Lebens auf keinen Fall ziehen müssen», sagt die 60-Jährige heute. Was ihr Vater meinte, weiss sie nicht genau. Er sei ein angesehener Mann gewesen, ein menschlicher Patron alter Schule. «Er hat in der Firmenvilla seiner Wäscherei am Zürichsee einen Kinderhort eingerichtet», erzählt Ammann im Gespräch mit SonntagsBlick. «Wir dagegen lebten in einer Mietwohnung in Adliswil.»
Schicksalsschlag
Als sie 17 war, verlor Ammann dann auch noch ihre Mutter auf tragische Weise. Sie habe aber stets Menschen in der Nachbarschaft, im Kollegenkreis und im Berufsumfeld gehabt, die ihr geholfen hätten, sagt sie.
Diese Erfahrung will Ammann weitergeben. Am 30. Mai ersteigerte sie für gesamthaft rund 1,9 Millionen Franken Haus und Jagdhütte von Adam Quadroni (55) im Unterengadin, damit dieser Heim und Refugium behalten kann. Der Whistleblower, der vor rund zehn Jahren das Bündner Baukartell hatte auffliegen lassen – er hatte diesem einst selbst angehört –, hätte sein Zuhause wegen seiner hohen Schulden abgeben sollen.
«Ich wollte schon immer die Welt verbessern», sagt Ammann. Sie habe es nicht hinnehmen können, dass ein aus ihrer Sicht integrer Mann wie Quadroni schikaniert werde. Einer, der abgestraft werde, weil er sich der Wahrheit verpflichtet sehe. Sie vertrete gleiche Werte wie der Whistleblower und sehe sich in seiner Haltung gespiegelt. Dass er von vielen im heimischen Engadin geächtet werde und der Support vornehmlich aus dem Unterland komme, findet Ammann betrüblich.
Opern- und Bergwelt
Wie ist sie dazu gekommen, sich für den früheren Bauunternehmer einzusetzen? Zwischen der Oper, in der die Sopranistin Karriere machte, und Quadronis Engadin liegen schliesslich Welten.
«In der Oper existiert ebenfalls ein Kartell», sagt Ammann. Machtmissbrauch sei an der Tagesordnung, und nur wer der «richtigen» Agentur angehöre, erhalte die prestigeträchtigen Rollen. Insofern sei auch sie Teil dieser Machenschaften gewesen.
Auf das Schicksal des Whistleblowers ist Ammann aufmerksam geworden, als er vom «Beobachter» 2018 für den Prix Courage nominiert wurde. Da erfuhr sie von seinem Mut, die Absprachen im Baugewerbe aufzudecken, wie auch von den Qualen, die Quadroni darauf erleiden musste. Etwa vom Grenadiereinsatz, mit dem ihn die Polizei 2017 wegen eines Familienstreits in die Psychiatrie eingeliefert hatte. Kurz darauf wurde er wieder entlassen, weil die Einlieferung grundlos angeordnet worden war.
Erstmals begegnet ist die Sängerin dem früheren Bauunternehmer Jahre später. Bei einem Konzertauftritt in einem St. Moritzer Hotel lernte sie Quadroni, der vom Veranstalter eingeladen worden war, persönlich kennen. Sie habe einen scheuen, feinen und anständigen Mann getroffen.
Ramosch statt Ägypten
Seit die Zwangsversteigerung von Quadronis Haus und Jagdhütte im Ort Ramosch verfügt wurde, ist für Ammann klar, dass sie ihm finanziell zu Hilfe kommen müsse. Sie sagt: Bis dahin habe sie stets gedacht, dereinst die ägyptische Initiative Sekem zu unterstützen, die Wüstengebiet durch biologisch-dynamische Landwirtschaft fruchtbar macht. Stattdessen tritt Ammann, die auf den grossen Bühnen von Mailand, Dresden und Zürich in Opern von Richard Wagner gesungen hat, nun als Unterstützerin von Whistleblower Quadroni im Engadin auf. «Es übersteigt zwar meine Kraft beinahe», räumt Ammann ein. Doch niemand anderes habe die Rolle übernommen. «Es wäre eine Männersache gewesen», findet sie, denn die Aufgabe überfordere ihre Stärke eigentlich.
Anthroposophisches Denken
In den Wagner-Opern ist das Motiv der Erlösung zentral, nun übernimmt Ammann die Rolle der Erlöserin neben der Bühne. Für Quadroni. Sie bewahrt ihn davor, entwurzelt zu werden.
«Ich will Gutes tun, den Menschen helfen», sagt die Sängerin. «Wofür sind wir denn sonst da als menschliche Wesen?» Ammann spricht mit SonntagsBlick im Goetheanum in Dornach SO. Das Gebäude hatte der anthroposophische Vordenker Rudolf Steiner als Architekt geplant. Ammann engagiert sich im Goetheanum, dem Sitz der anthroposophischen Gesellschaft, und steht deren Denken nahe. Sie wolle die Welt so gestalten, dass sie menschlich werde. Diese Haltung vermittle sie auch ihren beiden Kindern und den zwei Enkeln.
Sie wolle nie wie ihr Vater konstatieren müssen, die Weichen anders als gewollt gestellt zu haben. Das Geld, um Quadroni zu helfen, stamme von eigenen Hypotheken sowie Darlehen von Freunden. «Ich allein hätte ihn nicht genügend unterstützen können, es braucht Gleichgesinnte», betont Ammann.
Preis vom Kanton Graubünden
Dass der Kanton Graubünden durch sein Verhalten diesen immensen Reputationsschaden hinnehme, sei für sie unverständlich. Ironie der Geschichte: In den 1980er-Jahren hatte die Opernsängerin einen Bündner Kulturförderungspreis erhalten – einige Tausend Franken, die nun quasi Quadroni zugutekommen.
Nachdem sie Haus und Jagdhütte von Quadroni gekauft habe, sei eine Flut positiver Reaktionen bei ihr eingetroffen. Aus der ganzen Schweiz und sogar aus Luxemburg und Deutschland habe sie Zuschriften erhalten, erzählt Ammann. Meist drückten die Absender gleichzeitig ihr Entsetzen aus, wie der Kanton mit dem Whistleblower umgehe und dass Quadroni nicht entschädigt werde. Ammann weist darauf hin, dass dessen unerschrockenes Vorgehen gegen das Baukartell Dutzende Millionen Franken an Einsparungen gebracht habe.
Vom Geizhals zur Gönnerin
Darüber, dass sie nun ihr Vermögen antastet, um Quadroni beizustehen, muss Ammann lachen; denn sie sei früher stets ein Geizhals gewesen. Während Kolleginnen und Kollegen auf Operntourneen in Fünfsternhotels übernachtet hätten, habe sie jeweils im Auto geschlafen, um Geld zu sparen, sagt Ammann.
Nun hat die Vegetarierin sogar für 450'000 Franken eine Jagdhütte gekauft, um Whistleblower Quadroni ein kleines bisschen Glück zu schenken.