Die Mutter von Sascha Weder wurde vor 35 Jahren in Winterthur ZH ermordet – der Fall ist bis heute ungeklärt
«Jeder andere mit meiner Biografie wäre heute ein Serienkiller oder tot»

Silke Wienrich (†27) wurde im November 1989 mit 14 Messerstichen getötet. Sie hinterliess ihren damals siebenjährigen Sohn Sascha Weder. Der heute 42-Jährige blickt auf sein Leben zurück und wünscht sich vor allem eines: Eine Traumatherapie.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Sascha Weder (heute 42) ist gerade mal 7 Jahre alt, als seine Mutter Silke Wienrich (†27) erstochen wird.
Foto: Thomas Meier

Darum gehts

  • Sascha Weder sucht Gerechtigkeit für den Mord an seiner Mutter
  • Hauptverdächtiger Mike A. wurde später für einen anderen Mord verurteilt
  • Silke Wienrich wurde 1989 mit 14 Messerstichen getötet
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Kreuzlingen TG, 30. November 1989: Sascha Weder ist gerade mal sieben Jahre alt, als seine Mutter Silke Wienrich (†27) erstochen wird. Kurz darauf ging ihre Dachwohnung in Flammen auf. Bis heute ist der Fall ungeklärt, bis heute wurde niemand dafür verurteilt.

Zwar gab es damals schnell einen Hauptverdächtigen: Mike A.* (damals 23). Er gibt den Mord an der jungen Mutter zunächst zu, zieht seine Aussage dann aber zurück. Speziell: Es handelt sich hierbei um denselben Mann, der rund 20 Jahre später in die Schweizer Justizgeschichte eingeht. Der Fall: der Callgirl-Mord von Märstätten TG. Im August 2008 tötet er die thailändische Prostituierte Ladarat Chitphong «Linda» (†30) auf bestialische Art und Weise. 2010 verurteilt das Bezirksgericht Weinfelden den damals 43-Jährigen zu 20 Jahren Knast – und einer lebenslänglichen Verwahrung. Mike A. akzeptiert das Urteil – und ist damit der erste und bisher einzige lebenslang Verwahrte in der Schweiz.

Wenige Erinnerungen

35 Jahre nach der Tat blickt Sascha Weder (heute 42) auf die Nacht zurück, in der er seine Mutter verlor. Dies in einem fünfteiligen «Beobachter»-Podcast. Darin kommen auch der damalige Ermittler der Polizei, der Anwalt des Tatverdächtigen und der Richter zu Wort, der Mike A. schliesslich verurteilte.

Die bestialische Tat lässt dem Sohn bis heute keine Ruhe. Sascha Weder: «Jeder andere, der meine Biografie hat, wäre heute ein Serienkiller oder tot. Wieso bin ich es nicht? Wieso eigentlich?»

An seine Mutter habe er nur noch «wenige Erinnerungen», sagt der Winterthurer im Podcast. «Ich habe meine Mami in einem Alter verloren, in dem man eigentlich gerade beginnt, eine Beziehung aufzubauen.» Wie seine Mutter genau starb, musste er sich über die Jahre mehr oder weniger selbst zusammenreimen – bis heute tun sich die Behörden schwer, ihm Zugang zu allen Unterlagen zu gewähren, so etwa zu Tatort-Fotos. Das Resultat: Sascha fühlt sich gleichzeitig bevormundet und im Stich gelassen – und hegt dadurch einen Groll gegen viele.

14 Mal auf die junge Mutter eingestochen

Gemäss Ermittlungsunterlagen ging Silke am 29. November 1989 ihrer Arbeit in einem Spielsalon nach. Danach ging die junge Frau gegen 23 Uhr ins Dancing Bohème feiern. Dort traf sie auf Mike A. Er begleitete sie nach Hause, Zeugen sollen die beiden zusammen gesehen haben. In der Dachwohnung soll es zum Streit gekommen sein, und er habe zugestochen. Zumindest gab das Mike A. anfangs in einer seiner Aussagen so an. Kurz darauf widerrief A. sein Geständnis. Seinem Anwalt erklärte er: Er habe das Geständnis nur unter Druck gemacht. Er wollte damit lediglich bessere Haftbedingungen erlangen. Auch der Ermittler bezeichnet diesen Druck auf Mike A. heute als Fehler.

Nach dem Feuer wurde Silke Wienrichs stark verkohlte Leiche gefunden. Die Autopsie ergab, dass ein Gewaltdelikt vorlag. Der Täter hatte insgesamt 14 Mal mit einem Messer auf die junge Frau eingestochen.

Schliesslich kam es zum Indizienprozess. Neben der mutmasslichen Tötung von Silke Wienrich wurden Mike A. zwei weitere Fälle vorgeworfen: Notzucht und Gefährdung des Lebens. Er vergewaltigte zwei andere Frauen und bedrohte sie. Diese Taten gab er zu. Und bekam 30 Monate Knast.

Doch für den Wienrich-Fall erfolgte ein Freispruch – in dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten. Der Grund: Der Verteidiger schaffte es, den Indizien den Boden zu nehmen, Zweifel zu streuen. Die Folge: Sascha Weder erhielt nie eine Entschädigung, der Opferanwalt forderte damals 75'000 Franken.

Opfer wird zum Täter

Der Mord an seiner Mutter hat Weders Leben geprägt: Zum Tatzeitpunkt lebte der Siebenjährige unter der Woche im Sonderschulheim Bernrain, 400 Meter vom Tatort entfernt. Nur am Wochenende konnte er die Mutter besuchen. Seine Single-Mutter, die ihn im Alter von 20 Jahren bekommen hatte, musste während der Woche arbeiten und hatte auch sonst kaum Unterstützung.

Später wurde Sascha adoptiert, deshalb der neue Nachname. Zunächst geht es bergauf – doch je älter er wird, rutscht Sascha ab. Er bricht mehrere Lehren ab, verlässt mit 18 seine Adoptiveltern. Schliesslich wird er selbst straffällig – vor allem wegen Diebstahls und Hausfriedensbruchs. Der Tiefpunkt: ein Überfall auf seine Nachbarin. Er nahm sie kurz in den Schwitzkasten, so sagt er es selbst. Eine ältere Frau, die als Dealerin das ganze Viertel versorgte. Sascha wurde verurteilt – und bereut die Tat: «Eine Kurzschlusshandlung, ich habe vor Gericht gesagt, es tue mir leid.»

Was sich Sascha heute wünscht? Gerechtigkeit für seine Mutter, ihr Mord soll zweifelsfrei geklärt werden. Und einen stationären Aufenthalt für sich, um sein Trauma zu verarbeiten. Sascha: «Für die Täter gibt es Sondersettings, Care-Teams. So etwas wünsche ich mir!»

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