Interlaker würden nicht mehr rodeln gehen
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Amelie (18) aus Intelaken:«Ich persönlich würde damit nicht mehr fahren»

Tödlicher Unfall in Interlaken
Die gefährlichste Rodelbahn der Schweiz

Nach dem tödlichen Crash in Interlaken wurden schnell Stimmen laut: Die Bahn ist verlottert, veraltet – brandgefährlich. Tatsächlich ist die Bahn seit anderthalb Jahrzehnten in der Kritik. Doch wie kam es zum Unfall? Ein Insider vermutet einen technischen Mangel.
Publiziert: 17:11 Uhr
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Aktualisiert: 17:47 Uhr
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Am Freitag ist es auf der Heimwehfluh-Rodelbahn in Interlaken BE zu einem tragischen Unfall gekommen.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Tödlicher Unfall auf Rodelbahn in Interlaken: Mitarbeiter Marco (†35) verstorben
  • Geschäftsführer erklärt Unfall als Fahrfehler, Insider zweifelt an Darstellung
  • Bahn steht in Kritik: 2010 starb Touristin, 2023 vom Bundesamt stillgelegt
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Marco* (†35) ist tot. Der Mitarbeiter der Heimwehfluh-Rodelbahn in Interlaken BE ist am Freitag auf tragische Weise ums Leben gekommen. Bei einer Kontrollfahrt kam der Schweizer mit dem Terrain in Berührung und zog sich eine Verletzung zu. Anschliessend wurde er bewusstlos bis ans Ende der Bahn geschleift und verstarb, wie der Geschäftsführer gegenüber Blick erklärte.

Schnell wurden kritische Stimmen laut: Andere Unfallopfer meldeten sich auf verschiedenen Plattformen – auch bei Blick – und berichteten von ihren Horror-Erfahrungen mit der Bahn. So schreibt eine Facebook-Userin: «Ich hatte Glück, da ich in einer Kurve samt Schlitten aus der Bahn schleuderte. Nur Hand gebrochen und viele Blutergüsse.» Sowohl auf Google und als auch Tripadvisor wird die Heimwehfluh – vor allem die Rodelbahn – als «heruntergekommen» beschrieben. Auf Google hat die Heimwehfluh – je nach Seite – gerade einmal 3 bzw. 3.6 von insgesamt 5 Sternen. Eine Userin schreibt auf Tripadvisor: «Die Rodelbahn sah schon gemeingefährlich aus und nie hätte ich dort eine Fahrt gewagt.»

Unfall wegen Fahrfehler

Eine Strassenumfrage von Blick zeigt: Einheimische meiden die Bahn. So etwa Michaela Gafner (32), Verkäuferin aus Beatenberg bei Interlaken BE: «Es ist schon zum zweiten Mal etwas passiert. Da weiss man nicht, wie sicher das ist.» Auch Blerta Bajrami (19), Mei Weingart (18) und Amelie Lehmann (18), alles angehende Studentinnen aus Interlaken BE, sehen es ähnlich: «Wir haben vom Vorfall gehört. So traurig! Da es der zweite Vorfall ist, würden wir auch nicht mehr auf die Bahn.»

Der Geschäftsführer der Rodelbahn Heimwehfluh, David Tschanz, erklärte am Sonntag gegenüber Blick den Unfall als Fahrfehler: «Die Videos zeigen, dass es ein Fahrfehler war», so der 87-Jährige.

Technischer Mangel im Sicherheitssystem?

Nur: Ein mit der Materie vertrauter Insider sagt gegenüber Blick, der Unfall, wie ihn Bähnli-Chef Tschanz schildert, erscheine unplausibel. Denn: Die Rodel funktionieren nach dem sogenannten Totmann-Prinzip. Um zu beschleunigen, muss der Hebel nach vorne gedrückt werden. Lässt der Fahrer los, bewegt sich der Hebel wieder in eine gerade Position – der Rodel bremst. Heisst: Hätte der Unfallfahrer die Hände in die Höhe gerissen, wie es Tschanz sagt, hätte der Rodel bremsen müssen. Auch, dass ein Ohnmächtiger bis in die Talstation donnert, sollte so unmöglich sein. Könnte also ein technischer Mangel im Sicherheitssystem den tödlichen Unfall von Marco beeinflusst haben?

Rodel-Geschäftsführer Tschanz hingegen erklärt: «Lässt man den Hebel los, kommt er in eine Mittelstellung – die sogenannte Festhaltebremse. Diese Bremse mag den leeren Rodel auf der Schiene festhalten, damit er nicht wegrollt.» Der Rodel bremse zwar, aber nicht komplett. Auch hatte Marco wohl eine gewisse Geschwindigkeit drauf, die das Bremsen verunmöglichte – weshalb er ins Tal donnerte. Ob die Bremse seine Geschwindigkeit verlangsamte, vermag Tschanz nicht einzuschätzen. Der Rodel werde nun durch die Polizei kontrolliert. Für Tschanz steht jedoch bereits jetzt fest: «Mit dem Rodel ist alles in Ordnung!»

Rodelbahn-Chef äussert sich zum tödlichen Unglück
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«Die Rodelbahn ist in Ordnung»:Rodelbahn-Chef äussert sich zum tödlichen Unglück

Blick hat bei der Kantonspolizei Bern nachgefragt. Dort heisst es am Montag: «Bei ersten technischen Untersuchungen durch die Spezialdienste der Kantonspolizei Bern und der Staatsanwaltschaft wurden keine gravierenden Mängel festgestellt, welche eine unmittelbare Schliessung der Bahn erfordert hätten. Weitere Abklärungen sind im Gang.»

Inspektion alle zwei Jahre

Fakt ist: Die Heimwehfluh steht immer wieder in der Kritik. Bereits 2010 verstarb auf der Rodelbahn eine pakistanische Touristin (†26), was schon damals Sicherheitsbedenken auslöste. Vier Jahre später stand fest: Die Betreiber der Rodelbahn Heimwehfluh traf keine Schuld an ihrem Tod. 2023 legte das Bundesamt für Verkehr die Seilbahn der Heimwehfluh zwischenzeitlich still. Der Grund: Sie hatte seit 20 Tagen keinen technischen Leiter mehr, wie die «Berner Zeitung» berichtete. Ein solcher kümmert sich darum, dass Bremsen, Seile und Fahrbahn regelmässig und korrekt geprüft werden – und instand gehalten und falls nötig repariert werden. 

Lange gab es im Kanton Bern für Rodelbahnen keine Betriebsbewilligungspflicht. Heisst: Betreiber konnten die Bahnen lange in Eigenverantwortung betreiben, ohne dass sie ihre Bahn periodisch auf die Sicherheit überprüfen lassen mussten, um sie überhaupt betreiben zu können. Wie die Kontrollstelle des Interkantonalen Konkordats für Seilbahnen und Skilifte auf Blick-Anfrage erklärt, führt sie inzwischen auch im Kanton Bern alle zwei Jahre eine Inspektion an den Rodelbahnen durch.

* Name geändert

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