Darum gehts
- Unbewilligte Pro-Palästina-Demo in Bern eskaliert mit Gewalt und Brandstiftung
- Randalierte Gartenterrassen, brennendes Restaurant, Angriffe auf Polizei mit Feuerwerkskörpern
- 536 Personen kontrolliert, keine U-Haft trotz massiver Ausschreitungen und Sachschäden
Der Mann wirft einen Tisch in Richtung des Polizisten. Mit voller Wucht. Sein Ziel: den Beamten verletzen. Es fliegen Bänke und weitere Tische. Mitten in der Stadt. Vor dem Café Monnier 1912. Direkt im Zentrum von Bern. Das Wort Strassenschlacht kommt einem in den Sinn.
Traurig: Es ist kein Einzelfall. An der unbewilligten Pro-Palästina-Demo am Samstag in Bern geht es an vielen Orten heftig zur Sache. Blick hat sich auf die Spuren der Täter gemacht.
Aufnahmen zeigen: Auch in den berühmten Arkadenstrassen werden Feuerwerkskörper gegen die Beamten geschossen. Selbst der Bundesplatz macht da keine Ausnahme.
Die Person mit der Fackel
Ein anderer Krawallmacher tritt derweil auf die Beamten ein. Von einer Friedensdemo kann keine Rede sein.
Steine und Flaschen fliegen in Richtung der Einsatzkräfte. Mitten in der Menschenmenge schiesst eine Person gefährliches Feuerwerk in die Luft.
Daneben wird randaliert. Gartenterrassen werden auseinandergenommen. Besonders schlimm: Das Restaurant Della Casa in der Schauplatzgasse wird in Brand gesteckt. «Wir hatten Todesangst», sagt Inhaber Tobias Burkhart (56) am Montag zu Blick. Nur dank des Einsatzes eines Wasserwerfers der Polizei kommt niemand zu Schaden.
Auf einem Video einer Angestellten ist zu sehen, wie eine kleingewachsene Person mit einer brennenden Pyro-Fackel durch das Bild rennt. Kurz darauf schlagen Flammen die Hauswand des über 500-jährigen Hauses hinauf.
Keine U-Haft
All diese Bilder zeigen mutmassliche Straftaten. Brandstiftung, Vandalismus, Gewalt und Drohung gegen Beamte. Vielleicht sogar Körperverletzung oder noch Schlimmeres.
Trotz der massiven Ausschreitungen, der Gewaltbereitschaft, der Sachschäden, der Beinahe-Katastrophe im Restaurant Della Casa – die Berner U-Haftzellen sind leer. «Wir haben insgesamt 536 Personen angehalten und kontrolliert», sagt Lena Zurbuchen, Sprecherin der Kantonspolizei Bern, zu Blick. Eine der kontrollierten Personen sei zur Haft ausgeschrieben gewesen, weshalb sie festgenommen wurde. Dies habe jedoch nichts mit dem Einsatz anlässlich der Kundgebung zu tun.
Zurbuchen sagt: «Den restlichen kontrollierten Personen konnten im Nachgang noch keine konkreten Delikte zur Last gelegt werden. Somit bestand keine rechtliche Grundlage, die Personen noch in Kontrolle respektive Haft zu behalten.»
Heisst: All die auf den Bildern festgehaltenen mutmasslichen Straftaten blieben bis jetzt ohne Konsequenzen für die Täter. Blick fragt: Wie kann das sein? «Wir stehen aktuell am Anfang der Ermittlungen. Es gilt nun, sehr minutiös diese Ermittlungen zu führen und so gut und umfassend wie möglich zu ermitteln», sagt Zurbuchen.
Schwer, Beweise zu erbringen
Doch warum wurde niemand in U-Haft genommen, um genau das zu ermitteln? Simon Huwiler (38), Rechtsanwalt und Dozent an der Universität Bern, erklärt gegenüber Blick: «Eine Person kann dann inhaftiert werden, wenn gegen sie ein hinreichender Tatverdacht auf eine konkrete Straftat besteht.» Heisst: Um eine Person über die Zeit der Demonstration beziehungsweise der befürchteten Ausschreitungen hinaus festzuhalten, braucht es einen hinreichenden Tatverdacht, dass die konkrete Person eine Straftat von einer gewissen Schwere begangen hat.
«Wenn die Polizei belegen kann, dass die betreffende Person anlässlich der Demonstration beispielsweise eine Brandstiftung begangen hat, wäre eine Inhaftierung im Zeitpunkt der Anhaltung grundsätzlich möglich», sagt Huwiler. Dafür braucht es konkrete Beweise. Doch: «Solche Beweise sind bei einer unübersichtlichen Lage wie am Samstag in Bern schwer zu erbringen.»
Unbewilligte Demo reicht nicht
Da wäre aber noch der Umstand, dass die Demo an sich nicht bewilligt war. Hätte das nicht ausgereicht? Huwiler hat da eine klare Haltung: «Die Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration reicht meines Erachtens zu Recht nicht aus, um jemanden längerfristig in Haft zu nehmen. Wir leben glücklicherweise nicht in einer Diktatur, in der rechtsstaatliche Garantien nicht gelten.» Diese Garantien müssten auch dann gelten, wenn das politische und gesellschaftliche Kopfschütteln über eine eskalierte Demo gross ist.
Trotzdem: Die Täter sollten sich nicht zu sicher fühlen. «Dass vorerst niemand in Haft genommen wurde, bedeutet nicht, dass die beteiligten Personen ohne strafrechtliche Konsequenzen bleiben», so Huwiler. Heisst für die Chaoten von Bern: Die U-Haft kann durchaus noch kommen.