Darum gehts
- Rentner (82) verliert 200’000 Franken durch Onlinebetrug
- Mutmasslicher Betrüger übernahm Kontrolle über Computer und E-Banking des Opfers
- 1570 ähnliche Fälle wurden letztes Jahr den Schweizer Behörden gemeldet
Die vergangenen Monate, sagt Andrin W.* (82), fühlten sich im Nachhinein wie ein Albtraum an. Er sei wie ferngesteuert gewesen, ohnmächtig. «Als ich aufwachte, war mein Leben kaputt», sagt der Rentner aus Spiez BE mit wässrigen Augen zu Blick.
Ende April 2024 lagen auf seinem Sparkonto knapp 200’000 Franken. Geld, das der selbstständige Automechaniker mühsam angespart hatte, bevor er sich mit 79 Jahren zur Ruhe setzte. Auf das Geld ist er angewiesen, Pensionskasse hat er keine, die Rente reicht nicht. Jetzt liegen auf dem Konto noch 8 Franken.
Andrin W. wurde Opfer eines mutmasslichen Onlinebetrügers. Die Kantonspolizei Bern ermittelt und wertet aktuell seinen Laptop aus.
«Hilfe» beim E-Banking
Währenddessen sitzt der 82-Jährige in seiner Werkstatt im Keller vor einem Berg ausgedruckter Nachrichten und versucht, zu verstehen, was passiert ist.
Es beginnt mit einem E-Mail. «Darin stand, dass ich im Lotto gewonnen habe», erinnert sich W. Weil er tatsächlich bei einem Gewinnspiel mitgemacht hat, denkt er nicht an einen Betrug. Der Absender des Mails nennt sich P. Z.**. Er erklärt, Andrin W. müsse einen E-Banking-Zugang einrichten, damit der Gewinn überwiesen werden könne. Er bietet an, W. bei den technischen Schritten zu helfen. Der Rentner willigt ein.
Es gibt Programme, die es möglich machen, einen Computer zu bedienen, ohne physisch davor zu sitzen. Andrin W. hat eine solche Software installiert und gibt P. Z. die Zugangsdaten. Fortan treffen sie sich vor seinem Laptop. P. Z. tippt Anweisungen auf Englisch in den Google-Übersetzer. W. liest die Übersetzungen, schreibt auf Deutsch zurück.
22. April: Der Onlinebankingzugang ist bereits eingerichtet. P. Z. hat veranlasst, dass 44’000 Franken von Andrin W.s Sparkonto auf sein Hauptkonto transferiert werden. Von dort aus soll das Geld an einen Kryptodealer weitergehen, der den Betrag als Depot ablegen werde, erklärt P. Z.
«Es ist möglich, dass die Bank Sie anruft, um die Zahlung zu genehmigen», schreibt der mutmassliche Betrüger. Und: «Sagen Sie einfach, dass alles in Ordnung ist.»
«Ich habe nichts gemerkt»
24. April: Die Zahlung ist noch nicht erfolgt. P. Z. bittet Andrin W. darum, die Bank anzurufen. «Ich vertraue darauf, dass Sie das machen», schreibt er, gibt dem Rentner die Nummer und die Öffnungszeiten der Bank durch. Andrin W. antwortet: «Ich brauche etwas Zeit, mir ist alles zu viel.» P. Z. gibt sich verständnisvoll. «Sie sind eine kluge Person», lobt er den Rentner. «Denken Sie einfach daran, ruhig und direkt zu sein. Sie können sich auch ein bisschen empört geben, dass die Zahlung noch nicht veranlasst wurde.»
W. folgt den Anweisungen. Die Bank löst die Zahlung aus. Und weitere. «Ich habe nichts gemerkt», sagt Andrin W. «Dafür schäme ich mich.»
Etwa einen Monat später ruft ein Bankangestellter den Rentner an. Seine Zahlungen könnten nicht ausgeführt werden. Das Konto sei leer. «Ich bin nach dem Gespräch einfach vom Stuhl gekippt», erzählt Andrin W. Die Bank sperrt seinen E-Banking-Zugang.
21. Mai: «Ich bin KEIN Dieb», schreibt P. Z., als W. ihn mit den Ereignissen konfrontiert. «Aber weil Sie den Zugang sperren lassen haben, sind mir nun die Hände gebunden.» Er schlägt dem Rentner vor, einen E-Banking-Zugang für seine Frau anzufordern. «350’000 Franken liegen für Sie bereit», verspricht er.
Andrin W. bricht den Kontakt ab. Sein Treuhänder hilft ihm, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Die Rente reicht knapp für die monatlichen Rechnungen. Für Lebensmittel oder Steuern bleibt nichts mehr übrig. «Ich kann mir nur noch Suppe und Kartoffeln leisten», sagt W.
Masche ist bekannt
Den Schweizer Behörden ist die Masche bekannt. Der Polizei wurden letztes Jahr 1570 ähnliche Fälle gemeldet. Also solche, bei denen sich die Betrüger mittels Software Zugang zum PC des Opfers verschaffen – und über das E-Banking Zahlungen auslösen. Das geht aus der Jahresstatistik des Bundesamts für Cybersicherheit hervor.
Andrin W. bleibt indes nichts übrig, als abzuwarten. Er deutet auf eine Holztischplatte, die an der Wand seiner Kellerwerkstatt lehnt: «Ich konnte sie im Internet verkaufen.» Morgen hole der Käufer sie ab, für 20 Franken. W: «Das bedeutet mir momentan die Welt.»
* Name geändert
** Name bekannt