Darum gehts
- Schweizer erwägen laut Studie Boykott von US-Produkten aufgrund von Zöllen und Trump
- Boykotte erfordern kritische Masse und unbedingten Willen der Teilnehmer
- Boykotte bringen bei Unternehmen keinen Gewinnrückgang, aber Zugeständnisse
Die Zölle, Trump, die USA – man mag es nicht mehr hören, es macht hässig. Man will etwas tun. Aber was? Der Berner Nationalrat Reto Nause schrieb sich letzte Woche den Frust auf X von der Seele: Unwürdig sei es, wie wir von den USA behandelt würden. Sein Aufruf: Boykott! Beim CH-Media-Verlag doppelte er nach. Beim nächsten Handy will er kein iPhone mehr, und auch bei den Speicherdiensten und Streaminganbietern will er auf Nicht-Ami-Alternativen setzen.
Nause ist nicht allein. Die Zuschriften, die wir auf einen Aufruf in der Onlinecommunity erhalten haben, gehen in die gleiche Richtung.
Thomas Schöni: «Heinz-Saucen: Wir haben selber gutes Ketchup! Tabasco: Kann ich selber machen! iPhone: Samsung! Tesla: Hyundai! Und vor allem keine Reisen mehr in die USA: Kanada sei sogar schöner.»
Manuel Minder: «Ami-Fahrzeuge, oberdoofe Fernseh- und Kinofilme, Cola, Starbucks – nein danke! Ich meide, wo ich kann, alles aus Diktatorenländer. Und für mich gehören die USA ganz klar dazu.»
Al Cavallo: «Alles, was von US-Unternehmen (direkt oder indirekt) kommt, kaufe ich nicht.»
Schon im Mai deutete es eine Studie des Marktforschungsinstituts Yougov im Auftrag des Onlinehändlers Galaxus an: 62 Prozent der befragten Schweizerinnen und Schweizer gaben an, künftig US-Produkte vom Einkaufszettel streichen zu wollen. Nun ist der Ärger wieder aufgeflammt. Und neu auch, wie Reto Nauses Tweet zeigt: politisch aufgeladen. Seine Hoffnung: «Die Masse der Schweizer Konsumenten kann vielleicht eine Reaktion auslösen.»
Die Schweiz als gallisches Dorf
Kann sie? Kann die kleine Schweiz gegen die grossen USA etwas ausrichten? Trump zum Einlenken bringen? Und was bringt ein solcher Aufruf?
Zuversicht kommt aus Deutschland. Ulrich R. Orth, Boykottforscher und Professor der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, spricht von der Schweiz als gallischem Dorf. Er sagt: «Die Schweiz kann innerhalb Europas Vorbildcharakter haben.» Die Leute in anderen Ländern könnten auf die Idee kommen: Wenn die kleine Schweiz sich das traue, könnten sie das auch. Und etwas in Gang setzen. Dominoeffekt.
Doch jetzt schnell, schnell sagen: «Wir verzichten» – das reicht nicht. Forschungsarbeiten zu Boykotten zeigen: Diese scheitern oft an dem, was Menschen ankündigen und dann tatsächlich tun. Ein Post in den sozialen Medien, um sich moralisch reinzuwaschen, ist schnell gemacht. Es braucht Taten.
Das steht auch am Anfang des Phänomens Boykott. Damals im 19. Jahrhundert, als der Mann lebte, der diesem – unfreiwillig – seinen Namen gab: Charles Cunningham Boycott (1832–1897). Ein Engländer in Irland.
Dieses stand früher unter englischer Herrschaft und war auf eine fast mittelalterliche Weise aufgeteilt: Es gab arme Bauern, die vom Land lebten, und reiche Grundbesitzer, die dieses besassen. Captain Boycott war der Verwalter dazwischen, er trieb die Pachten ein.
1879 fiel die Kartoffelernte sehr schlecht aus. Die Bauern verlangten von Boycott, den Pachtzins zu senken. Doch der winkte ab und schickte stattdessen den Gerichtsvollzieher los, mit Räumungspapieren im Gepäck. Die Bauern waren ausser sich, wollten ihm schon an den Kragen. Da rief sie ein lokaler Priester zur Vernunft: Besser sollten sie von nun an Captain Boycott meiden, ihn isolieren wie einen Aussätzigen. So geschah es. Der Hufschmied wollte seine Pferde nicht beschlagen, der Bäcker ihm kein Brot verkaufen. Und die Bauern verweigerten ihre Arbeit auf dem Feld, wollten alles verrotten lassen. Captain Boycott verlor am Ende viel Geld. Und gab auf, verliess Irland.
Die Geschichte zeigt: Es braucht eine kritische Masse von Leuten, die mitziehen, und einen unbedingten Willen. Doch damals ging es um ihre Existenzen. Die Menschen handelten als Bauern, Pächter, Väter, die ihre Familie ernähren mussten. Heute handeln wir als Konsumentinnen und Konsumenten durch unseren Kaufentscheid. Was ist da die Motivation?
Die Moral schwingt mit
Jan-Hendrik Bucher, Dozent am Institut für Marketing und Customer Insight der Universität St. Gallen, kennt den aktuellen Forschungsstand. Er sagt: «Boykotte sind dort erfolgreich, wo Menschen über längere Zeit konsequent und einheitlich handeln – und sich mit einer klaren, gemeinsamen moralischen Botschaft identifizieren können.»
Bestes Beispiel: Der Boykott gegen den Ölkonzern Shell im Jahr 1995. Auslöser war die geplante Versenkung der ausgedienten Ölplattform Brent Spar im Atlantik, die Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace scharf kritisierten. Europaweit mieden die Menschen deshalb Shell-Tankstellen. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung und sinkender Verkaufszahlen lenkte Shell ein. Es liess die Plattform an Land zerlegen.
Shell war nicht der einzige Ölkonzern auf der Welt. Die Autofahrerinnen und -fahrer konnten einfach eine andere Tankstelle ansteuern. Deshalb hatten die Menschen genug Schnauf, um ihre Aktion durchzuziehen: Es gab Alternativen.
Und das ist der Punkt, so beurteilt es der deutsche Konsumpsychologe Ulrich R. Orth. «Ein Boykott fällt umso leichter, je mehr Ausweichmöglichkeiten es gibt.» Diese sind dann realistisch, wenn der Umstieg nicht zu hohe Kosten in Form von Aufwand und Geld verursacht. Er sagt: «Auf Apple-Produkte zu verzichten, ist schwierig.»
Die Grenzen des Boykotts
Apple, Microsoft, Google und Co. – ihre Produkte nutzen wir jeden Tag, privat und im Arbeitsleben. Wir sind abhängig. Doch es gibt auch andere Güter. Der F-35-Jet zum Beispiel. Das Schweizervolk könnte den Kauf theoretisch stoppen. Würden Europa, Grossbritannien, Italien, Niederlande, Norwegen, Dänemark, Belgien oder Polen ihre Bestellungen ebenfalls überdenken, hinauszögern, könnte das einen Effekt haben. Es könnte den USA wehtun. Ihrem Ansehen in der Welt schaden. Und die US-Bürgerinnen und -Bürger wachrütteln, sie gegen Trumps Politik aufstehen lassen.
Der Amerikaner Brayden King, Ökonomie-Professor der Kellogg School of Management, hat mehrere Boykottfälle in Bezug auf Unternehmen untersucht – sein Fazit: Den Gewinn schmälern solche Aktionen nicht. Doch: Berichten die Medien gross über einen Boykott, füttert das, so King, Ängste vor einem Imageschaden, sinkenden Börsenkursen und Absatzzahlen, auch bei den Aktionären. Allein diese Angst bringt die CEOs dazu, zu handeln. Kings Forschung zeigt: Die Unternehmen machen bei Boykotten oft Zugeständnisse.
Und das wäre derzeit das eigentliche Ziel eines Boykotts aus Europa, aus der Schweiz: Trump knickt ein, schraubt die Strafzölle herunter. Vielleicht hat Reto Nause zumindest in der Schweiz dafür den Boden gelegt.
Der Boykottforscher Ulrich R. Orth sagt: «Der Aufruf eines Nationalrats hat grossen symbolischen Wert.» Er setzt ein Zeichen: Wir lassen uns das nicht gefallen. Gerade in einem kleinen Land sei das nicht zu unterschätzen, sagt Orth. Innerhalb kleiner, enger verflochtener Gruppen fliesse die Kommunikation besser. Sein Fazit: «Die Schweiz hat bessere Chancen als ein grosses Land, einen Boykott für viele Menschen fühlbar zu machen.» Und Schlagkraft zu erreichen.
Noch sind wir weit davon entfernt. Doch vielleicht ist der Anfang gemacht. Vielleicht entfaltet sich über die nächsten Monate eine Bewegung. Sicher ist: Trump hat erst angefangen, zu wüten. More to come.
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