Darum gehts
- Katrin Schneeberger spricht über Klimawandel und Umweltschutz in der Schweiz
- Klimawandel betrifft alle Regionen der Schweiz, nicht nur die Alpen
- Permafrost kommt auf rund 5 Prozent der Schweizer Fläche vor
Frau Schneeberger, viele haben die Flucht ergriffen, als Albert Rösti vor zweieinhalb Jahren Bundesrat wurde. Warum sind Sie geblieben?
Katrin Schneeberger: Das ist ein Ammenmärchen! Die Fluktuation im Bafu sinkt seit den Corona-Jahren. Ich war früher beim Bundesamt für Strassen, habe für die Bundesrätinnen Doris Leuthard und Simonetta Sommaruga gearbeitet, jetzt bin ich beim Bundesamt für Umwelt mit Bundesrat Rösti. Alle drei sind starke Persönlichkeiten. Und dass politische Bewertungen von Bundesrat Rösti teilweise anders ausfallen als bei Bundesrätin Sommaruga – das versteht sich von selbst.
Wie oft zoffen Sie sich mit Ihrem Chef?
Was ist das für eine Frage? Ich arbeite mit meinen Vorgesetzten immer konstruktiv zusammen.
Rösti gehört der SVP an – in der Partei sind auch Klimaleugner zu Hause.
Unsere Diskussionen mit Bundesrat Rösti sind stets faktenbasiert.
Sie haben einen sprechenden Namen. Wird der Name Schneeberger nostalgisch, weil wir irgendwann keinen Schnee in den Bergen haben?
Die Schneegrenze wird sich weiter nach oben verschieben. Dass wir in der Schweiz aber keinen Schnee mehr haben, davor habe ich keine Angst.
Können Sie uns ein Update zum Bergrutsch in Blatten geben? Ist der Klimawandel schuld?
Wir analysieren die Ereignisse in Blatten zusammen mit dem Kanton Wallis. Das dauert eine Weile.
Schon kurz nach dem Unglück war zu hören, dass das Auftauen des Permafrosts die Tragödie begünstigt hat.
Permafrost ist der Kitt unserer Berge. Er kommt auf rund 5 Prozent der Schweizer Fläche vor – das ist ein bedeutender Anteil. Wenn der Permafrost taut, wird die Bergwelt weniger stabil, und es kommt häufiger zu Felsstürzen und Hangrutschen. Darauf müssen wir uns verstärkt einstellen.
Wo in der Schweiz macht sich der Klimawandel bereits heute bemerkbar?
Überall. Man sieht die Auswirkungen des Klimawandels bei Hochwasser, aber auch bei Bergstürzen und bei Waldbränden. Im Wallis brannten 2023 die Wälder 19 Tage lang. Wir bemerken den Klimawandel auch bei der Landwirtschaft oder bei der Schifffahrt, wenn der Pegelstand zum Problem wird. Der Klimawandel betrifft nicht nur die Alpen, sondern auch das Mittelland, die Städte und die Agglomerationen. Kurz gesagt: uns alle.
Ist die Schweiz verletzlicher geworden?
Ja. Naturgefahren werden häufiger und intensiver, die Schweiz wird auch durch die dichte Besiedlung verletzlicher. Überschwemmungen beschädigen unsere Infrastruktur, ältere Menschen leiden unter der Hitze. Auch Tiere und Wälder sind betroffen.
Ihre Fachleute haben einen Bericht über Klima-Risiken der Schweiz geschrieben. Was alarmiert Sie am meisten?
Die zunehmende Hitze und Trockenheit. Das sind Phänomene, die uns alle angehen und auch die Menschen in den Städten betreffen.
Nach Blatten gelten die Bergler als Opfer des Klimawandels. Warum sind auch Städter betroffen?
Städte und Agglomerationen sind stark zugebaut. Wasser kann bei starkem Regen schlecht versickern. Die Hälfte aller Hochwasserschäden wird heute dadurch verursacht. Zudem kühlt es in Städten selbst nachts bei Hitze kaum mehr ab – darunter leiden die Menschen.
Mit welchen Massnahmen mildern Sie die Klima-Risiken?
Wir warnen seit kurzem vor Trockenheit, damit sich die Behörden und Wirtschaftszweige wie die Landwirtschaft vorbereiten können. Und gerade haben wir das Projekt «Adapt+» lanciert, damit fördern wir die Anpassung an den Klimawandel. Die Nachfrage ist sehr gross, mittelfristig wohl höher als der verfügbare Betrag. Mit dem Geld können erfolgreiche Projekte umgesetzt werden, beispielsweise neuartige Strassenbeläge, die zu kühleren Städten beitragen. Oder es werden klimaresistente Bäume in einem Schutzwald gepflanzt, damit sie Siedlungen, Strassen und Schienen vor Erdrutschen schützen.
Wenn vor allem Städte vom Klimawandel betroffen sind: Müsste die Raumplanung nicht viel radikaler sein?
Der Nutzungsdruck in den Städten ist tatsächlich gross, die Städte wachsen. Umso wichtiger ist, dass die verschiedenen Aspekte möglichst früh in die Raumplanung miteinbezogen werden – nicht erst am Schluss, wenn alles schon verbaut ist. Das läuft aber schon sehr gut.
War die Versiegelung des Sechseläutenplatzes in Zürich ein Fehler?
Den Sechseläutenplatz zu kritisieren, steht mir als Stadtbernerin nicht zu. Für die Kühlung der Städte ist es aber wichtig, dass es viele Bäume und Wasserflächen gibt. Auch die Begrünung der Dächer kann das Stadtklima verbessern. Basel ist hier eine weltweite Vorreiterin.
Brauchen wir mehr Klimaanlagen, um alte Menschen vor dem Hitzetod zu schützen?
Es gibt technologische Fortschritte. Man muss auch auf die Energiebilanz schauen. Ich persönlich bin kein grosser Fan von Klimaanlagen. Mit Jalousien und Vorhängen kann man punkto Kühlung bereits viel erreichen.
Welche invasiven Arten beunruhigen Sie am meisten?
Jede invasive Art stellt eine Herausforderung dar. Die Quagga-Muschel ist eine Herausforderung, weil sie sich in rasantem Tempo verbreitet. Heute beobachten wir sie vor allem im Bodensee und im Genfersee, sie kommt aber auch in anderen Gewässern vor. Sie verdrängt hiesige Arten und verursacht hohe finanzielle Schäden an der Infrastruktur, da sie Wasserschächte zupflastert und Kühlwassersysteme verstopft.
Seit der Wahl von Donald Trump stampfen viele Unternehmen ihre Diversity-Programme ein. Spüren Sie den Backlash auch beim Thema Nachhaltigkeit?
Umweltanliegen haben es generell schwerer als früher.
Kämpfen Sie wie eine Löwin dafür, dass die Schweiz 2050 das Netto-Null-Ziel erreicht?
Mein Sternzeichen ist tatsächlich Löwin (lacht).
Bundesrat Rösti ist auch Löwe!
Wirklich? Ich setze mich mit dem Bundesamt für Umwelt täglich dafür ein, dass die Schweiz klimaneutral wird. Das Netto-Null-Ziel bis 2050 ist unser Auftrag, im Gesetz verankert und von der Stimmbevölkerung gutgeheissen. Klimaschutz ist für uns nicht neu, wir haben seit einem Vierteljahrhundert ein CO2-Gesetz.
Die Klimajugend ist leiser geworden. Ist sie genug laut, um Umweltanliegen zu stärken?
Der Jugend steht es generell zu, etwas lauter zu sein als die Erwachsenen.