Der Klimawandel verschlimmert Naturkatastrophen
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Schlimmere Naturkatastrophen:«Die Welt muss aufhören, fossile Brennstoffe zu nutzen»

Nach Blatten-Drama fordert Regierungschef Reynard Katastrophenfonds
«Das Wallis bekommt den Klimawandel mit voller Wucht zu spüren»

Die Naturkatastrophe von Blatten fordert den Walliser Regierungspräsidenten Mathias Reynard. Die Ereignisse gingen ihm nahe. Das Wallis spüre den Klimawandel direkt, sagt der frühere SP-Nationalrat. Vom Bund fordert er nun einen Katastrophenfonds.
Publiziert: 14:03 Uhr
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Aktualisiert: 14:41 Uhr
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Der Druck sei immens, sagt der Walliser Staatsrat Mathias Reynard (r.), hier im Bild in Blatten mit seinem Regierungskollegen Christophe Darbellay.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Mathias Reynard managt als Walliser Regierungspräsident die Naturkatastrophe in Blatten
  • Reynard betont die Notwendigkeit eines nationalen Katastrophenfonds für Solidarität
  • Er stellt Frage nach obligatorischer Gebäudeversicherung im Wallis
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

In Bern war Mathias Reynard (37) ein Shootingstar: Er war 24, als er in den Nationalrat kam. Dort war er auch als SP-Präsident im Gespräch, doch dann wechselte er 2021 in den Walliser Staatsrat. Nun durchlebt der ausgebildete Lehrer die härteste Bewährungsprobe seiner Karriere. Als Walliser Regierungspräsident muss er mit seinen Staatsratskollegen die Blattner Naturkatastrophe managen. Blick hat mit dem Walliser Politiker gesprochen. 

Blick: Seit Wochen ist das Wallis im Ausnahmezustand. Auch die Regierung ist gefordert. Wie gehen Sie mit diesem Druck um?
Mathias Reynard: Als Staatsräte stehen wir ständig unter Druck. Aber dieser Druck ist anders. Wenn wir uns mit der Not der Einwohnerinnen und Einwohner unseres Kantons auseinandersetzen, berührt uns das persönlich. 

Wo waren Sie, als der Berg herunterkam?
Ich leitete eine Sitzung. Ich war schockiert und in Sorge um die Bevölkerung. 

Auch im Val de Bagnes kam es zu vereinzelten Murgängen, im vergangenen Sommer kam es zu Hochwasser, 2022 zu Unwettern im Lötschental. Warum trifft es immer wieder das Wallis?
Das Wallis ist ein Gebirgskanton mit vielen Gewässern. Die Natur ist in unserem Leben sehr präsent. Die Risiken sind erheblich. Wir haben Glück, in einem weltweit einzigartigen Ökosystem zu leben, aber dieses ist auch empfindlich und bekommt den Klimawandel mit voller Wucht zu spüren.

Der Kanton Wallis hat zehn Millionen Franken Soforthilfe für Blatten freigegeben. Genügt das?
Die zehn Millionen sind ein erster Schritt, um der Dringlichkeit der Situation gerecht zu werden. Für die Zukunft von Blatten wird jedoch noch viel Geld benötigt. Glücklicherweise können wir auf die Solidarität vieler Kantone und Städte, des Bundes sowie der Schweizer Bevölkerung zählen. Da wird einem warm ums Herz. Das ist die Schweiz: einer für alle, alle für einen. 

Das Dorf Blatten soll wieder aufgebaut werden. Hand aufs Herz: Wie realistisch ist das, wenn alles verwüstet ist?
Der Staatsrat hat schon früh seine Unterstützung für ein zukünftiges Blatten bekräftigt. Wir müssen – und wollen – den Willen der Einwohnerinnen und Einwohner sowie der Behörden von Blatten berücksichtigen. Wir unterstützen sie, damit ein neues Blatten Wirklichkeit werden kann. Der Wiederaufbau wird sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Wir werden die Menschen langfristig unterstützen müssen, auch wenn sich die Medien auf andere Nachrichten konzentrieren. 

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Können wir es uns überhaupt noch leisten, das gesamte Berggebiet zu schützen? Oder müssen wir über kurz oder lang gewisse Gebiete aufgeben?
Die Zukunft unserer Bevölkerung liegt auch in den Berggebieten! Auch die Talebene und die Städte sind regelmässig von Extremereignissen betroffen – etwa von Überschwemmungen. Es geht darum, die Risiken regelmässig zu überwachen und zu bewerten. Die Überwachung des Territoriums und der Naturgefahren ist eine Kernaufgabe des Staates. Das haben wir in Blatten getan. Wir loben die aussergewöhnliche Arbeit aller Teams des Kantons und des Katastrophenstabs vor Ort. Sie haben die Katastrophe vorausgesehen und vorbildlich reagiert. Dank dieser Reaktionsfähigkeit konnten Hunderte von Menschenleben gerettet werden.

Braucht es einen nationalen Katastrophenfonds?
Ja, ein solcher Fonds, der auf nationaler Solidarität basiert, ist notwendig – und dieser Gedanke wird in den kommenden Jahren noch an Bedeutung gewinnen. Denn klar ist: Die Ausgaben des Kantons Wallis für die Bewältigung von Naturkatastrophen und den Folgen des Klimawandels werden weiter steigen – die Bergregionen sind dabei auf Unterstützung angewiesen.

Wie müsste ein solcher Fonds aussehen?
Man könnte sich einen Solidaritätsfonds vorstellen, dessen Mittel offensichtlich vom Bund, aber vielleicht auch von den Kantonen stammen könnten. Das Wichtigste ist, dass in Krisen- und Katastrophensituationen Solidarität zum Tragen kommt.

Bundesrat Rösti bezweifelte in einem «NZZ»-Interview, dass ein solcher Fonds möglich ist. Konkret sagte er: «Ein Fonds ergibt zudem nur Sinn, wenn wir zweckgebundene Mittel oder einen hohen einmaligen Betrag beschliessen. Beides ist politisch schwierig.» Was entgegnen Sie ihm?
Ich bin geneigt, zu antworten, dass man alles erreichen kann, wenn man es nur will. Wie so oft ist es eine Frage des politischen Willens. 

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Ständerat Beat Rieder sagte, dass die Prioritäten im Bundesamt für Umwelt falsch gesetzt würden. Es brauche mehr Geld für die Abwehr von Naturgefahren. Sehen Sie das auch so?
Es ist nicht Aufgabe eines Staatsrats, die Prioritäten eines Bundesamts festzulegen. Aber man muss vorsichtig sein: Viel Geld für den Schutz vor Naturgefahren bereitzustellen, ohne die Ursachen des Klimawandels zu bekämpfen, bedeutet, die Symptome zu behandeln, ohne die eigentliche Krankheit zu heilen.

Sie planen eine langfristige Strategie gegen den Klimawandel. Wie wird diese aussehen? Was wird sie kosten?
Wir arbeiten daran – diese wird in den kommenden Monaten öffentlich vorgestellt. 

Was bringt eine Klimawandel-Strategie überhaupt für einen Kanton, wenn die grossen Verschmutzer in China oder den USA sind?
Jeder bemüht sich auf seinem Niveau. Das Wallis ist als Gebirgskanton den Risiken, die der Klimawandel mit sich bringt, besonders ausgesetzt. Wir können uns nicht damit begnügen, abzuwarten und nichts zu tun, nur weil andere es noch schlechter machen. Die Schweiz ist ein reiches Land – und trägt damit auch ihren Teil der Verantwortung für den Ausstoss von Treibhausgasen. 

Der Kanton Wallis ist einer der wenigen Kantone, in denen die Gebäudeversicherung nicht obligatorisch ist. Ist das noch zeitgemäss?
Diese Frage müssen wir uns wirklich stellen. Ich denke, dass diese Debatten offen und demokratisch diskutiert werden müssen. Wir haben Versicherungslösungen im Bereich der Landwirtschaft gefunden – nun liegt es an uns, Lösungen für den Schutz der Bevölkerung zu finden.

Sie hätten auch SP-Präsident werden können. Ist Ihre nationale Karriere vorbei, oder reizt Sie eine Rückkehr nach Bern, zum Beispiel in den Bundesrat?
Meine Arbeit als Staatsrat füllt mich völlig aus. Ich habe nie über einen Karriereplan nachgedacht. Meine einzige Priorität ist heute die Walliser Bevölkerung.

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