«Wäre gerne länger geblieben»
Trotz Notstand: Schweiz weist Pflege-Talente ab

Ausländische Pflegekräfte müssen nach 18 Monaten die Schweiz wieder verlassen – obwohl sie gerne länger bleiben würden. Dies trotz Fachkräftemangel: Bis 2030 dürften etwa 30’500 Pflegekräfte in der Schweiz fehlen.
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«Es ist nicht leicht, das eigene Land zu verlassen, aber für viele ist es die einzige Chance, etwas aufzubauen», so Hazel Emiliano.
Foto: Thomas Meier

Darum gehts

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«Es ist schade, dass ich nicht länger in der Schweiz bleiben kann», sagt die philippinische Pflegefachfrau Estephanie Pasucal. Sie arbeitet seit Anfang September 2025 im Altersheim «Früeling – Zentrum fürs Alter» in Beringen SH. Ihr Aufenthalt wird durch das Stagiaires-Abkommen ermöglicht, das ausländischen Fachpersonen die Chance gibt, bis zu anderthalb Jahre im Land zu arbeiten. Verlängerungen sind nur eingeschränkt möglich und in der Praxis schwer durchsetzbar – trotz des akuten Pflegekräftemangels.

«Wir haben in der Schweiz einen deutlichen Mangel an Pflegefachkräften, das ist eine Tatsache», erklärt der Heimleiter Daniel Gysin. Aus diesem Grund sei er froh über jede Möglichkeit, engagierte und motivierte Mitarbeitende zu finden – auch über das Stagiaires-Programm. Während Einrichtungen wie seine darin eine wertvolle Hilfe sehen, betont das Staatssekretariat für Migration (SEM), dass das Abkommen nicht gezielt zur Bekämpfung des Pflegekräftemangels eingeführt worden sei. Vielmehr diene es der «beruflichen Aus- und Weiterbildung von jungen Personen und ihrem Wissenserwerb auf dem Schweizer Arbeitsmarkt».

Schweiz als Zwischenstation

Nach Ablauf der 18 Monate zieht Pasucal einen Wechsel nach Deutschland oder Österreich in Betracht. Ihre Überlegungen über einen Aufenthalt in eines der Nachbarländer sind kein Einzelfall – denn dort unterscheiden sich die Rahmenbedingungen deutlich. In Deutschland und Österreich dürfen ausländische Pflegekräfte langfristig bleiben, teilweise sogar mit Aussicht auf den Erwerb der Staatsbürgerschaft. Eine attraktive Alternative.

Im Altersheim in Beringen ist auch Hazel Emiliano befristet angestellt. Nachdem sie einen achtmonatigen Aufenthalt in Deutschland aufgrund von «familiären Problemen» abbrechen musste, fand sie in der Schweiz eine neue Möglichkeit. Auch Emiliano könne sich eine Rückkehr in die Philippinen zurzeit nicht vorstellen. «Es macht mich traurig, dass der Aufenthalt nicht verlängert werden kann.» Trotzdem sei sie dankbar für alles, was sie in dieser Zeit bereits lernen durfte. «Ich hoffe, dass ich auch meinem Arbeitgeber etwas zurückgeben kann.»

Hoher Einarbeitungsaufwand

Es ist bereits das zweite Mal, dass Gysin ausländische Pflegekräfte über das Abkommen anstellt. Beim ersten Mal hätte er eine der beiden gerne länger behalten. Dass sie nach 18 Monaten wieder gehen müssen, sei schade, denn man investiere viel Zeit und Energie in die Einarbeitung. So sei bei der Einarbeitung vor allem die Sprache eine grosse Herausforderung, erklärt der Heimleiter. Jede Person bekomme eine Art «Götti» oder «Gotte» – also jemanden, der sie begleitet, unterstützt und bei praktischen Dingen hilft. Sei es bei der Wohnungseinrichtung, Behördengängen oder auch beim Einrichten des Telefons.

«Einzige Chance, etwas aufzubauen»

Der Aufenthalt in der Schweiz bietet ausländischen Fachkräften nicht nur wertvolle Berufserfahrung, sondern vor allem auch die Chance auf einen besseren Lohn. Davon profitieren sie ebenso wie die Schweizer Unternehmen, die dringend Unterstützung suchen. Pasucal verdient in ihrer Heimat rund 300 Franken im Monat. Eine Summe, die nach eigenen Worten kaum genügt, um ihre Familie zu unterstützen. «Leider wird in den Philippinen zu wenig getan, um den Beruf attraktiver zu machen.» Aus diesem Grund würden viele Menschen ins Ausland gehen, wo sie bessere Chancen haben. «Das ist traurig, weil das Land so viele gute Pflegekräfte verliert», so Pasucal.

Auch für Emiliano spiele der Lohn eine entscheidende Rolle. Es sei schon lange so, dass viele Menschen von den Philippinen ins Ausland gehen, um dort zu arbeiten. Der Beruf als Pflegefachkraft sei in den Philippinen sehr beliebt, aber der Lohn reiche oft nicht zum Leben. «Es ist nicht leicht, das eigene Land zu verlassen, aber für viele ist es die einzige Chance, etwas aufzubauen – für sich und für die Familie.»

Schwierige Tage

«Ich vermisse meine Familie sehr», erzählt Pasucal. Zu Hause lebe sie mit ihrer Mutter und ihren zwei Schwestern zusammen. Ihr Vater sei 2019 an einem Herzinfarkt gestorben. Wenn sie freihabe, rufe sie ihre Familie an. «Manchmal fehlt mir das Gefühl von zu Hause – das gemeinsame Essen, das Lachen, einfach das Zusammensein.»

Auch für Emiliano gibt es Tage, die schwerfallen. «Es ist nie leicht, fern von der eigenen Kultur und den Menschen zu leben, die einem am nächsten stehen.» In der Schweiz müsse sie viel Neues lernen – von den täglichen Aufgaben bis hin zur Kommunikation mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Denn die Abläufe und Routinen in der Pflege würden sich stark von jenen auf den Philippinen unterscheiden. Für Emiliano eine wertvolle Chance, sich weiterzuentwickeln.

Mangel spitzt sich zu

Für die Zukunft wünscht sich Pasucal, dass die Pflege wieder mehr Anerkennung bekommt – überall auf der Welt. «Ich hoffe, dass dieser Beruf mit besseren Bedingungen wieder mehr geschätzt wird.»

Klar ist: Die Sorgen sind berechtigt. Denn der Pflegekräftemangel in der Schweiz dürfte sich weiter zuspitzen. Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) erwartet bis 2029 einen Anstieg des Personalbedarfs um 14 Prozent in den Spitälern, um 19 Prozent bei der Spitex und um 26 Prozent in Alters- und Pflegeheimen. Bis 2030 dürften etwa 30’500 Pflegekräfte in der Schweiz fehlen.

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