«Schwer nachvollziehbar»
Die Schweiz vergrault Pflegenachwuchs – zur Freude der Nachbarländer

Fachkräfte aus dem Ausland müssen trotz Personalmangel nach 18 Monaten ihre Koffer packen. Das Staatssekretariat für Migration verteidigt seine Praxis.
Publiziert: 06:01 Uhr
|
Aktualisiert: 18.10.2025 um 18:48 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/5
Mit der Rekrutierung ausländischer Pflegefachkräfte würde die Schweiz anderen Ländern Fachkräfte entziehen, findet Yvonne Ribi, Geschäftsführerin SBK.
Foto: Zvg

Darum gehts

  • Das Unternehmen LMCare stellt die Vermittlung asiatischer Pflegekräfte in der Schweiz ein
  • SBK kritisiert die Vermittlung ausländischer Pflegefachkräfte in der Schweiz
  • Bis 2030 sollen etwa 30'500 Pflegekräfte in der Schweiz fehlen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
jeremy-goy-ringier.jpg
Jeremy GoyRedaktor

Die Schweiz sucht dringend nach Fachkräften, im Pflegebereich ist die Lage geradezu verzweifelt. Deshalb rückt das sogenannte Stagiaires-Abkommen immer stärker in den Vordergrund: Es gibt ausländischen Fachpersonen die Möglichkeit, bis zu anderthalb Jahre im Land zu arbeiten. Wenn kein Gesuch auf Verlängerung gestellt wird, endet der Aufenthalt jedoch nach Ablauf der 18-Monatsfrist. Verlängerungen sind nur eingeschränkt möglich und in der Praxis schwer durchsetzbar.

Fachkräftemangel hin oder her. In Deutschland und Österreich hingegen dürfen ausländische Pflegekräfte langfristig bleiben – teilweise sogar mit der Aussicht, die Staatsbürgerschaft des Gastlands zu erwerben. Kein Wunder also, dass sich Fachleute nicht europäischer Herkunft von vornherein gegen eine Tätigkeit in der Schweiz entscheiden.

Firma stellt Vermittlungen in der Schweiz ein

Dieses Phänomen macht René Mangold Sorgen. Er ist Geschäftsführer von LMCare, einer Firma, die asiatische Pflegefachkräfte an Spitäler, Kliniken sowie Altersheime in der Schweiz, Deutschland und Österreich vermittelt. Sein Unternehmen habe mittlerweile seine Tätigkeit in der Schweiz eingestellt, erklärt Mangold.

Am Ende der Frist seien alle Teilnehmer des Programms frustriert gewesen. «Nach Ablauf der 18 Monate mussten die Fachkräfte die Schweiz jeweils wieder verlassen – trotz erfolgreicher Einarbeitung, guter Integration und einem spürbaren Mehrwert für die Betriebe. «Diese Situation war für alle Beteiligten schwer nachvollziehbar.»

Vorwürfe wegen unethischem Vorgehen

Kritiker indes bemängeln, es sei unethisch, Fachkräfte aus anderen Ländern abzuwerben. So auch der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK). Der Mangel an ausgebildetem Personal sei ein globales Problem. Durch Rekrutierung jenseits der Grenzen entziehe die Schweiz anderen Ländern Fachkräfte, erklärt SBK-Geschäftsführerin Yvonne Ribi. Die prekäre Lage im globalen Süden verschlechtere sich dadurch zusätzlich.

Mangold kennt diese Vorwürfe, weist sie jedoch zurück: «Diejenigen, die das behaupten, wissen nicht, wovon sie sprechen. Sie waren noch nie in diesen Ländern.» Nationen wie Indonesien, die Philippinen und Indien hätten einen so hohen Anteil junger Menschen, dass vielfach nicht einmal genügend Beschäftigung für alle angeboten werden kann. Die Regierungen in diesen Ländern hätten grosses Interesse, dass ihre Nachwuchskräfte überhaupt Arbeit finden, argumentiert Mangold.

Fokus auf Ausbildung im eigenen Land

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) erklärt auf Anfrage, man habe das Stagiaires-Abkommen keineswegs zur gezielten Bekämpfung des Pflegekräftemangels eingeführt. Vielmehr diene es der «beruflichen Aus- und Weiterbildung von jungen Personen und ihrem Wissenserwerb auf dem Schweizer Arbeitsmarkt». Was die Stagiaires in der Schweiz gelernt haben, sollte ihnen grössere Chancen auf dem Arbeitsmarkt in ihrem Heimatland eröffnen.

Statt verstärkt auf Fachkräfte aus dem Ausland zu setzen, wolle die Schweiz Pflegeberufe im eigenen Land attraktiver machen und die Arbeitsbedingungen verbessern, argumentiert das SEM – so, wie es die 2021 angenommene Pflege-Initiative vorsehe. Rekrutierungsabkommen, wie sie Deutschland nutzt, habe der Bund nicht im Fokus: «Solche Abkommen könnten dazu führen, dass in anderen Ländern Pflegefachpersonen fehlen.» Die Schweiz orientiere sich am Verhaltenskodex für die grenzüberschreitende Anwerbung von Gesundheitsfachkräften der WHO.

Handlungsbedarf bei Arbeitsbedingungen

Um Pflegefachkräfte langfristig im Beruf zu halten, befürwortet Yvonne Ribi vom Berufsverband der Pflegefachpersonen wirksame gesetzliche Massnahmen des Bundes und der Kantone – mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen in der Branche zu verbessern: «Die Pflege-Initiative muss vom Parlament nun dringend vorangetrieben werden.»

Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) erwartet bis 2029 einen Anstieg des Personalbedarfs um 14 Prozent in den Spitälern, um 19 Prozent bei der Spitex und um 26 Prozent in Alters- und Pflegeheimen. Bis 2030 dürften etwa 30’500 Pflegekräfte in der Schweiz fehlen.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen
      Meistgelesen