Darum gehts
- SBV kritisiert den Gegenvorschlag als ungenügend und ambitionslos
- Bundesrat schlägt gezielte Maßnahmen auf Gesetzesebene statt Verfassungsänderungen vor
- Die Vernehmlassung zum Gegenvorschlag endete am Donnerstag, 25. Juni
Der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband (SBV) gibt dem Gegenvorschlag in der Vernehmlassungsantwort das «Prädikat ungenügend.» Er müsse markant verbessert werden, denn das Inklusionsgesetz sei ambitionslos. Menschen mit Sehbehinderungen blieben zentrale Hilfeleistungen verwehrt, um den Alltag selbstständig zu bestreiten.
Der SBV fordert unter anderem bedarfsgerechte Abklärungen, einen erweiterten Kreis der Assistenzleistenden (z.B. Lebenspartner) und eine Gleichbehandlung auf dem Arbeitsmarkt. Weitere Behindertenverbände wie Pro Infirmis, der Verband Agile und der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen kritisieren den Gegenvorschlag ebenfalls.
Zu enger Behinderungsbegriff
Die Mitte-Partei moniert, dass der indirekte Gegenvorschlag fast ausschliesslich auf das Wohnen fokussiere. Themen wie Ausbildung, Arbeit und Mobilität fehlten im Gesetzesentwurf. Dies sei bedauerlich. Zudem gehe man von einem sehr engen Behinderungsbegriff aus – der nur Personen berücksichtige, die Anspruch auf IV-Leistungen hätten. Hier sieht die Mitte Nachbesserungsbedarf. Es bestehe zudem die Gefahr von Doppelspurigkeiten, da Aufgaben zwischen Bund und Kanton ungenügend definiert seien.
Die FDP lehnt den Gegenentwurf wegen mangelnder Umsetzbarkeit und fehlender Unterstützung der Kantone ab. Der Gegenentwurf berge unter anderem die Gefahr kantonaler Ungleichheiten. Zudem sehe der Bund keine zusätzlichen Leistungen vor, dies könnte die Kantone belasten. Die Partei fordert einen klaren, koordinierten Umsetzungsplan, der den föderalen Strukturen und der finanziellen Realität gerecht wird und weniger Bürokratie.
«Überbordende staatliche Eingriffe»
Die SP Schweiz begrüsst, dass der Bundesrat den dringenden Handlungsbedarf für die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen anerkenne. Menschen mit Behinderungen sollten endlich selbstbestimmt leben können – dank besserer Assistenz und mehr Wahlfreiheit beim Wohnen. Zentrale Fragen wie die Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr blieben jedoch ungelöst. Hier müsse das Parlament umgehend nachbessern.
Die Schweizerische Volkspartei (SVP) lehnt den indirekten Gegenvorschlag zur Inklusions-Initiative ab. Die Partei ist der Ansicht, dass Menschen mit Behinderungen in der Schweiz bereits gut unterstützt werden. «Überbordende staatliche Eingriffe», neue Verpflichtungen für die Kantone ohne Kostenfolgenschätzung lehne man ab.
Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen
Die SVP kritisiert die geplanten Massnahmen als «nicht nachhaltig und finanziell untragbar», insbesondere angesichts der desolaten Lage der Invalidenversicherung (IV). Sie fordert stattdessen eine stärkere Hilfe zur Selbsthilfe, innovative Lösungen wie Zeitgutschriften für Betreuungshilfen und eine Kostenbeteiligung der Begünstigten. «Absolut stossend» sei, dass die Kantone angehalten würden, eine Reihe von Unterstützungsmassnahmen anzubieten, ohne dabei neue Leistungen auf Bundesebene zu schaffen. Die neuen Vorgaben stellen laut SVP für die Kantone einen unnötigen Eingriff in die Föderale Struktur dar.
Die von Behindertenorganisationen im September 2024 eingereichte Inklusionsinitiative verlangt, die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen und über alle Gesetzesebenen hinweg sicherzustellen. Menschen mit Behinderung sollen Anspruch haben auf Unterstützungs- und Anpassungsmassnahmen und speziell ihren Wohnort und ihre Wohnform frei wählen können.
Vernehmlassung beendet
Der Bundesrat hatte am 25. Juni die Vernehmlassung zum indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative eröffnet. Der Gegenvorschlag besteht aus einem neuen Inklusionsrahmengesetz und einer Teilrevision des Gesetzes über die Invalidenversicherung (IVG). Die Vernehmlassung endete am Donnerstag.
Der Bundesrat unterstütze das Kernanliegen der Initiative, hiess es. Aus seiner Sicht führen die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen jedoch nicht zu direkten Verbesserungen im Lebensalltag der betroffenen Menschen. Aus diesem Grund schlägt der Bundesrat Massnahmen auf Gesetzesebene vor. So könnten die Anliegen der Initiative gezielter und rascher umgesetzt werden. Mit seinem Vorentwurf nimmt der Bundesrat auch Anliegen der Motion 24.3003 der SGK-N auf, bei der es um ambulante Unterstützung für Menschen mit Behinderungen im Bereich Wohnen geht.