Darum gehts
- Deutschland ist politisch gelähmt und reformunfähig
- Deutsche Politiker fürchten die direkte Demokratie
- Aber: Die Schweiz hat keinen Grund zur Arroganz
Deutschland zerlegt sich selbst. Live im Bundestag, im Talkshow-Dauerfeuer, in endlosen Koalitionskrisen. Jüngstes Beispiel: die Rentenreform. Die Regierung hat am Freitag gerade noch die Kurve gekriegt und eine Mehrheit zusammengekratzt. Doch der Konflikt ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.
Deutschland ist gelähmt. Ein Land, das Probleme klug analysiert, aber nicht löst – und dabei das Vertrauen der Bevölkerung verspielt.
Der Schriftsteller Ferdinand von Schirach bringt es auf den Punkt: Die Politik muss die realen Probleme lösen – Rente, Bahn, Migration. Wer nur darüber redet, wie man Vertrauen zurückgewinnt, verliert es endgültig.
Wo der Staat versagt, wachsen Verachtung und Wut. Viele wählen die AfD nicht aus Überzeugung, sondern aus Ohnmacht. Ein Protest gegen eine Politik, die sich selbst genügt.
Und die Schweiz? Noch sind wir besser dran.
In Deutschland zahlen die Jungen voll für die Alten. Keine zweite Säule, kein eigener Kapitalstock. Sinkende Geburtenraten und eine alternde Bevölkerung machen das System zur Wette auf die Zukunft.
Die Schweiz steht stabiler da dank der drei Säulen AHV, Pensionskasse, private Vorsorge – solidarisch, verpflichtend, individuell.
Aber auch bei uns bröckelt der Putz. Wir leisten uns eine 13. AHV-Rente, wissen aber nicht, wie sie finanzieren. Wir kennen die demografische Entwicklung, aber uns fehlt der Mut zu einer nachhaltigen AHV-Reform und ein höheres Rentenalter bleibt tabu.
Deutschland schaffte die Wehrpflicht 2011 ab – im Glauben an den ewigen Frieden. Jetzt tüftelt es an einer «Wehrpflicht light»: Fragebogen wird Pflicht, aber Dienst bleibt freiwillig. Putin kann sich freuen.
Die Schweiz hat eine Wehrpflicht. Sie steht in der Verfassung, das Milizsystem lebt. Trotzdem kein Grund zur Selbstzufriedenheit: Auch unsere Armee ist kaum verteidigungsfähig. Die Truppe schrumpft, das Material veraltet, die Finanzierung ein Streitpunkt.
Deutschland kennt keine direkte Demokratie. Die Politik misstraut dem Volk. Volksentscheide gelten als Risiko. Ergebnis: ein abgehobenes Polit-Establishment und eine Bevölkerung zwischen Frust und Radikalisierung.
In der Schweiz ist das Volk der Chef. Wer in Abstimmungen regelmässig mitbestimmen kann, macht seltener die Faust im Sack. Und die Politiker entscheiden weniger Unsinn – weil sie wissen, dass das Volk jederzeit eingreifen kann.
Direkte Demokratie ist kein Allheilmittel – aber ein starkes Immunsystem.
Deutschland grenzt Parteien aus – einst die Grünen, dann die Ex-Kommunisten, heute die AfD. Ergebnis: Blockade. Denn ohne die extremen Parteien fehlen Mehrheiten.
Die Schweiz integriert: Im Bundesrat sitzen alle grossen Parteien – auch SVP und SP. Sie poltern, regieren aber mit. Dieses Doppelspiel wirkt seltsam, verhindert aber Eskalation.
In Berlin ist jede Woche Wahlkampf. Ein Kanzler verspricht, was der Koalitionspartner verhindert. Folge: politische Trägheit, taktisches Theater.
In Bern regieren sieben Bundesräte im Kollegium. Keine Koalitionen, kein Kanzler. Die Abläufe sind langsam, aber stabil. Politik als Mechanik, nicht als Show.
Wir sind nicht Deutschland. Und das soll so bleiben. Nicht aus Arroganz – aus Demut.
Wir sind nicht die besseren Bürger, unsere Politiker nicht klüger. Aber wir haben bessere Werkzeuge: direkte Demokratie, Föderalismus, ein vielseitiges Rentenmodell, Integration aller Kräfte.
Doch Werkzeuge stumpfen ab, wenn man sie nicht pflegt. Und sie helfen nicht, wenn man zu bequem ist, sie zu nutzen.
Deutschland ist ein Mahnmal, ein abschreckendes Beispiel. Nicht weil es scheitert – sondern weil es lange dachte, es könne sich das leisten.
Wir sollten nicht denselben Fehler machen.