Wochenkommentar zum Zoll-Deal, EU-Abkommen und Abspaltungs-Drohungen
Das Ende der Schweiz – oder was der wahre Skandal ist

SVP-Hardliner drohen beim EU-Deal mit dem Austritt aus der Schweiz. Die Linke verdammt den Zolldeal mit Trump als Ausverkauf der Demokratie. Doch das Problem sind nicht Brüssel oder Washington. Sondern wir selber.
Publiziert: vor 24 Minuten
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Erfolgsrezept der Schweiz: Unterschiede aushalten und zusammenhalten.
Foto: Pius Koller

Darum gehts

  • Für die Rechten ist das EU-Abkommen der Untergang der Schweiz
  • Für die Linken ist der Zolldeal mit den USA ein Teufelspakt
  • Die Schweiz ist eine Willensnation. Ohne gemeinsamen Willen ist sie tot
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Rolf CavalliChefredaktor Blick

Ein Bauer aus dem Toggenburg und ein Luxusunternehmer aus Genf. Was verbindet sie? Auf den ersten Blick: nichts. Hier Stallgeruch, dort der Duft der Welt. Über 300 Strassenkilometer trennen sie. Und doch: Sie verbindet etwas – die Schweiz. Beide sind Teil desselben Staatswesens.

Doch dieser gemeinsame Nenner – die Schweiz als Willensnation – ist kein Naturgesetz. Er wird brüchig, wenn linke und rechte Parteien das Land in ein ideologisches Entweder-oder treiben.

Toggenburger Toni Brunner (53), alt SVP-Präsident, träumt laut vom Austritt konservativer Kantone aus der Schweiz, falls das Stimmvolk das EU-Rahmenabkommen annimmt. Alt Bundesrat Ueli Maurer (74) sekundiert. Gemeinsam beschwören sie das Ende der heutigen Schweiz herauf – und fantasieren von einer neuen Rest-Schweiz unter Gleichgesinnten: ohne urbane Zentren, ohne Romandie.

Die «NZZ» schreibt von «Bieridee». Klar: Niemand reicht ein Trennungsbegehren ein. Doch die symbolische Sprengkraft ist real. Wer die Schweiz nicht mehr aushält, weil ihn die Mehrheit überstimmt, stellt sie infrage.

Weder Verrat noch Kniefall

Die Linke liefert das Gleiche – mit umgekehrten Vorzeichen. Der Zolldeal mit den USA? Für Grüne und SP ein Teufelspakt. Lobbyiert von Genfer Milliardären – unverzeihlich. Abgeschlossen durch einen SVP-Bundesrat – doppelt schlimm. Und dann noch mit Trump! Ein Skandal.

Was beide Seiten eint: ideologischer Tunnelblick. Wer für die EU ist, verteidigt das Rahmenabkommen blind – und verteufelt reflexhaft den USA-Deal. Wer Brüssel ablehnt, preist den Zolldeal – und sieht in der EU den Untergang der Schweiz.

Doch die Bürger sind nicht dumm. Wer klar denkt, erkennt: Beide Abkommen haben Vor- und Nachteile. Beide bergen Kröten, aber auch Chancen. In beiden verhandelt die kleine Schweiz mit einer Grossmacht. Da geht es nicht um Ideologie, sondern um Pragmatismus. Um Nutzen.

Das EU-Vertragspaket ist kein Verrat. Er ist ein Versuch, wirtschaftliche Stabilität und demokratische Souveränität zu vereinen. Ob das wirklich gelingt? Darüber lohnt sich eine harte, offene Debatte – sachlich, nicht im Schützengraben.

Der Zolldeal ist kein Kniefall, er ist Schadensbegrenzung – 39 Prozent Zoll auf 15 zu senken, rettet Jobs.

Stellen wir uns vor: NGOs hätten bei US-Präsident Joe Biden lobbyiert, Alain Berset hätte den Deal unterzeichnet. Die Linke würde ihn heute als Paradebeispiel bürgerschaftlicher Verantwortung feiern.

Wer nicht ins Weltbild passt, fliegt raus

Stattdessen: ideologische Selbstbespiegelung. Linke jammern über den Ausverkauf der Demokratie, Rechte fantasieren von einem neuen Sonderbund. Das ist nicht nur infantil – das ist gefährlich.

Denn die Schweiz ist kein Naturprodukt. Sie ist Wille. Der Bundesstaat von 1848 entstand nach dem Sonderbundskrieg – und aus dem Entschluss, Unterschiede auszuhalten. Nicht weil alle gleich waren, sondern weil sie zusammenbleiben wollten.

Heute wird das Anderssein zum Makel. Stadt gegen Land, Westschweiz gegen Deutschschweiz, progressiv gegen konservativ. Und Politiker verwechseln Haltung mit Totalverweigerung.

Die politische Stimmung ist fiebrig. Debatten gleichen Zentrifugen. Sie schleudern das Land in ideologische Milieus. Wer nicht ins Weltbild passt, fliegt raus.

Der wahre Skandal ist ein anderer

Was wir brauchen: keine EU-Hörigkeit, keinen US-Fetisch. Sondern: offene Debatten, ehrliche Interessenpolitik.

Der Skandal ist nicht der Deal mit Trump oder das Papier aus Brüssel. Der Skandal ist: Kaum jemand hat noch den Mut zur Nüchternheit. Differenzierung gilt als Verrat. 

Wenn wir zulassen, dass Genf und Toggenburg nur noch als Gegensätze gelten statt als Teile eines Ganzen, steht mehr auf dem Spiel als ein US-Zollsatz oder ein Vertragskapitel mit der EU. Dann steht die Schweiz auf dem Spiel.

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