Rentenstreit, Frust in der Fraktion, wachsende AfD-Zahlen
Läuft Merz in die Scholz-Falle?

Friedrich Merz rutscht immer tiefer in die Krise: Die eigene Partei rebelliert, die Koalition wankt, hinter den Kulissen wird bereits ein möglicher Bruch durchgespielt. Gelingt ihm jetzt kein Befreiungsschlag, droht Deutschland erneut politischer Stillstand.
Publiziert: 21:03 Uhr
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Aktualisiert: 22:03 Uhr
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Friedrich Merz (70) steht unter massivem Druck: Der Kanzler kämpft gleichzeitig mit innerparteilichem Widerstand, wankender Koalition und sinkendem Vertrauen in Berlin.
Foto: keystone-sda.ch

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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Es gab eine Zeit, da galt Bundeskanzler Friedrich Merz (70) als der starke Mann der deutschen Politik. Ein Aufräumer, ein Macher – einer, der im Chaos der Ampel endlich wieder Ordnung schaffen sollte. Heute wirkt genau dieser Mann, der sich so gern als Stabilitätsanker inszeniert, wie jemand, der von seiner eigenen Partei im Kreis gedreht wird – und dabei langsam die Balance verliert. Aus dem Heilsbringer ist ein Krisenkanzler geworden. Und der Streit, der ihn gerade verschlingt, könnte das Land schon bald in ein politisches Experiment drängen, das niemand so richtig will: eine Minderheitsregierung.

Aufstand der Jungen

Die Szene, die dieses Dilemma am besten beschreibt, spielte sich am Deutschlandtag der Jungen Union ab. Merz auf der Bühne, vor ihm jene Nachwuchspolitiker, die ihn einst mit offenen Armen empfangen hatten. Doch anstatt Jubel bekam der Kanzler frostige Stille. Die Jungen stellten sich quer – gegen das Rentenpaket, gegen den Kurs, den Merz mit der SPD verhandelt hat, gegen das, was sie als Verrat an der eigenen Generation sehen. Und Merz? Wirkte überrascht, dünnhäutig, fast ein wenig beleidigt.

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Friedrich Merz (70) wollte als ordnender Kanzler starten – doch inzwischen kämpft er vor allem mit Widerstand aus den eigenen Reihen.
Foto: imago/Chris Emil Janßen

Es ist dieser innere Krach, der die Regierung ins Wanken bringt. Die Union zerlegt sich selbst, die SPD schaut amüsiert zu und sieht keinen Grund, auch nur einen Millimeter einzulenken. Warum auch? Wenn selbst Merz sagt, die Sozialdemokraten hätten recht, wieso sollten sie dann nachgeben? Das Ergebnis: eine Koalition, die nur noch auf dem Papier stabil ist. Eine Regierung, die zwar stampft und faucht, aber keinen Schritt nach vorn kommt. Und ein Kanzler, der jeden Tag ein bisschen mehr die Kontrolle über die eigene Truppe verliert.

Ein Szenario rückt näher

Hinter den Kulissen kursieren deshalb längst Szenarien, die bis vor wenigen Monaten noch undenkbar gewesen wären. Ein Koalitionsbruch – geplant, einkalkuliert, fast schon herbeigesehnt. CDU-Strategen rechnen vor: Erst müsse der Haushalt 2026 durch den Bundestag, damit die wichtigsten Projekte gesichert seien. Und dann, so heisst es, könne man den grossen Knall wagen. Eine Minderheitsregierung unter Merz, notfalls wechselnde Mehrheiten, Hauptsache raus aus der Umklammerung der SPD. Politisches Neuland, zugegeben. Aber in Berlin herrscht derzeit eher das Risiko als die Vernunft.

Dabei hat kaum jemand wirklich Lust auf dieses Experiment. CSU-Chef Markus Söder (58) warnt bereits lautstark vor «Weimar-Feeling», die Wirtschaft fürchtet Stillstand, und in der Union selbst weiss niemand so recht, wie ein Kanzler Merz ohne verlässliche Basis überhaupt regieren soll. Gleichzeitig steigen die Umfragewerte der AfD weiter – genährt von jeder Unentschlossenheit, jeder Krise, jedem Anzeichen, dass die etablierte Politik nur noch mit sich selbst beschäftigt ist. Die Menschen spüren, dass diese Regierung schwankt. Und sie suchen nach Alternativen, auch wenn sie gefährlich sind.

Regieren auf Sicht

Merz steht damit vor einem Dilemma, das er selbst geschaffen hat: Er wollte Stärke zeigen und erntet nun Misstrauen. Er wollte die Partei hinter sich vereinen und spaltet sie jetzt immer mehr. Er wollte beweisen, dass er ein besserer Kanzler als Scholz ist – und rutscht gerade in genau jene Rolle, die er seinem Vorgänger stets vorwarf: jene des Getriebenen, der nicht mehr führt, sondern von der eigenen Mannschaft vorgeführt wird.

Die Frage, die über allem steht, lautet daher: Wie lange hält das noch? Wie lange kann eine Regierung bestehen, deren Partner einander misstrauen, deren Kanzler intern angezählt wird und deren Prestigeprojekt – die Rentenreform – am seidenen Faden hängt? Der kommende Winter könnte darüber entscheiden, ob Deutschland politisch stabil bleibt oder ob das Land in einen Modus rutscht, den es seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat: ein permanentes Regieren auf Sicht, begleitet von der ständigen Gefahr des Zusammenbruchs.

Ein Winter der Entscheidung

Fest steht: Friedrich Merz wollte Geschichte schreiben. Doch im Moment droht er vor allem, in die gleiche Falle zu geraten wie Ex-Kanzler Olaf Scholz (67) zuvor – ein Kanzler, der von den eigenen Reihen ausgebremst wird. In Berlin rechnet kaum noch jemand damit, dass die schwarz-rote Koalition bis 2029 stabil durchhält.

Entscheidend werden nun die kommenden Monate: Gelingt es Merz, seine Fraktion beim Rentenpaket und beim Haushalt hinter sich zu vereinen, könnte er die Lage beruhigen und zumindest einen Teil seiner Autorität zurückholen. Scheitert er aber erneut an der eigenen Partei, wächst der Druck auf einen Kurswechsel – oder eben auf den Bruch.

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