Von Zürich bis New York City
Warum sind denn hier alle so links?

Wohnen und wählen scheinen eng miteinander verknüpft, wie eine ganze Reihe aktueller Studien belegt. Der Sieg des Sozialisten Zohran Mamdani bei den Bürgermeisterwahlen in New York City ist nur das jüngste Beispiel für den städtischen Linksdrall.
Publiziert: 18:31 Uhr
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Aktualisiert: vor 48 Minuten
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New York City ist wieder offiziell das, was viele Grossstädte weltweit sind: Deutlich linker als ihr Umland.
Foto: Getty Images

Darum gehts

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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Dieser Schlag sitzt tief. Ausgerechnet in Donald Trumps (79) Heimatstadt New York City sind die Sozis auf dem Vormarsch. Trump konnte noch so warnen vor dem «radikalen Linken»: Zohran Mamdani (34), ein demokratischer Sozialist, übernimmt am 1. Januar als Bürgermeister das Zepter im Big Apple.

Amerikas grösste Stadt ist damit wieder das, was Städte weltweit mehrheitlich sind: links. Oder mindestens deutlich linker als die ländlichen Gebiete um sie herum. Das gilt für Zürich wie für New York, für Berlin wie für London, Basel oder Chicago. Neue Studien halten überraschende Erklärungen für den Linksdrall der Stadtmenschen bereit. Und: Ein langfristiger Megatrend muss den rechten Kräften Sorge machen. In den USA genauso wie in der Schweiz.

Natürlich wollen wir nicht generalisieren. «Den Städter» gibts genauso wenig wie «die Landbewohnerin». Doch die Klischees über die Flat White schlürfenden, linksgerichteten Big-City-People und die Kafi crème nippenden, konservativen Dörfler sind statistisch gut untermauert.

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Der demokratische Sozialist Zohran Mamdani regiert ab dem 1. Januar 2026 die grösste Stadt der Vereinigten Staaten.
Foto: AP

Ein paar willkürliche Beispiele gefällig? In Deutschlands Städten ist jeder Vierte Vegetarier, auf dem Land nur knapp jeder Sechste. In Amerikas Citys sind rund 65 Prozent der Menschen Mieter, auf dem Land nur 28 Prozent. Und der Schweizer Dörfler ist im Schnitt vier Jahre älter (45) als der helvetische Urbane.

Diese Faktoren allein reichen als Erklärung für das politische Gefälle natürlich nicht aus. Neue Studien liefern drei tiefgreifendere Theorien, weshalb sich der weltanschauliche Graben zwischen Stadt und Land so deutlich zeigt.

1

Der «Agglomerationseffekt»

Menschen in der Stadt nehmen staatliche Dienstleistungen wie etwa das öffentliche Verkehrsnetz oder die Abfallentsorgung als deutlich effizienter und effektiver wahr als jene auf dem Land. Entsprechend höher ist ihre Bereitschaft, für ebendiese Dienstleistungen Steuern zu zahlen. Wenn der Staat sie zur Kasse bittet, nehmen sie das nicht primär als Unterdrückung wahr, sondern als Beitrag an ein funktionierendes Umfeld.

Das hat der Politologe Theo Serlin in einer im März publizierten Studie an der amerikanischen Princeton-Universität belegt. Er nennt das Phänomen «Agglomerationseffekt». Zu beobachten sei dieser in den USA seit den 1930er-Jahren, als Präsident Franklin D. Roosevelt (†1945) seinen New Deal durchgesetzt habe.

Von diesem Massnahmenkatalog, mit dem der Demokrat Roosevelt die Folgen der Weltwirtschaftskrise für die US-Bevölkerung abzufedern versuchte, profitierten die Städter deutlich stärker. Seither ist in Amerika laut Serlin ein steter Linksruck der Big Citys zu verzeichnen.

2

Die digitale Schere

Die Profiteure der Digitalisierung wohnen fast ausschliesslich in städtischen Gebieten. Währenddessen sind ländliche Gebiete überdurchschnittlich stark vom durch Digitalisierung und Globalisierung verursachten Stellen-Um- und -abbau betroffen. Das sorgt auf dem Land für Frust über das Neue. Man wünscht sich die alte Welt zurück.

Zu diesem Schluss kommen diverse Forschende, etwa der deutsche Politikwissenschaftler Lukas Haffert in seinem Buch «Stadt, Land, Frust: Eine politische Vermessung» (2022). Haffert schreibt, dass sich vor allem in den Dörfern politische Schicksalsgemeinschaften bildeten. Empört über das Moderne, das Globale, sind dann nicht nur die wirtschaftlich Direktbetroffenen, sondern auch deren Nachbarn und Übernachbarn, die sich mit den Abgehängten solidarisieren.

Während Tradition und Grenzen den Menschen auf dem Land in ungewissen Zeiten Halt versprechen, sehen die Städter ebendiese Dinge als Hindernisse auf dem Weg in die Zukunft.

3

Wölfe und Wohnungen

Fragen Sie mal eine Walliserin, was sie vom Wolf hält. Da werden Sie was hören! Stellen Sie dieselbe Frage einem Basler – es folgt wohl nur ein Schulterzucken. Umgekehrt würde Ihnen der Städter wohl lange über den genossenschaftlichen Wohnungsbau erzählen können, während der Dörflerin nicht viel dazu in den Sinn käme.

Wo man wohnt, beeinflusst nicht nur, was man über bestimmte Themen denkt, sondern ganz fundamental auch, worüber man sich überhaupt Gedanken macht. Auch das belegt Lukas Haffert in seiner Studie. Warum sollte sich ein amerikanischer Autofahrer auf dem Land überhaupt Gedanken machen über die ineffizienten, teuren Busse, unter denen die New Yorker offenbar so sehr leiden (und die Mamdani jetzt schnell und gratis machen will)?

Warum sollte sich eine Münchnerin über die Windräder nerven, die im deutschen Hinterland wegen ihres Einflusses auf das Landschaftsbild so viele stören? Was kümmern einen Stadtzürcher die neusten Zuwanderungszahlen, wenn er doch eh schon in einer funktionierenden, multikulturellen Bubble lebt?

Wird die Zukunft noch linker?

Der politische Stadt-Land-Graben ist – zumindest in reichen Ländern – real. Und er könnte für bürgerliche oder rechte Parteien mittelfristig zum wachsenden Problem werden. Die Stadtbevölkerung weltweit wächst nämlich – nicht nur total, sondern auch prozentual. In den USA leben heute schon 82 Prozent der Menschen in Städten. 2050 werden es laut der Uno 89 Prozent sein. Auch in der Schweiz dürfte der Anteil an Stadtmenschen (heute 74 Prozent) bis 2055 laut dem Bundesamt für Statistik deutlich ansteigen.

Mehr Städter, mehr Linke, mehr Mamdani-Momente? Gut möglich. Ausser, es zeigt sich, dass sich die linken Zukunftspläne nicht umsetzen lassen. Dann könnte die links-urbane Harmonie bald bröckeln. Denn eines brauchen Städterinnen und Dörfler im genau gleichen Masse: handfeste Resultate.

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