Darum gehts
- Der Berner Sicherheitsdirektor warnt vor verschärfter Überwachung nach der Krawalldemo
- Von Graffenried betont die Freiheit und die konsequente Anwendung bestehender Gesetze
- Verschärfungen in Bern wurden in den letzten 15 Jahren regelmässig abgelehnt
Die Krawalldemo vom 11. Oktober bleibt ein Berner Politikum. An der propalästinensischen Demonstration in der Innenstadt kam es zu heftigen Ausschreitungen und Sachbeschädigungen. Bürgerliche Kreise forderten anschliessend auf verschiedenen Ebenen eine Verschärfung der Gesetze gegen extremistische Gewalttäter und mehr Überwachungskompetenzen für Polizei und Nachrichtendienst.
Alec von Graffenried (63), Ex-Stapi und heutiger Sicherheitsdirektor der Stadt Bern, hält wenig von überstürzten Massnahmen: In einem Interview mit der «Berner Zeitung» warnt er davor, dass dadurch die Freiheit aller Bürgerinnen und Bürger auf dem Spiel stehen würde.
Totale Sicherheit sei nicht möglich
«Ich stehe in solchen Fragen immer auf der liberalen Seite und sehe solche Massnahmen kritisch», sagt von Graffenried. Denn von verschärfter Überwachung wären nicht nur potenzielle Straftäter betroffen. Bei Grossveranstaltungen mit mehreren Tausend Menschen sei es «unverhältnismässig», einzelne Verdächtige herauszufiltern.
Von Graffenried verweist dabei auch auf die Fichenaffäre von 1989. «Freiheit hat ihren Preis. Sie hat zum Beispiel den Preis, dass es keine totale Sicherheit gibt», sagt er. «Die Gesellschaft muss sich fragen, wie stark sie sich in ihren Freiheiten einschränken lassen will wegen der Gewalttätigkeit von wenigen.»
Die gewalttätigen Krawalle verurteilt der ehemalige Berner Stadtpräsident zwar entschieden, sieht in schärferen Gesetzen aber nicht die Lösung. «In erster Linie müssen wir die vorhandenen Gesetze konsequent anwenden», sagt er.
Verschärfungen sind in Bern verpönt
Sowieso hätten Verschärfungen im linken Bern einen schweren Stand, so von Graffenried. Er weist darauf hin, dass diese in der Stadt beim Kundgebungsreglement in den letzten 15 Jahren stets abgelehnt wurden: «Den Entfernungsartikel etwa gleich zweimal, den der Gemeinderat befürwortet hatte», sagt er. Mit der Massnahme hätten Personen belangt werden können, die zum Verlassen einer Kundgebung aufgefordert wurden, aber weiterhin daran teilnehmen.
Mit seiner Haltung stellt sich von Graffenried auch gegen seinen Vorgänger: Mitte-Nationalrat Reto Nause (54), bis 2024 Sicherheitsvorsteher Berns, gehört zu den lautesten Verfechtern schärferer Massnahmen. «Die gewaltextremistische linke Szene gehört endlich eng überwacht», sagte er nach den Ausschreitungen. So sollen etwa bewilligungspflichtige Massnahmen, wie das Abhören von Telefonen, auch auf politisch extreme Gruppierungen ausgeweitet werde.
Der neue Sicherheitsdirektor sieht sich dadurch nicht in seiner Rolle bedroht: «Reto Nause respektiert die Aufgabenverteilung», sagt von Graffenried. «Er ist jetzt Präsident der Allianz Sicherheit und verantwortet deren Vorschläge als solche mit.»
Härtefonds fürs Gewerbe sind noch offen
Die bürgerlichen Forderungen betreffen dabei nicht nur die Sicherheit: Nauses Partei fordert in Bern etwa auch einen Härtefonds für betroffene Gewerbetreibende, der vor allem von der Stadt finanziert werden soll. Von Graffenried zeigt sich zurückhaltend: «Ob es das braucht oder nicht, möchte ich von den Betroffenen hören.»
Gebe es Signale, werde die Stadtregierung prüfen, wie ein solcher Fonds umgesetzt und finanziert werden könnte. Er merkt jedoch an, dass Vandalenschäden von der Gebäudeversicherung und auch von privaten Versicherern in der Regel gut abgedeckt würden.