Darum gehts
- Maja Riniker blickt auf ihr Jahr als Nationalratspräsidentin zurück
- Riniker betont die Wichtigkeit des Zusammenhalts in der Schweiz
- Sie besuchte 24 von 26 Kantonen während ihrer Amtszeit
Wenn Weihnachten vor der Tür steht, holt FDP-Nationalrätin Maja Riniker (47) die Krippen aus dem Estrich ihres Hauses in Suhr AG. Sieben sind es an der Zahl, von den klassischen Holzfiguren über Drahtkönige aus Namibia bis zu einer fröhlich-farbigen Krippe aus Peru oder einer kindertauglichen mit einem Jesuskind aus Filz. «Krippen sind mein Spleen – zum Leidwesen meiner Familie.» Ihr Mann und die drei Teenager gehen an den Festtagen lieber mit ihr ins Berner Oberland zum Skifahren. «Ich freue mich, dass ich dafür nun wieder mehr Zeit habe», sagt die abtretende Nationalratspräsidentin.
Maja Riniker, letzte Woche haben Sie das letzte Mal das Ratsglöckchen geläutet. Waren Sie wehmütig oder erleichtert?
Maja Riniker: Ich kann zum Glück gut loslassen und muss nicht ständig im Rampenlicht stehen. Ich finde das Amt der höchsten Schweizerin einfach wahnsinnig toll. Das Land zu repräsentieren und die Parlamente im Ausland kennenzulernen, ist eine einmalige Erfahrung, die mir niemand mehr nehmen kann. Erleichtert war ich, dass ich mein Ziel – eine faire Ratsleitung ohne grosse Panne – erreicht habe.
Dieser Artikel wurde erstmals in der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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Wie oft mussten Sie einen Stichentscheid fällen?
Fünfmal. Am meisten Reaktionen hat jener zur Gotthard-Maut im März ausgelöst. Ich stimmte gegen eine dynamische Gebühr. Kurz darauf war ich in Bellinzona zu Gast – und wurde natürlich freudig empfangen. Anders tönte es im Sommer, als ich bei einer Wanderung mit Ratskollege Simon Stalder auf die Urner Regierung getroffen bin. Da kamen natürlich Sprüche. Aber damit kann ich umgehen.
Haben Sie viele Reaktionen aus der Bevölkerung erhalten?
Körbe voller Post, unzählige E-Mails und Kommentare auf Social Media. Was mich besonders freut, sind Leute, die sagen, dass sie mir als Politikerin vertrauen. Negative Reaktionen gab es teilweise, wenn ich ins Ausland reiste. Als ich mit den Nato-Bündnispartnern in Brüssel über die Sicherheitslage in Europa gesprochen habe, hiess es, ich würde die Seele des Landes verkaufen und sei nicht mehr neutral.
Haben Sie darauf geantwortet?
Wenn die Briefe nicht unter der Gürtellinie waren, immer. Gespräche mit anderen Ländern zu führen, heisst nicht Stellung beziehen. Es gehört zu den Aufgaben des Amtes, die Rolle anderer Parlamente besser zu verstehen.
Was haben Sie dieses Jahr über sich selbst gelernt?
Dass ich sehr belastbar bin. Ich bin nie krank geworden, obwohl ich neben der Ratsleitung weit über 100 Termine im In- und Ausland wahrgenommen habe.
Ihr Rezept?
Ich habe eisern darauf geschaut, dass ich zweimal die Woche joggen gehen konnte. Das tut mir einfach gut. Und half sicher dabei, dass ich nicht fünf Kilo zunahm. Alle meinen es gut mit der Nationalratspräsidentin (lacht).
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer hat sich wegen Erschöpfung eine Auszeit genommen. Können Sie das nachvollziehen?
Ja. Wir Politikerinnen und Politiker jonglieren permanent mit einer Vielzahl von Hüten – besonders jene, die eine Familie haben. Parteipräsidentinnen und -präsidenten sind dabei noch stärker gefordert: Sie müssen für Medien jederzeit erreichbar sein und zu jedem Thema Stellung beziehen können. Gleichzeitig stehen sie im ständigen Austausch mit der eigenen Fraktion, den Kantonalparteien und den Bundesräten. Hinzu kommen am Wochenende Besuche bei der Basis. Dieses Pensum kann jeden Menschen an die Grenzen bringen. Ich wünsche Mattea von Herzen gute Besserung.
Wie würden Sie das politische Jahr für die Schweiz in einem Wort zusammenfassen?
Angespannt. Zum einen liefen da die heissen Diskussionen betreffend der EU, zum anderen prägte US-Präsident Donald Trump mit dem Zollhammer unsere Politik.
Wirtschaftsminister Guy Parmelin verkündete, dass die Zölle rückwirkend ab 14. November auf 15 Prozent fallen.
Ich bin da nicht begeistert. Die Zölle müssen auf null runter. Das habe ich auch der US-Botschafterin Callista Gingrich gesagt, als ich sie vor Kurzem getroffen habe.
Ihre Parteikollegin, Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter, stand stark in der Kritik dieses Jahr ...
... und das sehr ungerechtfertigt. Trump ist einfach Trump. Ich finde es generell nicht in Ordnung, dass man Menschen, die sich nach bestem Wissen und Gewissen für das Land einsetzen, so behandelt. Das tat mir weh für sie.
Sie waren im Gespräch für das FDP-Parteipräsidium. Hätte Sie das Amt nicht gereizt?
Ich habe mir rund drei Wochen Zeit genommen für den Entscheid, dann aber abgesagt. Ich brauche Konsens, baue lieber Brücken, auch ausserhalb der Partei, und bin eine integrierende Person. Was ich mache: Ich unterstütze Damian Müller bei der Wahlkampfleitung 2027.
Was bleibt Ihnen von diesem Jahr besonders in Erinnerung?
Neben all den schönen Momenten – am eidgenössischen Turnfest, am ESC oder dem Schwingfest – hallt der Felssturz von Blatten besonders nach. Ich bin damals mit dem Helikopter über die zugeschüttete Gemeinde geflogen und war tief betroffen. Mit Gemeindepräsident Matthias Bellwald telefoniere ich bis heute regelmässig.
Sie sind auch in die Ukraine gereist. Hat Sie das Erlebte verändert?
Ja, das hat es. In Vinnytsia musste unsere Delegation wegen eines Bombenalarms evakuiert werden, in Charkiw sah ich all die Zerstörung, die russische Gleitbomben hinterliessen, und wegen Drohnen mussten wir nachts um 1.30 Uhr in den Luftschutzkeller. Das macht etwas mit einem. Für mich ist klar, dass die Schweiz eine aktive Rolle einnehmen muss. Klar, wir sind engagiert beim Wiederaufbau, bei der Entminung, wir nehmen Flüchtlinge auf. Schaue ich aber nach Finnland oder Schweden, ist die Bevölkerung mental viel besser für den Ernstfall vorbereitet. Die Menschen dort wissen, wo sie hinmüssen, sie haben Notvorräte angelegt. In der Schweiz ist man sich der Ernsthaftigkeit zu wenig bewusst.
Wie viele Kantone haben Sie dieses Jahr eigentlich besucht?
Alle ausser Schaffhausen und den Jura.
Wie empfinden Sie die Stimmung im Land?
Der Wunsch, zusammenzuhalten, ist überall da. Dennoch spüre ich eine gewisse Zerrissenheit. Die städtischen Kantone sind ausgabefreudiger und vertrauen dem Bund, die ländlicheren sind EU-skeptisch, konservativ und schotten sich ab. Wenn da noch Leute wie Ueli Maurer von einer Abspaltung reden, schadet das dem Zusammenhalt. Wie sich die Wut und Unzufriedenheit zeigt – etwa bei der Demo in Bern –, macht mir Sorgen.
Wie ist eigentlich Ihre Familie damit umgegangen, dass Sie so viel unterwegs waren?
Wenn ich nach Hause gekommen bin, sagten die Kinder nicht «schön, bist du wieder da», sondern «wann gehst du wieder?». Da hatte ich jeweils schon ein schlechtes Gewissen. Für sie war aber die Hauptsache, dass ich glücklich bin. Zu Hause war mit einer Haushaltshilfe alles organisiert. Die Kinder haben sicher noch mehr gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen. Aber zwei von dreien waren ja sowieso selber im Ausland. Der älteste Sohn Max war bis im Sommer im Austausch in Neuseeland, die mittlere Tochter Thea ist noch bis nächste Woche in Costa Rica.
Worauf freuen Sie sich im 2026?
Mich politisch wieder mehr einzubringen – etwa bei der Individualbesteuerung. Das Potenzial gut ausgebildeter Frauen wird noch zu wenig ausgeschöpft. Auch beim Thema Europa werde ich mich engagieren. Ich bin tief überzeugt, dass wir nur mit stabilen Beziehungen zu unserem wichtigsten Verhandlungspartner weiterkommen. Privat freue ich mich auf die Zeit mit der Familie, etwa beim Wandern oder auf einen Jass mit meinen Freundinnen.