Darum gehts
Nach der Lehre oder der Matura heisst es für die meisten jungen Männer: Antreten! Frauen hingegen müssen keinen Militär- oder Zivildienst leisten. Das will die Service-Citoyen-Initiative ändern. Auch Frauen sollen einen obligatorischen Dienst an der Gesellschaft leisten. Ist das gerecht? Männer und Frauen scheinen das etwas anders zu beurteilen: Während 34 Prozent der Männer Ja oder eher Ja zur Initiative sagen, sind es bei den Frauen nur 22 Prozent.
Ist der Bürgerdienst ein Schritt hin zu echter Gleichberechtigung – oder birgt er neue Fallstricke? Darüber diskutieren Noémie Roten (36), der Kopf hinter der Initiative, SP-Nationalrätin Linda De Ventura (39) und Sina Schmid (25), Journalistin bei der Zeitschrift «Schweizer Soldat» und als Leutnant im Dienst für die Armee. Das Gespräch fand per Videokonferenz statt, die Frauen sind in der ganzen Schweiz verstreut – die Argumente flogen nur so hin und her.
Blick: Heute müssen nur Männer Dienst leisten. Ein Ja zur Service-Citoyen-Initiative würde auch eine Dienstpflicht für Frauen bedeuten. Würde die Schweiz damit gerechter?
Noémie Roten: Aus Sicht des Initiativkomitees ganz klar: Ja. Sicherheit geht uns alle an: Frauen genauso wie Männer. Und sie wird nicht nur durch die Armee gewährleistet, sondern auch durch den Zivilschutz und zivile Einsätze.
Sina Schmid: Ich habe drei Jahre freiwillig in der Armee gedient. Gerechter wird die Schweiz dadurch aber nicht. Die grossen Ungleichheiten – Lohnunterschiede, unbezahlte Care-Arbeit, fehlende Aufstiegschancen – haben nichts mit der Dienstpflicht zu tun, sondern mit unserer Sozialisierung. Eine zusätzliche Pflicht reduziert keine Ungleichheiten.
Roten: Den Punkt mit der Sozialisierung finde ich spannend. Und genau da bin ich gegenteiliger Meinung: Heute sagt der Staat, wenn man 18 Jahre alt wird: Du bist Mann, du musst Militär leisten – du bist Frau, du musst oder kannst nicht. Das sendet ein starkes kulturelles Signal und zementiert Rollenbilder, die für die Gleichstellung schädlich sind. Wir wollen, dass alle jungen Menschen gleich behandelt werden und einen Beitrag für die Gesellschaft leisten – militärisch oder zivil.
Linda De Ventura: Die Initiative müsste ehrlicherweise «Dienstpflicht für Frauen» heissen, denn darum geht es. Frauen verdienen über ihr Leben gesehen aber 43 Prozent weniger, obwohl sie wöchentlich zwei Stunden mehr arbeiten, wenn man die unbezahlte Arbeit einrechnet. Diese Arbeit von Frauen hat einen geschätzten Wert von jährlich 240 Milliarden Franken. Wenn man die Schweiz gerechter machen will, muss man dort ansetzen: bessere Löhne in den klassischen Frauenberufen, Schutz vor Altersarmut, gerechte Aufteilung der Care-Arbeit, ein Ende der Gewalt gegen Frauen. Die Initiative blendet diese Realität komplett aus.
Schmid: Frau Roten, Sie sagen, beim Staat wird man ab 18 Jahren nicht mehr gleich behandelt, weil Männer in den Dienst müssen und Frauen nicht. Aber wo schützt der Staat Frauen sonst, wenn sie ungleich behandelt werden? Ich möchte, dass der Staat sicherstellt, dass die Gesetze, die eigentlich in Kraft sind, auch durchsetzt werden. Eben zum Beispiel bei der Lohngleichheit.
Roten: Da bin ich mit ihnen einig. Aber das eine schliesst das andere doch nicht aus. Momentan haben wir bei der Dienstpflicht Rechtsungleichheit auf höchster Stufe, und zwar in der Bundesverfassung! Das müssen wir ändern.
Frau Schmid und Frau De Ventura, sie sprechen die Care-Arbeit an. Könnte die Initiative Frauen nicht langfristig entlasten, weil Männer mehr Care-Arbeit übernehmen müssten?
Schmid: Das ist Wunschdenken. Bisher haben Männer ihr Pensum nicht reduziert. Wieso sollten sie es jetzt tun, nur weil es eine Dienstpflicht gibt?
De Ventura: Genau. Nur weil man während einem Dienst eine Entschädigung erhält, bedeutet das noch lange nicht, dass die unbezahlte Care-Arbeit und Freiwilligenarbeit, die Frauen tagtäglich leisten, sichtbarer, in irgendeiner Form finanziell anerkannt wird oder sich etwas an der Aufteilung der Care-Arbeit ändert. Daran ändert dieser zusätzliche Dienst, zu dem man Frauen verpflichten möchte, rein gar nichts.
Roten: Wenn wir weitermachen wie bisher, ändert sich gar nichts. Ich bin übrigens einer Meinung mit Ihnen, Frau De Ventura: Ich finde es unsäglich, dass Frauen nach wie vor so viele Stunden gratis arbeiten. Aber ein bezahlter Zivildienst wertet zivilgesellschaftliches Engagement auf und zeigt, dass auch solche Arbeit gesellschaftlich relevant ist. Wir müssen dieses kulturelle Muster – Männer leisten Dienst und Frauen unentgeltliche Care-Arbeit – durchbrechen.
Männer befürworten die Initiative eher als Frauen. Sie scheinen es unfair zu finden, dass nur sie Dienst leisten müssen. Können Sie dieses Gefühl verstehen?
Schmid: Ich habe im Militär zur Genüge mitbekommen, dass bei Weitem nicht alle Männer Lust haben, Dienst zu leisten. Sie machen es, weil sie müssen – das verdient Anerkennung. Gleichzeitig finde ich es ganz spannend, wenn Männer es nur unfair finden, dass Frauen keinen Dienst leisten müssen. Sie echauffieren sich hingegen selten darüber, dass Frauen weniger verdienen und mehr unbezahlte Arbeit leisten.
Roten: Schade, dass wir keinen Mann in der Runde haben. Ich glaube nämlich, der allergrösste Teil der Männer setzt sich auch sonst für mehr Gerechtigkeit und Frauenrechte ein.
Wäre die Initiative nicht wichtig für die Frauenförderung in der Armee? Der Frauenanteil soll auf 10 Prozent erhöht werden, er liegt allerdings seit Jahren bei einem Prozent.
De Ventura: Ich glaube, Frauen können Militär-, Zivilschutz- oder Zivildienst genauso gut leisten wie Männer. Doch eine kürzliche Studie des Bundes zeigt, wie viel sexualisierte Gewalt Frauen in der Armee erfahren. Zum Glück wurden Massnahmen beschlossen. Wie wirksam sie sind, werden die Zwischenevaluation 2026 und die erneute Untersuchung 2027 zeigen. Frauen zu verpflichten, bevor ihre Sicherheit gewährleistet ist, halte ich für problematisch.
Schmid: Ich habe auch Sexismus erfahren, als ich in Uniform war. Es ist ein logischer Fehlschluss, dass eine Dienstpflicht dies ändern würde. Die Präsenz von Frauen bringt keine Gleichwertigkeit – sonst würde es ja keinen Sexismus in der Gesellschaft geben. Ich bin ebenfalls dafür, dass Frauen Dienst leisten müssen, aber erst, wenn die Gesellschaft so weit ist.
Roten: Es geht uns gar nicht darum, Frauen ins Militär zu zwingen. Junge Menschen sollen einen Beitrag für die Sicherheit leisten, sei es etwa im Zivildienst, Zivilschutz, Armee, der Feuerwehr oder eine Ersatzabgabe entrichten. Eine Umfrage des Verteidigungsdepartements zeigt übrigens: 26 Prozent der jungen Frauen sagen, wenn sie einen Dienst leisten müssten, würden sie diesen in der Armee leisten.
Die Wirtschaft warnt vor fehlenden Arbeitskräften, wenn mehr Junge eingezogen werden.
De Ventura: Vor allem problematisch finde ich, wie sich die Initiative auf die sogenannten klassischen Frauenberufe auswirken würde. Die Initiative bringt jährlich rund 35'000 zusätzliche Dienstleistende – viele davon würden in Pflege, Betreuung und Bildung eingesetzt, wo heute überwiegend Frauen arbeiten. Dieses günstige Personal setzt die ohnehin tiefen Löhne noch stärker unter Druck – und belastet die ausgebildeten Fachkräfte zusätzlich, weil sie diese Leute einführen müssen. Das ist ein zusätzliches Risiko für die Arbeitsbedingungen und die Löhne in diesen Branchen, die heute schon massiv unter Druck stehen.
Roten: Dass SP-Kreise plötzlich gegen den Zivildienst argumentieren, finde ich schon bemerkenswert. Für mich ist der Dienst eine Chance: Junge Menschen erwerben Kompetenzen, arbeiten im Team, erhalten sicherheitsrelevantes Wissen und eine Grundausbildung, die sie und andere im Krisenfall schützt. Ich sehe das nicht als Bestrafung, sondern als Chance. Davon profitiert auch die Wirtschaft.
Die neusten Umfragen zeigen: Die Initiative hat vor dem Volk kaum eine Chance. Was bleibt also von diesem Abstimmungskampf?
Roten: Wir haben eine wichtige Diskussion in Gang gesetzt. Wir müssen Sicherheit als Gesellschaft neu definieren und darüber nachdenken, was der Beitrag von Männern und Frauen ist.
Schmid: Ich finde es auch wichtig, dass man wieder ins Gespräch bringt, dass Sicherheit auch Frauensache ist. Wenn man verschiedenste Sicherheitsforen und Paneldiskussionen sieht, sind da ausschliesslich Männer vertreten. Dass es mehr Frauen in Entscheidungspositionen gibt, muss ermöglicht und nicht erzwungen werden.
De Ventura: Da kann ich mich nur anschliessen. Ich teile viele Ziele, welche die Initiative verfolgt. Es ist aber eine schlechte Lösung und in diesem Sinne auch keine Antwort auf die Probleme, die wir haben.