Die Schweiz und ihre Liebe zum Bargeld
Finger weg von unseren Nötli!

Geht es ums Bargeld, sehen wir schnell rot. Das bekommen nun Weihnachtsmärkte-Organisatoren zu spüren. Obwohl wir es immer weniger benutzen, wehren wir uns mit Zähnen und Klauen dagegen, dass man es abschafft. Was ist los?
Publiziert: 20:48 Uhr
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Schweizerinnen und Schweizer hängen am Bargeld. Manche glauben, das hänge mit unseren Wurzeln im Bauernstand zu tun.
Foto: Shutterstock/KI

Darum gehts

  • Schweizerinnen und Schweizer zahlen immer häufiger mit Karte und digitalen Apps
  • Trotzdem trauen viele dem digitalen Zahlen nicht ganz – wegen des Datenschutzes
  • In Krisenzeiten horten die Menschen es vermehrt daheim
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Rebecca WyssRedaktorin SonntagsBlick

Ameisi. Stei. Stutz. Schnägg. Geld hat viele Übernamen, über Geld reden wir in der Schweiz nicht gerne explizit. Ausser, man will es uns wegnehmen.

Diese Woche sind die Organisatoren des Weihnachtsmarkts im Zürcher Hauptbahnhof zurückgerudert. Sie hatten den Händlern verboten, Bargeld anzunehmen. Nur Twint und Karten erlaubten sie. Dann ging es los. Zuerst klagten die Marktfahrer, dann protestieren 1500 Menschen mit einer Petition dagegen, und eine Beschwerde bei den SBB half nach. Ähnliche Szenen gab es aus den gleichen Gründen kurz zuvor schon beim Kunsthaus Zürich. Der Ablauf gleicht sich: erst Aufschrei, dann reumütiges Zurückkrebsen. Bei den Weihnachtsmarkt-Organisatoren begründet man es so: Man habe gemerkt, wie «sensibel und wichtig» das Thema Bargeld für die Bevölkerung sei.

Eine paradoxe Liebesbeziehung

Bargeld ist in der Schweiz symbolisch so aufgeladen wie das Matterhorn. Und das ist paradox.

Eine letztjährige Erhebung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zeigt: 95 Prozent der Befragten in der Schweiz wollen auf gar keinen Fall, dass man das Bargeld abschafft. Der Widerspruch: Seit Jahren nutzen wir es immer weniger. Die Debitkarte hat 2024 das Bargeld laut der SNB-Befragung als Hauptzahlungsmittel abgelöst.

Wir lassen nichts zwischen uns und unsere Nötli und Batzen kommen. Das weiss auch der Bund. Am Freitag hat er zusammen mit der SNB einen runden Tisch organisiert. Unter anderem mit Detailhändlern, SBB, Post, Banken. 50 Vertreter insgesamt. Nur um zu schauen, dass wir möglichst weiterhin überall mit Bargeld zahlen können. Doch warum eigentlich? Warum hängen wir in der Schweiz so daran?

Richard Koller aus Bätterkinden BE ist Vater zweier Kinder, ehemaliger SVP-Politiker, Aktivist gegen 5G- und Impfpflicht sowie Informatiker. Er sagt: «Wenn das Bargeld wegfallen würde, gäbe es einen Aufstand in der Schweiz.» Tag für Tag sitzt er bis nachts um 2 Uhr am Computer und arbeitet (obwohl pensioniert!), das Digitale ist seine Welt. Und doch: Geht es ums Zahlen, will er davon wenig wissen. Als Präsident des Vereins Freiheitliche Bewegung Schweiz hat er die Bargeld-Initiative initiiert, im März stimmen wir darüber ab. Er war es auch, der die Beschwerde in Bezug auf den Zürcher Weihnachtsmarkt eingereicht hat.

Bargeld – eine Schweizer Tugend

Richard Koller lebt seine Initiative. Ohne Bargeld geht er nicht aus dem Haus. Gerade hat er rund 200 Franken im Portemonnaie. Alle paar Tage füllt er es wieder mit 400 Franken auf. Egal, ob im Jumbo, an der Tankstelle oder beim Bäcker – für ihn ist klar: «Ich zahle praktisch immer bar.» Selbst grössere Beträge. Für ihn selbstverständlich. Aber nicht nur das.

Was bedeutet Koller Bargeld?

Er muss nicht lange überlegen, sagt: «Zahle ich mit Nötli und Münz, gebe ich etwas von mir weg.» Das spüre er, spüren alle, sagt er. Deshalb überlege man sich zweimal, ob man jetzt wirklich diese 50er-Note für dies oder jenes ausgeben wolle. Bei der Karte oder Twint sei das anders. Selbstdisziplin. Kontrolle. Das treibt ihn an. Und das passt zur Schweizer Mentalität. Vielleicht ist Koller deshalb in guter Gesellschaft.

Recherche-Hinweise

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Mindestens 150’000 Franken – so viel braucht es an Budget, damit eine Volksinitiative zustande kommt. Richard Koller und seine Mitstreiter schafften es mit etwas mehr als der Hälfte. «Es war einfach», sagt er. Die allermeisten, denen sie auf der Strasse den Sammelbogen hingestreckt hätten, hätten unterschrieben.

Die Initiative trifft einen Nerv.

Wir wollen selbst bestimmen

Marcel Stadelmann forscht als Ökonom an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften zur Bedeutung des Bargelds in der Schweiz. Er stützt Kollers Einschätzung: Die Übersicht über ihre Ausgaben sei den Menschen wichtig. Aber nicht nur. «Sie haben ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Autonomie.»

Wir Schweizerinnen und Schweizer lassen uns ungern Dinge vorschreiben – wie unsere Gesetze auszusehen haben, wie man bezahlt. Oder wem man was über sich preisgibt. Kontrollverlust ist der Horror. Stichwort: Datenschutz. Manche haben sich seit der Pandemie im Thema festgebissen. Ihre Sorge, so Stadelmann: Die Datenspur, die man beim digitalen Zahlen hinterlässt, könnte in die falschen Hände geraten. Deshalb kämpfen sie für das Bargeld, damit bleibt man anonym.

Kontrolle, Autonomie – das kann noch nicht alles sein. Zu gross die Vehemenz, mit der die breite Gesellschaft ihre Nötli verteidigt. Geht es ums Bargeld, wirkt es immer gleich so, als ginge es um alles.

Das hat mit dem Erbe der Schweiz zu tun – so sieht es Richard Koller. Er sagt: «Wir sind aus dem Bauernstand und dem Gewerbe gross geworden.» Von dort komme das «Händelen». Traktor-Pneus, Pumpen, Uhren – alles hat man einander abgekauft, heute noch. Und dafür braucht man Bares, für auf die Hand. Daher das Bedürfnis, immer welches zu Hause zu haben – so seine These. Weil man ja nie wisse, wann man es brauche. Vor allem in ungewissen Zeiten.

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Wird es eng, horten wir Scheine

Drei Viertel der Menschen in der Schweiz leben heute auf städtischem oder stadtnahem Gebiet. Sie können damit wenig anfangen. Und doch passt Kollers Vermutung zu einer Beobachtung, die die Forschung schon länger macht: In Krisenzeiten hamstern wir Scheine.

Laut der SNB ist der Banknotenumlauf zu Beginn der Corona-Pandemie angestiegen. Ähnliches habe sich schon bei vergangenen Krisen gezeigt. Auch der Ökonom Stadelmann und sein Team stellten in ihren Befragungen fest: Die Menschen horteten während der Pandemie und zu Beginn des Ukraine-Kriegs mehr Geld daheim als sonst. Ihre Angst, so der Ökonom: ein Stromausfall, nicht mehr für Lebensmittel bezahlen zu können. So auch ein Argument von Richard Koller.

In Krisenzeiten vertrauen wir also auf Bewährtes. Reflexartig. Bei Bargeld weiss man, was man hat, man kann es sehen, anfassen. Und das ist der Punkt. Die Neuropsychologie hat herausgefunden: Unser Hirn reagiert auf Bargeld besonders. Erblicken wir Geld, wird das Belohnungszentrum aktiviert. Ein Schein oder ein Batzen in der Hand beruhigt die Nerven.

Das soll so bleiben. Richard Koller sieht sich in der Verantwortung dafür. Schon hat er Beschwerden gegen vier weitere Weihnachtsmärkte eingereicht, die das digitale Bezahlen ausgerufen haben: in Winterthur ZH, Luzern, Bern und Arlesheim BL.

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