Der Arzt, der zum F-35-Experten wurde
Schon 2022 warnte Pierre-Alain Fridez vor Kampfjet-Tricksereien

Für das Kampfflugzeug F-35 gibt es keinen Fixpreis. Das wusste SP-Nationalrat Pierre-Alain Fridez schon im Jahr 2022. Warum hörte niemand auf ihn?
Publiziert: 04.10.2025 um 18:16 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2025 um 18:29 Uhr
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«Mir war sofort klar: Hier stimmt etwas nicht»: Arzt und SP-Nationalrat Pierre-Alain Fridez.
Foto: Stefan Bohrer

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Gian Signorell
Beobachter

Ein kühler Junitag im Jahr 2021. Im Bundeshaus herrscht gespannte Erwartung, als Viola Amherd im rosa Blazer vor die Medien tritt. Anlass der Medienkonferenz: die Beschaffung eines neuen Kampfjets. Der Bundesrat hat sich für den F-35 entschieden. Ein US-Tarnkappenflugzeug, das modernste Kampfgerät weltweit. Und: Die Schweiz soll den Flieger zum Discountpreis bekommen. Billiger als die französische Rafale oder den Eurofighter.

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Zur gleichen Zeit, in einer Arztpraxis im kleinen Dorf Fontenais, weit weg vom politischen Machtzentrum, umgeben von den sanften Hügeln der jurassischen Ajoie, sitzt ein Mann vor seinem Computer und schüttelt fassungslos den Kopf. Pierre-Alain Fridez, Arzt, Sozialdemokrat, Nationalrat. «Mir war sofort klar: Hier stimmt etwas nicht. Der F-35 ist das teuerste Rüstungsprojekt der US-Geschichte – wie kann er da günstiger sein als alle Konkurrenzmodelle?»

Wie ein Spionagethriller

Fridez tut dann, was er sein Leben lang getan hat. Er stürzt sich in die Arbeit. 70 Arbeitsstunden pro Woche seien für ihn normal. «Wenn ich etwas anpacke, führe ich es auch zu Ende», sagt er zum Beobachter. Gemeinsam mit Peter Hug, dem Militärexperten der SP, wühlt er sich durch das F-35-Dossier.

Um dem Rätsel um den Preis auf die Spur zu kommen, durchforstet Fridez mehr als 250 Quellen. Mitunter mutet die Recherche an wie Szenen aus einem Spionagethriller. Treffen finden statt mit verschiedenen Informanten aus dem Rüstungsbereich, anonym, an neutralen Orten.

Von manchen kennt er die Namen nicht. Einige hätten während des Gesprächs eine Sonnenbrille getragen. «Sie riskierten nicht nur ihren Job, sondern möglicherweise auch lange Gefängnisstrafen. Wegen Geheimnisverrats. Aber sie wollten, dass die Wahrheit ans Licht kommt, wie der F-35-Deal genau zustande kam.»

«Ich bin eher der zurückhaltende Typ»: Pierre-Alain Fridez vor seinem Haus in Fontenais.
Foto: Stefan Bohrer

Immer mehr Puzzleteile fügt Fridez zusammen. Er mutiert zu einem der besten Kenner dieses Rüstungsgeschäfts. Das bestätigen mehrere seiner Parlamentskolleginnen und -kollegen aus verschiedenen Parteien.

Was würde Jesus tun?

Dabei wollte Fridez eigentlich mal etwas ganz anderes werden: Pfarrer. Die Lehren Jesu sieht der 67-Jährige auch heute noch als Leitfaden für sein Handeln, weil sie zu sozialer Gerechtigkeit führten.

Und er scheut sich nicht, für diese Werte einzustehen. «Stellen wir uns vor, Jesus wäre hier im Raum. Was glauben Sie, wie würde er entscheiden?», fragte er in der Frühjahrssession 2020 seine Kolleginnen und Kollegen im Nationalratssaal, als es um die Frage ging, ob Helfer von Sans-Papiers straffrei bleiben sollen.

«Ich sehe die Lehren Jesu als Leitfaden für mein Handeln, weil sie zu sozialer Gerechtigkeit führen»: Pierre-Alain Fridez.
Foto: Stefan Bohrer

Warum er nicht Pfarrer wurde: «Mir wurde bewusst, dass ich lieber kämpfen als predigen möchte», erzählt er hinter dem Schreibtisch seiner Arztpraxis in Fontenais – und reckt unwillkürlich die Faust. Kämpfen – auch mit Gewalt?

«Ich bin durch und durch Demokrat»

Die Frage stellt sich, weil Fridez ein Streiter der ersten Stunde für die Unabhängigkeit des Juras war. Und seit Juni 2025 ist er Präsident des Mouvement autonomiste jurassien. Manche Mitglieder der Unabhängigkeitsbewegung kämpften nicht nur mit friedlichen Mitteln. In den 1960er-Jahren und Mitte der 1990er-Jahre gab es Brand- und Sprengstoffanschläge.

Davon distanziert sich Fridez resolut: «Ich bin durch und durch Demokrat. Der politische Kampf muss unbedingt friedlich erfolgen.» Er sagt aber auch: Die politische Minderheit muss gehört werden. Das sei in der Geschichte des Juras nicht immer der Fall gewesen. Und ihm, dem linken Jurassier, muss es beim F-35 grad wieder so gegangen sein, denkt man sich unwillkürlich.

Den Menschen verpflichtet, nicht den eigenen Interessen

Liegt es an seiner Art? An seinem Unwillen, vielleicht auch seiner Unfähigkeit, sich und seine Verdienste in Szene zu setzen? Als der Beobachter Fridez für ein Porträt kontaktiert hat, lautete seine erste Antwort jedenfalls: «Ich bin eher der zurückhaltende Typ.» Als erstaune ihn die Anfrage – ein Porträt? Über ihn?

Diese Bescheidenheit, sein Arbeitseifer, das Pflichtgefühl: Sie wurzeln in seiner Biografie, meint Fridez – und erwähnt seinen Vater Edmond. Der war Bahnhofvorstand in Courrendlin bei Delsberg, Mitglied der Gewerkschaft, auch er Sozialdemokrat und separatistischer Aktivist. Ein Mann, der in den 1970er-Jahren den Jurakampf mitprägte. Vor allem aber: «Ein zutiefst integrer Mann», sagt Fridez. «Ich habe von ihm gelernt, dass man den Menschen verpflichtet ist, nicht den eigenen Interessen. Man soll dienen, statt sich zu bedienen.»

Tricksereien beim Preis

Seinen Dienst als Soldat leistete Fridez aus Überzeugung. Das Milizprinzip sei wichtig, eine Berufsarmee könne von der Regierung missbraucht und gegen das eigene Volk eingesetzt werden.

Dass der Arzt zum Experten für Rüstungspolitik wurde, ist jedoch eher dem Zufall geschuldet. In der Sicherheitspolitischen Kommission war gerade ein Sitz frei geworden, als er 2011 in den Nationalrat einzog. «Wenn man mir einen Auftrag gibt, führe ich ihn auch aus» – ein typischer Fridez-Satz.

So hat er das auch beim Kampfjet-Geschäft gesehen – und den Auftrag bis zum Ende durchgezogen. Nach einjähriger Recherche demontiert er im Buch «Der Entscheid für den F-35: Ein gewaltiger Fehler oder ein staatspolitischer Skandal?» mit Scharfsinn und unerbittlicher Logik den fragwürdigen Beschaffungsprozess.

Minutiös zeigt Fridez auf, wie die Kaufkriterien auf den US-Jet massgeschneidert wurden, wie die Konkurrenz damit aus dem Feld geschlagen wurde und wie der Preis mit allerlei Tricksereien schöngerechnet wurde. So reduzierte man etwa Fridez’ Recherchen zufolge die tatsächlich erforderliche jährliche Flugstundenzahl um 20 Prozent, was den Preis des F-35 künstlich um nahezu zwei Milliarden gesenkt habe.

Späte Anerkennung

Heute, da die F-35-Debatte voll entbrannt ist, scheint nicht mehr nachvollziehbar, dass Fridez’ Buch vor allem in der Deutschschweiz kaum zur Kenntnis genommen wurde. Die einzige Rezension erschien in der «Aargauer Zeitung». Der Journalist kritisierte, das Buch verheddere sich in Verschwörungstheorien, weil Fridez die These diskutiert, ein kleiner Zirkel von Involvierten habe die Entscheidung für den F-35 manipuliert. Eines der 20 Kapitel ist mit «Das Komplott» überschrieben. «Ich glaube, die Kritik hat dem Buch stark geschadet», sagt Fridez gegenüber dem Beobachter.

Für sein Sachbuch «Der Entscheid für den F-35» durchforstete Fridez über 250 Quellen.
Foto: Stefan Bohrer

Der Kauf des F-35 ist heute umstritten wie nie, dafür Fridez’ Expertise allgemein anerkannt. Was der einsame Mahner 2022 schrieb – «es gibt keinen Fixpreis» –, ist Tatsache geworden.

«Ich bin froh, wird ihm nun die Anerkennung zuteil, die ihm damals versagt blieb», sagt Priska Seiler Graf, Parteikollegin und Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats. SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor, ebenfalls Kommissionsmitglied, bezeichnet ihn als «einen der am besten informierten Verteidigungspolitiker».

Im Oktober ein neues Buch

Hat ihn der ausgebliebene Erfolg entmutigt? Fridez’ Antwort ist bezeichnend: «Nein, ich habe ein zweites Buch zum F-35 geschrieben. Es erscheint Mitte Oktober auf Deutsch.» Mit neuen Informationen – und leserfreundlicher geschrieben, verspricht er.

«Ich zeige auf, dass Bundesrat, Parlament und letztlich das Schweizer Volk bei der Beschaffung des F-35 schwer getäuscht wurden.» Wenn der jurassische Hausarzt und Bélier etwas anpackt, führt er es auch zu Ende.

Buchtipps
  • Pierre-Alain Fridez: «F-35 – Absturz mit Ansage»; erscheint am 15. Oktober im Rotpunktverlag, 160 Seiten, auch als E-Book erhältlich
  • Pierre-Alain Fridez: «Der Entscheid für den F-35: Ein gewaltiger Fehler oder ein staatspolitischer Skandal?»; Verlag BoD – Books on Demand, 2022, auch als E-Book erhältlich
  • Pierre-Alain Fridez: «F-35 – Absturz mit Ansage»; erscheint am 15. Oktober im Rotpunktverlag, 160 Seiten, auch als E-Book erhältlich
  • Pierre-Alain Fridez: «Der Entscheid für den F-35: Ein gewaltiger Fehler oder ein staatspolitischer Skandal?»; Verlag BoD – Books on Demand, 2022, auch als E-Book erhältlich
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