Chefin der Flüchtlingshilfe über Grenzschutz-Initiative
«Die Argumente der SVP sind hanebüchen»

Die SVP will die irreguläre Migration eindämmen – die Grenzen dichtmachen. Doch das löst das Problem nicht, sagt Miriam Behrens. Bei einer Annahme der Initiative würden die Asylgesuche zunehmen.
Publiziert: 17:49 Uhr
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Miriam Behrens, Chefin der Flüchtlingshilfe, kritisiert die Initiative scharf.
Foto: Zamir Loshi

Darum gehts

  • SVP fordert strengere Grenzkontrollen. Flüchtlingshilfe-Direktorin Miriam Behrens kritisiert Initiative scharf
  • Behrens: Grenzkontrollen lösen Probleme nicht. Eine gemeinsame europäische Strategie sei nötig
  • In 20 Jahren wurden 400'000 Asylgesuche in der Schweiz gestellt
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Robin BäniRedaktor

Die Grenzen streng kontrollieren, Migranten konsequent zurückweisen, das Asylrecht drastisch einschränken – die SVP fordert einschneidende Massnahmen. Am Mittwoch reicht sie die «Grenzschutz-Initiative» ein. Eine der lautstärksten Gegnerinnen ist Miriam Behrens, Direktorin der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Sie attackiert das Volksbegehren frontal und schreckt mit Vorwürfen an die Schweizer Volkspartei nicht zurück.

Frau Behrens, in der Schweiz wurden innert zwanzig Jahren 400’000 Asylgesuche gestellt. Finden Sie, das ist viel?
Miriam Behrens: Nein, das ist machbar. Das sind 20’000 Gesuche pro Jahr. Viele von ihnen verlassen die Schweiz auch wieder. Die Behörden können damit umgehen. 

Kantone und Gemeinden klagen über volle Asylzentren. Die Unterbringung der vielen Geflüchteten ist herausfordernd.
Die Situation ist angespannt, das stimmt. Aber wir dürfen nicht vergessen: In Europa herrscht Krieg. Nebst den Asylsuchenden haben wir auch noch 70’000 Schutzbedürftige aus der Ukraine. Zusammen ist das viel auf einmal. 

Die SVP will die Zahlen senken und lanciert nächste Woche ihre Grenzschutz-Initiative. Diese fordert «systematische Kontrollen an der Landesgrenze».
Grenzkontrollen lösen das Problem nicht. Menschen fliehen wegen der Lage in ihren Heimatländern. Offene oder geschlossene Grenzen ändern daran nichts. Kein Land kann sich einfach abschotten. Ein solcher Alleingang ist zum Scheitern verurteilt. Es braucht eine gemeinsame europäische Strategie.

Miriam Behrens

Miriam Behrens (60) leitet seit März 2016 als Direktorin die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH). Zuvor war sie sechs Jahre lang Generalsekretärin der Grünen Partei. An der Universität Basel hat Behrens Romanische Sprachen und Biologie studiert. In ihrer Diplomarbeit untersuchte sie die Mutter-Kind-Beziehungen bei Schimpansen. Behrens lebt mit ihrem Partner in einem Bauernhaus in Ormalingen BL und hat zwei erwachsene Kinder.

Zamir Loshi

Miriam Behrens (60) leitet seit März 2016 als Direktorin die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH). Zuvor war sie sechs Jahre lang Generalsekretärin der Grünen Partei. An der Universität Basel hat Behrens Romanische Sprachen und Biologie studiert. In ihrer Diplomarbeit untersuchte sie die Mutter-Kind-Beziehungen bei Schimpansen. Behrens lebt mit ihrem Partner in einem Bauernhaus in Ormalingen BL und hat zwei erwachsene Kinder.

Länder wie Deutschland scheren aber aus. Die Regierung in Berlin setzt seit Monaten auf ein strengeres Grenzregime. Warum sollte die Schweiz als Nachbarland nicht nachziehen?
Die deutsche Grenzpolitik ist polemisch und wirkungslos. An den Grenzen gibt es keine systematischen Kontrollen. Wäre dem so, gäbe es massenhaft Zurückweisungen an der deutschen Grenze. Das wiederum hätte zur Folge, dass die Zahl der Neueintritte in den Schweizer Bundesasylzentren ansteigt. Doch das passiert nicht. Die Zahl bleibt konstant, wie auch das Staatssekretariat für Migration bestätigt. 

In Deutschland sind die Asylgesuche stark zurückgegangen.
Ja, aber nicht wegen der Kontrollen. Entscheidend sind andere Faktoren – zum Beispiel die Grösse der Diaspora. Menschen fliehen tendenziell dorthin, wo Familie, Freunde oder Bekannte leben. Deutschland hat eine viel grössere syrische Gemeinschaft als die Schweiz. Und seit dem Sturz des Assad-Regimes flüchten weniger Syrer nach Deutschland.

Nebst Grenzkontrollen fordert die SVP in ihrer Initiative weitere Massnahmen: Wer aus einem sicheren Drittstaat einreist, soll gar kein Asylgesuch mehr stellen dürfen. Was halten Sie davon?
Nichts. Von dem halte ich gar nichts. Weit über 90 Prozent der Geflüchteten kommen über sichere Drittstaaten. Die Schweiz ist ja nur von solchen Ländern umgeben. De facto will die SVP das Asylrecht abschaffen.

Die Einreise über den Luftweg wäre weiterhin möglich. Die Initiative sieht zudem vor, dass jährlich maximal 5000 Personen Asyl erhalten könnten. Das ist keine Abschaffung, sondern eine Begrenzung.
Nein, das ist eine Abschaffung. So wie die SVP das Kontingent ausgestalten will, müssten Menschen bereits die Flüchtlingseigenschaft besitzen, bevor sie Schweizer Boden betreten dürfen. Hierzulande gäbe es faktisch keine Asylverfahren mehr. Auch vorläufige Aufnahmen wären ausgeschlossen – und das betrifft gerade jene, die aus Kriegsgebieten fliehen. Statt ihnen Schutz zu bieten, würde die Schweiz sie künftig abweisen.

Die Schweiz kann nicht alle aufnehmen. Dafür ist unser Land zu klein.
Das ist so, die Schweiz kann nicht alle aufnehmen, die fliehen. Das wäre in der Tat gar nicht leistbar. Aber die aktuellen Zahlen sind nicht so hoch, dass wir in Panik verfallen müssten. Die SVP schürt gezielt Ängste und stellt viel zu radikale Forderungen auf.

Der SVP geht es vor allem auch darum, die irreguläre Migration einzudämmen. Die Initiative trägt den Titel: «Asylmissbrauch stoppen!»
Ich würde gerne wissen, wo es zum «Missbrauch» kommt. Es ist völlig legal, in die Schweiz zu kommen und ein Asylgesuch zu stellen. Die Argumente der SVP sind hanebüchen.

Sie können doch der grössten Partei der Schweiz nicht vorwerfen, ihre Argumente seien «hanebüchen».
Grösse ist kein Freipass, um andere zu diskriminieren. Und Hetze gegen Geflüchtete legitimiert sich nicht durch eine demokratische Wahl. Statt sachlich zu diskutieren, schiebt diese Partei Geflüchteten pauschal die Verantwortung für alle möglichen Probleme zu. Das ist absurd und perfid. 

Die SVP spricht Wachstumsängste an, die weit über ihre Wählerschaft verbreitet sind. Ein Beispiel: Der Wohnraum wird knapper, die Mieten steigen. Warum ignorieren Sie diese Sorgen?
Ich negiere sie nicht. Ich kann einfach sagen, dass der Asylbereich nur 2,5 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung ausmacht. Das ist eine kleine Zahl. Und ja, es gibt einen Dichtestress. Aber muss man dann bei den Schwächsten ansetzen? Ist das wirklich die Lösung?

Was wäre denn eine Lösung, um die irreguläre Migration einzudämmen?
Eine gemeinsame europäische Antwort liegt vor: Im Juni 2026 tritt der Asylpakt in Kraft. Diesen beurteilen wir zwar sehr kritisch, die Staaten haben sich damit aber immerhin für ein gemeinsames Vorgehen entschieden.

Sie sprechen vom EU-Migrationsabkommen. Dieses setzt auf Schnellverfahren an den EU-Aussengrenzen und eine solidarische Verteilung der Geflüchteten. Das Parlament debattiert derzeit darüber, inwiefern sich die Schweiz daran beteiligen soll.
Die EU will dasselbe wie die SVP: die irreguläre Migration eindämmen. Der Solidaritätsmechanismus funktioniert aber nur, wenn alle Länder verbindlich mitmachen – auch die Schweiz.

Ob der Asylpakt dereinst greift, ist offen. Frühere Abkommen stimmen nicht gerade optimistisch. Das Dublin-System etwa ist teilweise gescheitert – Italien weigert sich seit Jahren, Flüchtlinge zurückzunehmen, obwohl es müsste.
Trotzdem profitiert die Schweiz enorm vom Dublin-System. Pro Kopf hat kein Land so viele Geflüchtete in andere Staaten zurückgeschickt wie die Schweiz. Und übrigens: Sollte die SVP-Initiative angenommen werden, steigen die Asylgesuche bei uns.

Weshalb?
Weil die Schweiz dann aus dem Dublin-System ausscheidet und keine Rückführungen mehr möglich wären. Diese Geflüchteten befinden sich aber bereits hier. Die Schweiz müsste also auf ihre Asylgesuche eintreten. Gleichzeitig würden wir mit der Initiative aus der Personenfreizügigkeit fliegen, was die Bilateralen mit der EU gefährdet. Der Schaden der Initiative wäre immens.

Die SVP fordert aber nicht den direkten Ausstieg aus den Migrationsabkommen, sondern zuerst Neuverhandlungen. Nur wenn diese scheitern, sollen die Verträge gekündigt werden.
Ja gut, wie realistisch ist es, dass Europa sich bereit zeigt, das Schengen-Dublin-Abkommen neu zu verhandeln? Das wird es nicht geben, also läuft es auf Kündigung hinaus. Zudem stellt sich grundlegend die Frage, ob die SVP-Initiative überhaupt gültig ist. 

Warum sollte sie das nicht sein?
Weil sie gegen zwingendes Völkerrecht verstösst, wenn wir Geflüchteten das Recht auf ein Asylverfahren verwehren und sie pauschal an der Grenze abweisen. Dann brechen wir auch mit der Europäischen Menschenrechts- und der Genfer Flüchtlingskonvention. Diese entstand nach dem Zweiten Weltkrieg – weil Länder wie die Schweiz Juden und Roma an der Grenze abgewiesen hatten. Diese Menschen wollten aus Nazi-Deutschland fliehen. So etwas darf sich nicht wiederholen.

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