BAV-Direktorin Christa Hostettler muss sparen
Wann haben Sie sich zuletzt über die SBB geärgert?

Bahnprojekte werden teurer, später realisiert oder gar gestrichen. Ein Gespräch mit der neuen Direktorin des Bundesamts für Verkehr über unpünktliche Züge, Ärger beim Gütertransport – und den Knatsch zwischen der SBB und Stadler.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Im Büro von BAV-Direktorin Christa Hostettler gibts ein Skateboard – das Abschiedsgeschenk der Postauto AG.
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

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Raphael RauchBundeshausredaktor

Frau Hostettler, die SBB stehen in der Kritik, weil sie neue Züge beim deutschen Siemens-Konzern und nicht bei der Schweizer Stadler Rail bestellen. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Christa Hostettler: Die Vergabe neuer Doppelstockzüge liegt in der Verantwortung der SBB. Der Bund hat den Entscheid der SBB und die Kritik an diesem Entscheid zur Kenntnis genommen.

Haben Sie zum Telefon gegriffen und Stadler-Patron Spuhler sowie Bahn-CEO Ducrot angerufen?
Nein. Das hätte auch nichts gebracht, weil das BAV bei Vergabeentscheiden keine Zuständigkeiten hat.

Wann schalten Sie sich als Aufsichtsbehörde ein?
Die SBB werden für den Zug beim Bundesamt für Verkehr (BAV) ein Verfahren für die Mitfinanzierung im subventionierten Regionalverkehr sowie ein fahrzeugtechnisches Zulassungsverfahren durchlaufen müssen. Das sind ganz normale Prozesse.

Aus SBB-Kreisen ist zu hören, dass die Stadler-Züge nicht pflegeleicht seien – der Unterhalt mache den SBB zu schaffen. Ist das für das BAV ein Thema?
Unterhaltskosten sind dann bei uns ein Thema, wenn diese im subventionierten Regionalverkehr anfallen und entsprechend von uns mitfinanziert werden müssen. Das war schon bei Fahrzeugen verschiedener Hersteller der Fall.

Die Emotionen kochen zurzeit hoch. Welcher Aspekt kommt Ihnen zu kurz?
Die SBB sind an die Vorgaben des öffentlichen Beschaffungsrechts gebunden. Dies hat das Parlament so beschlossen. Das bedeutet, dass der Zuschlag dem wirtschaftlichsten Angebot erteilt werden muss. Die öffentliche Ausschreibung stellt sicher, dass die Angebote transparent, fair und im Wettbewerb vergeben werden. Es wird damit sichergestellt, dass die Steuergelder haushälterisch und effizient eingesetzt werden.

Sprechen wir über was Leichteres: In Ihrem Büro steht ein Skateboard. Ist das BAV jetzt auch für Skater verantwortlich?
Nein (lacht). Ich habe das Skateboard zu meinem Abschied bei der Postauto AG erhalten, weil ich als Jugendliche immer skaten wollte – es aber nicht konnte. Das Board erinnert mich täglich daran, dass ich nicht alles kann.

In Ihrem Büro stehen auch kleine Tierfiguren. Wären Sie gern Zoodirektorin geworden?
Die Figuren stammen von einem Teamanlass. Manchmal helfen Symbole, ins Gespräch zu kommen. Wir sprachen darüber, wie wir Probleme anpacken wollen. Der Adler hat den Überblick, ein anderes Tier hat eine dicke Haut.

Wann brauchen Sie die Haut eines Elefanten?
Zum Beispiel als ich vor einem Jahr bekannt geben musste, dass für bereits geplante neue Bahnangebote weitere 14 Milliarden nötig wären. Das war zugleich ein Weckruf, dass es so nicht weitergehen kann. Es gibt zu viele Wünsche. Und wir können nicht alles umsetzen.

Das Gutachten von ETH-Professor Ulrich Weidmann kommt erschwerend hinzu: Er stellt komplette Bahnprojekte in Luzern, Basel und Lausanne infrage.
Das Gutachten hilft uns, eine Diskussion über künftige Grossinvestitionen zu führen. Für unsere Ausbaupläne fehlen 14 Milliarden. Die bisherigen Planungen sind nicht realistisch. Wir müssen darüber diskutieren, was wir mit dem Geld machen, das zur Verfügung steht.

Sparen tut weh. Wird es zu einem Gemetzel kommen?
Wenn bei einem 60-Milliarden-Portfolio zwei Drittel der Projekte erst später umgesetzt werden können, dann macht das viele unzufrieden. Das ist bei uns im BAV nicht anders: Wir müssen uns von einigen Vorstellungen verabschieden. Wir führen viele Gespräche – auch mit den Kantonen. Der Bundesrat wird im Januar das weitere Vorgehen beschliessen.

Sie haben letzte Woche Bundesrat Rösti nach Berlin und Rom begleitet. Sind Sie froh, dass Sie im Bundesratsjet unterwegs waren – und nicht mit der unpünktlichen Deutschen Bahn?
Ich reise sehr gern und sehr oft mit der Bahn – auch mit der Deutschen Bahn. Wir haben mit dem neuen Verkehrsminister in Berlin besprochen, dass wir pünktliche Züge und stabile Verbindungen wollen. Er hat uns versichert, alles dafür zu tun.

Auch auf der chronisch unpünktlichen Strecke Zürich–München?
Leider besteht ein Teil der Strecke nur aus einem Gleis. Hier häufen sich Verspätungen an. Wir würden eine zweigleisige Strecke sehr begrüssen, der Ausbau dürfte aber noch Jahre dauern. Auch künftig gilt: Wenn die Verspätungen aus Deutschland zu gross werden, kann die SBB ab der Grenze pünktliche Schweizer Züge einsetzen. Für das Pünktlichkeitsmanagement sind SBB und Deutsche Bahn zuständig.

Schaffhausen leidet unter den Verspätungen auf der Strecke Stuttgart–Zürich.
Auch hier will Deutschland Tempo machen. Für eine schnellere Verbindung nach Stuttgart muss erst noch der Pfaffensteigtunnel gebaut werden. Berlin hat uns versichert, dass dieser eine hohe Priorität hat. Bis dahin müssen wir uns gedulden. SBB und Deutsche Bahn haben sich darauf geeinigt, dass die Züge vorerst im Zweistundentakt direkt von Stuttgart nach Zürich fahren. Die anderen Züge fahren nur noch von Singen nach Zürich und sind weniger anfällig für Verspätungen.

Das heisst: Kurzfristig bleibt es bei den Verspätungen aus München oder Stuttgart!
Als Bundesamt können wir das nicht beeinflussen. Echte Verbesserungen dürfte es erst mit dem Ausbau der Infrastruktur geben. Hierfür wird Deutschland in den nächsten vier Jahren Milliarden investieren – das ist erfreulich. Wir haben in Berlin auch über die Beschleunigung von Verfahren gesprochen, damit Bauprojekte schneller umgesetzt werden können. Davon wird auch die Schweiz profitieren.

Wann haben Sie sich das letzte Mal so richtig über die SBB geärgert?
Gelegentlich kommt es vor, dass bei Störungen im System nicht gut kommuniziert wird. Ich bin ÖV-Profi und weiss mir zu helfen. Gerade Menschen, die den öffentlichen Verkehr nicht regelmässig benützen, sind jedoch auf Durchsagen angewiesen. Die Informationen im Störungsfall sind nicht immer super. Wenn etwas schiefläuft, versuche ich, Mitreisenden zu helfen.

Wie zufrieden sind Sie mit der Alliance Swisspass? Es gab widersprüchliche Aussagen zur Zukunft des Halbtax-Abos.
Ich habe grosses Vertrauen, dass Alliance Swisspass mit der ganzen Branche ein gutes System entwickelt. Sie hat klar kommuniziert, dass es das Halbtax in einer angepassten, aber für die Kunden guten Form auch im neuen System geben wird: Das Halbtax bleibt!

Ihre Behörde steht in der Kritik, weil Sie die Sicherheitsanforderungen im Güterverkehr verschärft haben.
2023 entgleiste ein Güterzug im Gotthardtunnel, daraufhin war der Tunnel über ein Jahr gesperrt. Der Bericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) zeigt, dass es systemische Risiken mit Radbrüchen gibt. Das bedeutet: Das Risiko besteht, dass es immer wieder geschehen kann, wenn wir die Vorschriften nicht anpassen. Weil auf europäischer Ebene nichts passiert ist, haben wir zugunsten der Sicherheit beschlossen: Wir machen strengere Regeln für die Schweiz. Das sind wir der Bevölkerung schuldig, denn die Schweiz ist dicht bebaut, und die Güterzüge verkehren auf unserem Bahnnetz im Mischverkehr mit Personenzügen.

Ein Kritikpunkt lautet, Sie hätten die EU-Kommission nicht informiert.
Wir haben mehrere runde Tische mit der Branche durchgeführt – natürlich haben wir auch mit der Europäischen Eisenbahnagentur gesprochen. Die Entgleisung 2023 ist glücklicherweise ohne Personenschaden abgelaufen, weil sie im Gotthardtunnel stattfand – also in einem geschlossenen System. Radbrüche und Entgleisungen sind leider kein Einzelfall, der Bericht der SUST zeigt dies auf. Wir können es uns nicht leisten, dass so etwas ein zweites Mal passiert. Darum ist die Risikominimierung absolut verhältnismässig.

Was ändern Sie konkret?
Künftig müssen die Räder von Güterwagen einen grösseren Mindestdurchmesser haben sowie öfter gewartet werden. Und die Wagenhalter müssen die Bahnunternehmen, welche die Züge fahren, besser über den Zustand ihrer Fahrzeuge informieren.

Laut «Sonntagszeitung» haben Sie die neuen Regeln innert weniger Wochen dreimal angepasst. Was ist da schiefgelaufen?
Gar nichts. Wir haben von Anfang an kommuniziert, dass wir die Massnahmen anpassen, wenn aus der Branche neue, bessere Informationen geliefert werden. Genau so war es dann. Statt jährlicher Kontrollen haben wir uns darauf geeinigt, Kontrollen erst nach einer gewissen Kilometerzahl erforderlich zu machen, weil dies für die Umsetzung mehr Sinn hatte.

Hätte der Unglückszug im Gotthard Entgleisungsdetektoren gehabt, wäre der Zug nicht noch kilometerlang weitergefahren und das Gleisbett derart zerstört worden.
Es wird im Gotthardtunnel künftig Entgleisungsdetektoren geben, die SBB führen hierzu verschiedene Tests durch. Die Detektoren sind aber als Ergänzung gedacht und werden die verschärften Sicherheitsmassnahmen nicht ersetzen.

Blick hat enthüllt, dass die SBB alle Schienen unter dem Gotthard ersetzen müssen und der Tunnel erneut gesperrt werden muss. Warum hat man das 2023 verschlafen?
Der Gotthardtunnel ist eine viel befahrene Strecke. Es war immer geplant, dass nach 20 Jahren Schienen ausgewechselt werden müssen. Wegen der Abnützung geschieht es nun zwei bis drei Jahre früher. 2023 war uns wichtig, den Tunnel so schnell wie möglich zu öffnen. Eine Verlängerung der Sperre wäre in die Herbst-Tourismussaison gefallen und hätte den Kanton Tessin empfindlich getroffen.

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