AKW-Pläne – und das vor den Zürcher Wahlen
«Kernspaltung» der FDP eingeleitet

Just drei Wochen vor den Zürcher Wahlen läutet die FDP das Atomzeitalter wieder ein. Ihre Kantonalparteipräsidenten fordern, das AKW-Neubauverbot zu kippen. Brisant ist: Das hatte der Vorstand zuvor abgelehnt. Parteimitglieder befürchten nun eine «Kettenreaktion».
Publiziert: 22.01.2022 um 15:38 Uhr
|
Aktualisiert: 23.01.2022 um 09:42 Uhr
Die Atompläne der FDP sorgen für Streit in der Partei.
Foto: Keystone
1/6
Pascal Tischhauser

Die Bestürzung ist riesig: Die FDP-Kantonalpräsidenten haben sich von der Energiewende verabschiedet. Die politischen Gegner sprechen von einem «Atomunfall» bei den Freisinnigen. Intern ist von Spaltung die Rede. Ausgerechnet jetzt.

Was ist passiert? Bei einem Treffen in Bern hat die Parteipräsidentenkonferenz (PPK) der FDP beschlossen, dass wieder neue Atomkraftwerke gebaut werden können sollen, wie der «Tages-Anzeiger» publik machte.

SVP spurte vor

Der Antrag, das AKW-Neubauverbot zu kippen, kam aus Zürich, wie Involvierte gegenüber Blick bestätigen. Ausgerechnet dort, wo am 13. Februar kommunale Wahlen anstehen. Die GLP lasse aus Freude über die freisinnige Wahlhilfe schon mal die Korken knallen. Im Zürcher Freisinn hingegen sei «die Kacke am Dampfen», sagt eine Person, die sich sonst deutlich gewählter ausdrückt.

Der Dietiker Gemeinderat Peter Metzinger macht seinem Ärger auf Twitter Luft: «Das wars mit dem Wahlkampf», schreibt er, die frisch gedruckten Wahlplakate seien jetzt Altpapier. «Ich muss mich ganz klar vom Beschluss der PPK distanzieren.»

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Klare Worte findet auch FDP-Energiepolitiker Matthias Jauslin (59). Der Nationalrat fragt: «Hat sich die FDP-Parteileitung verirrt?» Stets habe es geheissen, in der neuen Parteileitung wolle man Themen bearbeiten, in denen sich die Partei einig ist – «nun wählt man die Kernspaltung», so der Aargauer. In einer Blitzübung solle der FDP Atomstrom untergejubelt werden. «Diese Kettenreaktion wird tiefe Spuren hinterlassen», prophezeit er.

Und SP-Fraktionschef Roger Nordmann (48) spricht gar vor einem «atomaren Zwischenfall». Die FDP sei von der SVP bestrahlt worden. Schliesslich forderte Magdalena Martullo-Blocher (52) im Blick als Erste einen Atomkraftwerkneubau.

Ist Burkart die treibende Kraft?

Doch wie konnte es so weit kommen? Dass der neue FDP-Präsident Thierry Burkart (46) den Ökokurs seine Vorgängerin Petra Gössi (46) nicht stützt, ist ein offenes Geheimnis. Laut Aussage verschiedener Parteimitglieder ist er denn auch die treibende Kraft hinter dem spektakulären Atomentscheid.

Wie verschiedene Quellen berichten, gelang die Atomwende aber erst im zweiten Anlauf. Im Parteivorstand sei ein entsprechender Antrag in einem ersten Versuch noch gescheitert. Der Antrag kam laut Blick-Recherchen aber nicht von Burkhart. «Technologieneutralität» war im Vorstand die Formulierung, auf die sich dann aber eine satte Mehrheit laut mehrerer Quellen einigte. Also darauf, dass beispielsweise bei der Forschung keine Technik bevorzugt oder benachteiligt werden dürfe. Das ist etwas anderes als die Forderung, das AKW-Neubauverbot zu kippen.

In der Resolution zuhanden der Delegiertenversammlung, in der über das Strompapier entschieden werden muss, heisst es nun wörtlich: «So sind die Voraussetzungen zu schaffen, um namentlich Kernkraftwerke der neuen Generation zuzulassen.» Der FDP-Generalsekretär Jon Fanzun präzisiert gegenüber Blick: «Ein Neubau eines Kernkraftwerks ist derzeit aufgrund der Rahmenbedingungen und der aktuellen Technologie kein Thema.» Es gehe lediglich darum, das Technologieverbot aufzuheben.

«Überschnurre» lassen

Wie die «Aargauer Zeitung» berichtet hatte, sprach sich zuvor schon die Aargauer FDP für den Neubau von Atomkraftwerken aus. Ja, die Kantonalpartei von FDP-Schweiz-Präsident Burkart kritisierte gar die Subventionierung von erneuerbarer Energieproduktion wie Wind- und Solarstrom. Der Vorstand der FDP Schweiz hingegen hielt Letzteres für falsch. Das Signal, das die Partei mit der Forderung nach neuen AKWs aussendet, sei verheerend – womit sie recht behalten sollte, wie der Aufschrei über den Entscheid nun zeigt.

Zwar beschwichtigen die Fürsprecher eines neuen Atomzeitalters stets, man wolle ja nur AKWs neuster Generation, die klein und ungefährlich sein sollen. Der Haken daran: Solche AKW stehen noch nirgendwo im Einsatz und es ist offen, ob sie das je tun werden. Aus der FDP heisst es denn auch: «Wahrscheinlich waren die Kantonalpräsidentinnen und -präsidenten halt nicht so im Thema.» Sie hätten sich wohl «überschnurre» lassen.

Schaden ist angerichtet

Das letzte Wort haben nun eben die Parteidelegierten, die sich am 12. Februar in Montreux VD treffen – einen Tag vor den Wahlen in Zürich. Die Hoffnung ist gross, dass der PPK-Entscheid von der Basis beim Treffen im Welschland noch korrigiert wird.

Doch so oder so: «Der Schaden ist bereits angerichtet, man kann der FDP nun mit Fug und Recht vorwerfen, die Zeichen der Zeit nicht erkannt und kein Rezept gegen den Klimawandel zu haben», sagt eine Quelle. Bis nämlich ein neues Atomkraftwerk stünde, würde es mindestens 20, aber wohl eher gegen 30 Jahre dauern. Die Schweiz muss aber schon heute etwas gegen die Erderwärmung tun – «und nicht mit Rezepten von vorgestern für übermorgen planen», wie ein anderes Parteimitglied sagt.

FDP soll auf Staatskrücken setzen?

Zumal aus liberaler Sicht Atomkraftwerke keine Lösung sein könnte, wie der deutsche FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner (43) unlängst erklärte. Denn wenn es nirgendwo privates Kapital für den Bau eines neuen Atomkraftwerks gebe und wenn kein privater Versicherer bereit sei, das Risiko Kernkraft zu versichern, sondern es dafür eine Staatshaftung bräuchte, dann sei das «für marktwirtschaftlich denkende Menschen ein Zeichen, dass Atomenergie ordnungspolitisch nicht vertretbar ist».

Die Schweizer Freisinnigen werden ihren Delegierten erklären müssen, weshalb man staatliche Subventionen von erneuerbaren Energien als störend empfindet, gleichzeitig aber das Verbot einer potenziell gefährlichen, noch nicht verfügbaren Technik verlangt, die nur mit teuren Staatskrücken realisiert werden könnte.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?