Gewalt in Cartoons und ihr Einfluss auf Kinder und Jugendliche
Homer will Bart nicht mehr würgen

Die Nachricht, dass «Simpson»-Vater Homer Sohn Bart nicht mehr länger an die Gurgel gehen will, sorgte im Netz für Aufregung. Denn Gewalt ist in Cartoons seit jeher ein wichtiges Element. Ein Psychologe ordnet ein, was sie bei Kindern und Jugendlichen auslösen kann.
Publiziert: 19.11.2023 um 19:53 Uhr
Will seinen Sohn Bart nicht mehr länger würgen: Homer Simpson, Patriarch der Simpson-Familie.
Foto: imago images/Everett Collection
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Patricia BroderRedaktorin People

Überzeichnete Gewalt gehört zu Cartoons und Comics wie Sprechblasen und Superhelden: Obelix, der eine ganze Legion von Römern zerschmettert, Tom und Jerry, die sich gegenseitig in die Luft jagen, oder Homer Simpson, der seinem Sohn Bart an die Gurgel geht.

Doch Cancel Culture macht offenbar auch vor der Welt der Bilderzählungen nicht halt. Denn in einer kürzlich ausgestrahlten Folge von «The Simpson» kündigt Vater Homer an, seinen Sohn Bart nicht mehr länger zu würgen, sollte dieser ihn ärgern. Damit killt die Hauptfigur den ältesten Running Gag der Kultserie gleich selbst.

Die Szene, die die Entscheidung besiegelte, lief so ab: Als Homer einen neuen Nachbarn kennenlernt, der seinen starken Händedruck bemerkt, sagt er zu seiner Frau: «Siehst du, Marge, das Würgen des Jungen hat sich ausgezahlt – Scherz! Ich mache das nicht mehr. Die Zeiten haben sich geändert!» Und tatsächlich: Wie das Popkultur-Portal IGN recherchierte, hat Homer seinen Sohn seit der 31. Staffel (2019–2020) nicht mehr am Hals gepackt.

Würge-Stopp löst Diskussion im Netz aus

Im Netz löste dies sofort eine grosse Diskussion aus: Soll Homer Bart weiter würgen dürfen oder nicht? «Unbedingt, das gehört dazu!», erklärt ein Fan auf Instagram. «Nein, Eltern, die sich an ihren Kindern vergreifen, gehen gar nicht», findet ein anderer. Die Debatte rückt damit eine zentrale Frage in den Vordergrund: Wie zeitgemäss ist Gewalt als Schlüsselelement in Comics und Zeichentrickfilmen?

Ein Blick in die Geschichte der gezeichneten Kunstform zeigt: Bereits die kultigste aller Cartoon-Serien, die «Looney Tunes», ist für ihren besonders gewalttätigen Slapstick bekannt und hat damit den Ausdruck «Cartoon-Gewalt» geprägt. Die Charaktere der Serie, die zwischen 1930 und 1969 ausgestrahlt wurde, hantieren mit überdimensional grossen Waffen, herunterfallenden Klavieren oder vertrauen auf die Gewalt von wuchtigen Explosionen. Alle Figuren werden dabei auf stilisierte und unrealistische Weise verletzt. Während die Verwundungen in der Realität sehr schmerzhaft und zweifellos tödlich wären, sind sie in der Welt der Looney Tunes nichts weiter als ein Comedy-Effekt. Grotesk überzeichnete Gewalt als Lach-Ventil sozusagen.

Nicht minder gewalttätig geht es bei «Tom und Jerry» zu und her (1940–1967). Die Katze namens Tom und die Maus namens Jerry gehen sich auf jegliche denkbare Weise ans Leder. Die Serie und ihr übertriebenes Mass an Gewalt wurde später in «Die Simpsons» als «Itchy und Scratchy» parodiert. 

Gesellschaftskritische Pointen in den 90er-Jahren

Nachdem die 60er und 70er mit Cartoons wie «The Flintstones» und «The Jetsons» eher von familienfreundlicherem Humor geprägt waren, hielten Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre Formate mit satirischem Sozialkommentar Einzug. Serien wie «Die Simpsons», «South Park» oder auch «Family Guy» begeistern Jugendliche wie auch Erwachsene bis heute mit dunklem Humor und gesellschaftskritischen Pointen. Dennoch bleibt die Gewalt auch in diesen Produktionen ein wichtiger Teil der Geschichten, auch wenn sie meist als satirischer Kommentar auf Probleme in der realen Welt dient.

Doch ist diese ausufernde Gewalt in Comics und Cartoons für Kinder und Jugendliche gefährlich? Das hänge vom Grad der Überzeichnung ab, sagt Allan Guggenbühl (71), Psychologe und Experte für Jugendgewalt, auf Anfrage: «Übertriebene und schelmische Gewalt wie bei ‹Tom und Jerry› wird auch von Kindern als nicht echt gesehen. In einem solchen Fall können sie bereits früh Fiktion von Realität unterscheiden. Sobald die Gewalt als spielerisch wahrgenommen wird, ist sie unproblematisch.»

«Vater, der Sohn würgt, kann ein Kind beunruhigen»

Schwieriger sei es, wenn eine Situation gezeigt werde, die sich so auch in der Realität abspielen könnte. «Ein Vater, der seinen Sohn würgt, kann ein Kind beunruhigen», sagt Guggenbühl. «Aber auch in diesem Fall muss man den Gesamtkontext beachten. Man darf sich bei der Bewertung nicht auf eine Handlung von wenigen Sekunden wie das Würgen fokussieren. Die ganze Geschichte und deren Aussage sind relevant.»

Dass sich Choleriker Homer, Hauptfigur von Amerikas ältester Zeichentrickserie, neuerdings mässige, sei aber in Hinblick auf die gesellschaftlichen Veränderungen begrüssenswert, erklärt Guggenbühl weiter. «Kinder bemerken den aktuellen Zeitgeist, und daraus entsteht ein Rückkopplungseffekt. Sobald Eltern etwas, wie das Würgen, als problematisch ansehen, stimmen sich auch die Kinder darauf ein und bewerten dies ebenfalls als negativ.» Generell werde die Gewalt in Comics, Videospielen und Filmen aber überbewertet, meint der Experte. «Was Kinder wirklich prägt, sind ihre Beziehungen im echten Leben und die Haltung und Handlung der Erwachsenen, mit denen sie zu tun haben.» 

Macher kündigen an, nichts verändern zu wollen

Das sieht auch James L. Brooks (83) so. Nachdem sich die Nachricht, dass es bei Homer und Bart mit dem Würgen endgültig vorbei sein soll, in den sozialen Medien verbreitet hatte, meldete sich der «Simpsons»-Produzent selbst zu Wort. «Denkt nicht eine Sekunde lang, dass wir etwas verändern werden», sagte der Miterfinder der Serie dem «People»-Magazin. Auch auf der Social-Media-Plattform X reagierten die «Simpsons»-Macher mit einem Augenzwinkern und veröffentlichten einen Cartoon, in dem Homer Bart, der ein Smartphone in der Hand hält, an die Gurgel springt. «Homer Simpson war für einen Kommentar nicht zu erreichen, da er damit beschäftigt war, Bart zu würgen», heisst es im dazugehörigen Statement.

Ob der Patriarch der gelben Kultfamilie dies in den kommenden Folgen aber tatsächlich weiter tun wird, ist fraglich. Psychologe Allan Guggenbühl fasst die Debatte so zusammen: «Ein Vater, der seinen Sohn würgt, ist aus erzieherischer Sicht heute schlicht nicht mehr zeitgemäss.»


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