Darum gehts
Sexszenen sind oft das sinnliche Highlight eines Films. Gleichzeitig bergen sie enormes Konfliktpotenzial, wie eine Expertin verrät. «Viele denken, am Set muss eine möglichst erotische Stimmung herrschen für diese Szenen», sagt Intimacy-Koordinatorin Salome Schneebeli (63) zu Blick und schüttelt den Kopf. «Aber das Gegenteil ist der Fall: Wir müssen die Atmosphäre am Sex entsexualisieren, damit auf der Leinwand glaubwürdig Lust entstehen kann.»
Salome Schneebeli ist eine der ersten Intimacy-Koordinatorinnen der Schweiz. Für den neuen Film «Love Roulette» mit Yvonne Eisenring (38) in der Hauptrolle hat sie mit dem Cast und dem Regisseur zusammengearbeitet und die erotischen Szenen begleitet. «Es ist wie ein Tanz. Intime Szenen leben von Blicken, Verzögerung, Bewegungen und einem präzisen Ablauf.»
Durch #MeToo zum Job
Die preisgekrönte Choreografin und Tänzerin kam Ende 2017 durch die MeToo-Bewegung zu ihrem heutigen Beruf. «Die MeToo-Bewegungen hat einmal mehr verdeutlicht, dass sexualisierte Gewalt ein strukturelles Problem ist, wovon auch die Unterhaltungsindustrie stark betroffen ist. Schutzmechanismen wie der Job als Intimacy-Koordinatorin sind daher extrem wichtig: Sie stellen den Schutz und was Wohlfühlen von Schauspielerinnen und Schauspielern während intimen Szenen sicher.» Salome Schneebeli hat sich – neben ihrem Beruf als Choreografin und Regisseurin – fortan auf die Arbeit mit der Darstellung von Sexualität konzentriert und eine zertifizierte Ausbildung als Intimacy-Koordinatorin abgeschlossen.
Was macht denn eigentlich eine gute Sexszene aus, wollen wir von der Expertin wissen. «Dass sie sich nicht anbiedert. Eine gute Sexszene braucht Rhythmus – kein unübersichtliches Chaos. Sie erzählt etwas über die Figuren, über ihre Beziehung und ihr Begehren. Und sie muss körperlich glaubwürdig sein», sagt Schneebeli. Die Arbeit daran beginnt für sie lange vor dem Dreh. Mit der Regie bespricht sie den visuellen Aspekt, mit den Darstellerinnen und den Darstellern klärt sie deren persönlichen Grenzen ab. «Wo darf berührt werden? Wo nicht? Was ist ihnen wichtig?» Erst dann wird die Szene gemeinsam entwickelt und geprobt.
«Ich bin sofort eingeschritten»
Dass es Intimacy-Koordination bei Film und Theater braucht, hat Salome Schneebeli mehr als einmal erlebt. «Ich erinnere mich vor allem an einen Dreh mit einer jungen Schauspielerin, bei dem der Regisseur zwei Sekunden vor der Szene improvisieren wollte und erklärte, sie solle jetzt alles ausziehen. Ein absolutes No-Go», sagt sie. «Das war nicht abgesprochen. Ich bin sofort eingeschritten und habe ihn unterbrochen.» In ihrer Tätigkeit als Intimacy-Koordinatorin begleitet Schneebeli nicht nur heikle Szenen, sondern ist oft auch seelische Unterstützung am Set. «Schauspielerinnen wollen nicht als schwierig gelten. Ich beobachte, dass gerade junge Frauen aus diesem Grund oft Hemmungen haben, Nein zu sagen. Ich bin da, um sie zu unterstützen. Denn diese Sorge kommt leider nicht von ungefähr. In vielen Kontexten wird den Darstellerinnen noch immer vermittelt, dass wenn man Nein sagt, man kompliziert oder schwierig ist.»
Der Umgang mit Sexualität im Film hat sich in den letzten Jahren stark verändert, sagt die Expertin. «Ich spüre das vor allem bei den jüngeren Generationen. Der männliche Blick als Matrix, das ist zum Glück mehr und mehr vorbei.» In Yvonne Eisenrings Film sei der Fokus klar weiblich. «Die intimen Szenen von ‹Love Roulette› sind spannend inszeniert, humorvoll und sinnlich. Und dabei nie billig.»
Eisenring hatte die Szenen genau vor Augen
Das Drehbuch aus der Feder von Yvonne Eisenring hat Schneebeli die Arbeit bei den Sexszenen spürbar erleichtert. «Sie hatte die Szenen nicht nur präzise geschrieben, sie hatte sie schon ganz genau vor Augen», so Schneebeli. «Grenzen konnten offen besprochen werden, vieles war von Anfang an stimmig. Ausserdem stimmte die Chemie zwischen Yvonne Eisenring und Max Hubacher von Drehbeginn an. Da brauchte es von meiner Seite her gar nicht mehr viel.»
Hat ihr Beruf auch ihr eigenes Verhältnis zu Sexualität verändert? Salome Schneebeli denkt kurz nach und lächelt. «Vielleicht hat es mir einfach nochmal gezeigt, wie schön Sex sein kann. Und wie viele Formen es geben darf.»