Darum gehts
Wer als Papst ins Konklave geht, verlässt es als Kardinal: Die Wahrheit dieses alten Spruchs lernte Kardinal Pietro Parolin (70) kennen, der unter Papst Franziskus die Nummer zwei der Weltkirche war. Der Italiener galt als Favorit für dessen Nachfolge. Er soll aber, wie italienische Zeitungen berichten, im ersten Wahlgang des Konklaves lediglich 40 bis 50 Stimmen erreicht haben. Er konnte diesen Brückenkopf nicht ausbauen und verfehlte die Zweidrittelmehrheit von 89 Stimmen. Stattdessen wurde Robert Prevost (69) Papst. Der gebürtige US-Amerikaner, studierter Mathematiker und Kirchenrechtler, besitzt seit 2015 auch einen peruanischen Pass: Der Augustiner-Mönch war Bischof in Peru.
Am Samstag erklärte Prevost, warum er sich für den Namen Leo XIV. entschieden hat: «Vor allem, weil Papst Leo XIII. mit der historischen Enzyklika Rerum novarum die soziale Frage im Kontext der ersten grossen industriellen Revolution ansprach», so der neue Papst über sein gleichnamiges Vorbild aus dem späten 19. Jahrhundert. «Heute bietet die Kirche allen ihr Erbe der Soziallehre an, um auf eine weitere industrielle Revolution und die Entwicklungen der künstlichen Intelligenz zu antworten, die neue Herausforderungen für den Schutz der Menschenwürde, der Gerechtigkeit und der Arbeit mit sich bringen.»
Mit 69 Jahren ist Leo XIV. deutlich jünger, als es seine Vorgänger Franziskus (76) und Benedikt XVI. (78) zu Beginn ihrer Amtszeit waren – um bloss ein Übergangspapst zu sein, ist er zu jung.
In seiner Ansprache am Samstag erwähnte Leo XIV. vier Mal seinen Vorgänger Franziskus. Optisch wählte er einen anderen Akzent: Der neue Papst betrat am Donnerstagabend die Loggia des Petersdoms nicht wie Franziskus schlicht in Weiss. Wie Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. wählte er die Mozetta – ein rotes Schultertuch – und die Papststola.
Mit dem Pferd zu den Armen
Vor allem lateinamerikanische Medien feiern ihn als ihren Papst, der sich die Anliegen der Armen zu eigen machte, zu Pferd in entlegene Gebiete seiner Diözese ritt und nach verheerenden Überschwemmungen ein Armenviertel in Gummistiefeln aufsuchte. Gläubige, die sich für Reformanliegen einsetzen, erinnern daran, dass Prevost in der Kurie Frauen gefördert habe.
In der Schweiz ist der Name Prevost weitgehend unbekannt – als Personalchef der Bischöfe gab der Amerikaner jedoch zu reden, weil er Schweizer Bischöfe wegen Vertuschungsvorwürfen rüffelte. Andererseits entschied Prevost in dieser Funktion, dass Jean Scarcella (73), der umstrittene Abt von St-Maurice, im Amt bleiben darf – obwohl er einem 15-Jährigen an den Hintern gefasst haben soll.
Der US-Priester James Martin (64) sass zwei Wochen lang mit Robert Prevost am selben Tisch, um über Reformanliegen in der Kirche zu diskutieren. Martin setzt sich für LGBTQ-Anliegen ein und denkt gern an die Ära des verstorbenen Pontifex zurück: «Franziskus hat mehr für LGBTQ-Personen getan als alle seine Vorgänger zusammen», sagt Martin im Gespräch mit Blick. Über den neuen Papst sagt der Jesuit: «Er ist offen für den Dialog, fürs Zuhören, für Diskussionen.» Anders als Franziskus aber sei Leo XIV. eher zurückhaltend. Martin rechnet damit, dass er den Kurs von Franziskus fortführen wird, allerdings «präziser» sein werde: «Papst Franziskus war ein Seelsorger, kein Kirchenrechtler. Er war spontaner, Papst Leo ist ein ganz anderer Typ.»
Der Schweizer Kardinal Kurt Koch (75) sagte am Freitag in Rom, er vermute, dass der neue Papst in der strittigen Frage der Segnung von Menschen in homosexuellen Beziehungen einen Konsens suchen werde, der von allen Bischofskonferenzen weltweit geteilt werde. Unter Franziskus hatte es hier keine Einigung gegeben: Die meisten afrikanischen Bischofskonferenzen sind gegen die vom Vatikan erlaubte Segnung queerer Paare.