Darum gehts
Knallblauer Dreiteiler, dezent geschminkte Lippen, breites Lachen: Julia Onken strahlt beim Besuch in ihrem Zuhause in Amriswil TG pure Lebensfreude aus. Ist die Psychologin und Bestsellerautorin wirklich «grundlos vergnügt», wie es der Titel ihres aktuellen Buches nahelegt? Ja, findet die 83-Jährige. Ihr aktuelles Werk sei übrigens keine klassische Biografie. «Es ist ein Rückblick auf mein Leben, um herauszufinden, wie ich geworden bin, wer ich bin.»
Julia Onken, als Sie so alt waren, wie ich jetzt bin, also in den Fünfzigern, hatten Sie ein Schloss in Frankreich, einen elf Jahre jüngeren Mann und einen Jaguar. Was habe ich falsch gemacht?
(Lacht.) Nichts. Nicht alle wollen das Gleiche. Oder möchten Sie ein Schloss in Frankreich?
Nein. Einem Jaguar wäre ich aber nicht abgeneigt.
Hören Sie auf! Seit ich einen Smart fahre, will ich nichts anderes mehr! Das Schloss in Frankreich habe ich übrigens auch nicht mehr. Den jüngeren Mann hingegen schon.
Wie sieht es mit Ihrem Fahrausweis aus? Sie deuten in Ihrem aktuellen Buch an, diesen dereinst freiwillig abzugeben.
Wenn ich beginne, Stoppschilder zu übersehen, dann gebe ich das Ding mit Freude ab. Aber noch ist das kein Thema.
Sie sagen, die Versöhnung mit dem eigenen Leben sei die letzte und schwierigste Aufgabe der meisten Menschen.
Nun, wenn man angezählt ist so wie ich, sitzt einem die Endlichkeit im Genick. Da ist es angebracht, dass man auf sein Leben blickt, um sich selbst besser zu verstehen mit allen Fehlern und Irrläufen. Interessant ist, dass es so etwas wie eine Kontinuität gibt, wo man bestimmte Lernschritte machen muss. Zu diesen gehören auch Fehlentscheide. Wenn man begreift, dass jene zu Entwicklungsschritten führen, ist man in einem einvernehmlichen Verhältnis mit sich selbst.
Wie weit sind Sie mit der Versöhnung?
Ich gehe inzwischen pfleglich mit meinen Schwächen um, weil ich gemerkt habe: Je strenger ich mit mir bin, umso blöder wird es.
Ihre jungen Jahre waren turbulent: Sie haben früh geheiratet, eine Familie gegründet, als junge Mutter studiert. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
Das war ein Blindflug. Ich bin einfach meinen Impulsen nachgegangen: leben, tanzen, Kinder haben, studieren. Wenig Reflexion, sehr viel Neugier aufs Leben. Aber irgendwann auch die Frage, ob das jetzt alles ist – kochen, putzen, Kinder und so. Also unbeschreibliche Lebensfreude, gepaart mit abgrundtiefer Verzweiflung.
Hätten Sie es anders gemacht, wenn Sie nachgedacht hätten?
Das weiss ich nicht. Zum Glück. Ich rate jungen Menschen: Freu dich des Lebens. Schöpf aus dem Vollen. Mach Fehler. Heirate den falschen Mann!
Sie wissen, wovon Sie sprechen: Sie haben Ihren Mann in flagranti mit einer Freundin im heimischen Ehebett erwischt.
Und dafür bin ich ihr heute noch dankbar!
Sie führten eine offene Ehe, also kein Problem, oder?
Doch, wir erzählten einander alles. Diese Affäre hatten beide vor mir verheimlicht. Wir versuchten, damit umzugehen, aber es gelang uns nicht.
Was wog schwerer, der Verrat Ihres Mannes oder der Ihrer Freundin?
Beides war hart. Aber im Nachhinein muss ich sagen, dass sie mir einen grossen Gefallen getan haben. Es wäre sonst wohl nicht zur Scheidung gekommen, die mein Startschuss für Selbstverantwortung und Selbstbestimmung war.
Danach geschah allerdings, was vielen Müttern passiert: Sie waren allein für Ihre beiden Töchter verantwortlich.
Ich habe damals schon eine Weile mit Frauen gearbeitet und kannte diese Situation aus ihren Erzählungen. Als dann ich dran war, war ich in der Rolle einer Forscherin und fand es spannend, bestätigt zu bekommen, dass letztlich oft die Frau allein verantwortlich ist. Ich habe meine ganze Energie darauf verwendet, diese Situation zu bewältigen. Ich sah nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich muss aufs Sozialamt, oder ich werde erfolgreich. Ich fand erfolgreich werden besser.
Geboren in Münsterlingen TG, wuchs Julia Onken als jüngste von sechs Töchtern väterlicherseits in einer Patchworkfamilie auf. Nach einer Lehre als Papeteristin studierte sie Psychologie, arbeitete im Strafvollzug und dann in der eigenen Praxis. Sie gründete das Frauenseminar Bodensee und den Bildungsfonds für Frauen und ist Autorin zahlreicher Bestseller. Onken hat zwei erwachsene Töchter.
Geboren in Münsterlingen TG, wuchs Julia Onken als jüngste von sechs Töchtern väterlicherseits in einer Patchworkfamilie auf. Nach einer Lehre als Papeteristin studierte sie Psychologie, arbeitete im Strafvollzug und dann in der eigenen Praxis. Sie gründete das Frauenseminar Bodensee und den Bildungsfonds für Frauen und ist Autorin zahlreicher Bestseller. Onken hat zwei erwachsene Töchter.
Ihr grosser Erfolg kam mit Anfang 40, zusammen mit den Wechseljahren. Zwei Dinge, die sonst eher nicht Hand in Hand gehen.
Als ich verhältnismässig jung in die Wechseljahre kam, war das zuerst ein Schock. Da denkt man, jetzt geht der Film nur noch schwarz-weiss weiter. Und dann noch mit einem elf Jahre jüngeren Partner. Da dachte ich, das ist saudumm gelaufen. Aber dann fing ich an, mich damit auseinanderzusetzen, und mir fiel eine Aussage von Hermann Hesse in die Hände, die mein Leben umgekrempelt hat: «Jede Erscheinung ist ein Gleichnis. Und jedes Gleichnis ist ein offenes Tor, durch welches die Seele, wenn sie bereit ist, in das Innere der Welt zu gehen vermag.» Da wusste ich: Die Wechseljahre sind nur ein Gleichnis für etwas anderes. Körperlich ist die Möglichkeit der Mutterschaft beendet. Jetzt beginnt die geistige Mutterschaft. Ich kann geistige Kinder erzeugen, gedanklich aufblühen. Diese Erkenntnis gab mir einen richtigen Schub. Ich wollte sie mit anderen Frauen teilen. Zu meinem ersten Vortrag im Fürstentum Liechtenstein kamen etwa 100 Leute, obwohl die Zeitungen sich weigerten, das Inserat zu drucken. Daraus entstand das Buch «Feuerzeichenfrau», das ich im Eigenverlag herausgab.
Das Buch wurde ein Bestseller und war der Start Ihrer Karriere als Autorin. Haben Sie damit gerechnet?
Überhaupt nicht. Es hat sich so ergeben. Und da war dann auch viel Unangenehmes dabei. Ich war oft auf Lesetournee. Das ist alles andere als schön, immer auf Reisen zu sein, immer in einem anderen Hotel. Aber ich tat es vor allem, weil ich mich für Frauen starkmachen wollte.
Das taten Sie dann auch mit der Gründung des Frauenseminars Bodensee. Woher dieser Einsatz?
Zum einen, weil ich zahlreiche Geschichten von Frauen gehört habe, zum anderen, weil ich sie auch selbst erlebt habe. Das entwickelt sich organisch.
Heute, 38 Jahre nach der Gründung Ihres Frauenseminars, ist es mit der Gleichberechtigung immer noch nicht weit her. Im Gegenteil: Alle zehn Tage gibt es in der Schweiz einen Femizid.
Es gibt immer Rückschläge. Trotzdem glaube ich, dass heute im Vergleich zu früher auch viele Männer für Gleichberechtigung einstehen. In einem meiner Bücher untersuche ich die Bedeutung der Väter für das Bewusstsein der Töchter. Anfangs kamen zu den entsprechenden Vorträgen nur Frauen. Inzwischen hat sich das geändert. Männer wollen wissen, was sie für ihre Kinder für eine Rolle spielen. Bei vielen findet ein Umdenken statt. Vielleicht noch nicht flächendeckend, aber es werden immer mehr.
Sie sind seit über 40 Jahren mit Ihrem Partner liiert. Was ist Ihr Rezept für eine langjährige Partnerschaft?
Wir haben unterschiedliche Charaktere, Zündstoff für heftige Diskussionen. Obwohl die Rollenverteilung feststeht – er ist für das Funktionieren des alltäglichen Lebens verantwort-lich, ich schreibe Bücher und halte Vorträge –, gerät gelegentlich manches aus den Fugen. Dann geht es sehr lebhaft zu, wir streiten, versuchen einander zu verstehen, und dann versöhnen wir uns wieder.
Man sagt, ab einem gewissen Alter werde man unsichtbar.
Mir ist das nicht passiert, aber ich kenne das Phänomen von anderen. Wer darüber jammert, nie mehr eingeladen zu werden, sollte vielleicht mal über was anderes sprechen als seine Verdauung oder darüber, welche Tabletten er nimmt. Das will kein Mensch hören.
Trotzdem haben Sie Ihrem 60. Geburtstag mit einer gewissen Ambivalenz entgegengeschaut.
Das ist so. Das Wort «sechzig» ist ein Hammer. An das muss man sich gewöhnen. Ich charterte an meinem Geburtstag mit einer Hundertschaft von Frauen auf dem See ein Schiff und hatte einen schönen Tag. Aber ich muss sagen, den Alterungsprozess im Spiegel mitzuverfolgen, ist kein Vergnügen. Da hilft nur eins: nicht zu oft in den Spiegel schauen.
Mit 70 kommt die Erntezeit, wie Sie sagen. Schlägt dann das Karma zu?
Ich definiere Karma als eine Art Bumerangeffekt. Man erntet, was man gesät hat. Ich glaube, dass mit 70 die Opferrolle nicht mehr angebracht ist. Wer einsam ist, hat sich in jungen Jahren zu wenig um Freundschaften gekümmert.
Welche Phase in Ihrem Leben würden Sie gern wiederholen?
Ich kann eigentlich nur antworten, dass ich im Moment die schönste Phase in meinem Leben habe. Ich bin neugierig auf alles, was noch kommt – sowohl im Leben als auch danach. Ich bin interessiert daran, wie der Abbau dereinst verläuft. Im Moment fühle ich mich hirntechnisch überhaupt nicht reduziert. Auch wenn ich merke, dass es bestimmte körperliche Bereiche gibt, die nicht mehr so gut funktionieren wie früher.
Macht Ihnen der Gedanke an geistigen Abbau keine Angst?
Ich bezeichne mich als Intellektuelle, also als eine Frau, die denkt. Ja, klar würde ich es bedauern, wenn die Denkfähigkeit nicht mehr einwandfrei funktionierte. Aber der geistige Abbau bringt ja vielleicht auch eine bestimmte Ruhe mit sich. Man wird bedient, wenn man die Kaffeemaschine selbst nicht mehr findet.
Im Ernst: Was soll passieren, sollten Sie irgendwann geistig wirklich nicht mehr in der Lage sein, die Kaffeemaschine zu bedienen? Haben Sie sich diesbezüglich konkrete Gedanken gemacht?
Ja. Ich blicke schliesslich auf ein erfülltes Leben zurück – als ob ein grosser Regisseur dafür gesorgt hätte, dass alles nach Plan verläuft. Wenn bis jetzt alles glatt lief, gibt es keinen Grund dafür, anzunehmen, dass die letzten Meter aus dem Ruder laufen. Sie sehen, ich fühle mich gut aufgehoben.
Am Schluss Ihres Buches schreiben Sie, dass im Prinzip alles auf das Streben nach dem Sinn ausgerichtet ist.
Ich glaube, es gibt eine universelle Gültigkeit, die sagt, der Sinn im Leben besteht darin, sich weiterzuentwickeln, um wirklich ein Mensch zu werden – im weitesten und im engsten Sinn. Wenn ich Bücher schreibe, habe ich das Gefühl, dass ich etwas Sinnvolles tue. Denn meine Worte sind vielleicht ein Denkanstoss für andere.