Darum gehts
Die Schweiz ist ein Veloland. Laut dem Bundesamt für Strassen (ASTRA) sitzen 42 Prozent der Wohnbevölkerung ab 15 Jahren im Durchschnitt an 40 Tagen pro Jahr rund eine Stunde im Sattel.
Wer regelmässig und lange am Stück in die Pedale tritt, merkt bald einmal, dass neben den Beinen auch der Teil dazwischen beansprucht wird. Am häufigsten äussert sich das in Form von Kribbeln im Schritt. Penis oder Vulva «schlafen ein». Gründe sind unter anderem ein Unterbruch der Blutzirkulation oder abgedrückte Nerven.
Zahlreiche Umfragen weisen darauf hin, dass mehr als die Hälfte der Personen, die hobbymässig Mountainbike oder Rennvelo fahren, Beschwerden wie Taubheitsgefühle an Penis oder Vulva kennen und nicht selten darunter leiden. Denn mit regelmässigem Aufstehen lässt sich das Kribbeln irgendwann nicht mehr abschütteln. In Extremfällen kann es mehrere Wochen anhalten.
Wenige Quadratzentimeter tragen einen Grossteil des Gewichts
«Theoretisch ist Radfahren für Damm-, Hodensack- und Analbereich gefährdend», sagt Stefan Staudte gegenüber dem Rennvelomagazin «Tour». Staudte ist deutscher Urologe und äussert sich in zahlreichen Fachartikeln zu urologischen und gynäkologischen Risiken des Radsports. Sie sind – sagt er – hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass beim Biken wenige Quadratzentimeter des sensiblen Dammbereichs, der auf dem Sattel ruht, einen Grossteil des Körpergewichts tragen.
Zum Dammbereich gehören unter anderem Blutgefässe und Nerven, bei Männern Prostata, bei Frauen Vulva und Vagina. Gemäss Staudte kann eine vorübergehende oder auch dauerhafte Druckschädigung des Damms – neben Taubheitsgefühlen, Schmerzen und Entzündungen – zu Beschwerden beim Wasserlassen und beim Stuhlgang führen. Auch sexuelle Funktionsstörungen bei Mann und Frau seien möglich.
Der vordere Dammbereich wird vom Schambeinbogen begrenzt. Dort sei eine akute Kompression der Harnröhre, des Penisansatzes mit Schwellkörpern oder der Schamlippen und Klitoris zwischen Sattelnase und Schambeinbogen möglich, was sehr schmerzhaft sein könne.
Die gute Nachricht: Mit dem richtigen Sattel lassen sich die Beschwerden verhindern oder zumindest lindern. Staude empfiehlt drei Methoden:
Methode 1: einfach und schnell zur Vorbeugung
Die richtige Sattelbreite richtet sich unter anderem nach dem Abstand der Sitzbeinhöcker – also der beiden Knochen, auf denen man sitzt. Zum Messen legt man einen Wellkarton mit der gewellten Seite nach oben auf eine harte Unterlage, setzt sich darauf und drückt die Knochen in den Karton. Der Abdruck liefert den Basiswert, für den passenden Sattel rechnet man in der Regel zwei Zentimeter dazu. Faustregel: Je aufrechter die Haltung, desto breiter der Sattel.
Methode 2: präzise und kontrolliert bei Beschwerden
Ein sogenanntes Bike Fitting mit Druckmessung hilft noch genauer, den richtigen Sattel zu finden und Rad sowie Sitzposition perfekt abzustimmen. Dabei setzt man sich auf ein mit Sensoren ausgestattetes Velo und tritt in die Pedale. Druckbilder und Videoaufnahmen zeigen in Echtzeit, wie das Gewicht verteilt ist. So lässt sich der passende Sattel auswählen, das Rad optimal einstellen und ungünstige Haltungen vermeiden. Ein solches Fitting bietet in der Schweiz zum Beispiel Veloplus an. Kostenpunkt: rund 130 Franken.
Methode 3: einfach für unterwegs
Neben den beschriebenen Messmethoden besteht die Möglichkeit, jederzeit selbst mit zwei Handgriffen die empfohlene Sitzposition auf dem ausgewählten Sattel zu kontrollieren, und zwar mit dem 2-mal-2-Fingermanöver:
1. Sitzbeinhöcker prüfen: Schiebe zwei Finger einer Hand von der Seite unter deinen Po und erfühle deine beiden Sitzbeinhöcker. Sie sollten stabil auf dem Sattel liegen.
2. Spielraum am Damm prüfen: Taste den Damm im Schrittbereich mit zwei Fingern von vorne nach hinten ab. Die Finger sollten dabei kurz vor den After reichen und genügend Spielraum haben – je mehr Platz, desto besser.