Darum gehts
Die Autorin Rebekka Bräm sticht in ein Wespennest, als sie auf der Eltern-Plattform mal-ehrlich.ch über ihren Wunsch, per Kaiserschnitt zu entbinden, schreibt – unter anderem um «kontinent zu bleiben und meine Geschlechtsteile möglichst im Ist-Zustand zu belassen». Der Titel der Kolumne lautet «Die pränatale Rabenmutter» – und als genau das wird sie denn auf Social Media auch von diversen Frauen abgestempelt. Eine Followerin schreibt zum Instagram-Post: «Niemals würde ich mir freiwillig den Bauch aufschneiden lassen.» Eine andere meint: «Bei einem Wunschkaiserschnitt von Selbstbestimmung zu sprechen, finde ich schwierig. Letztlich betrifft diese Entscheidung nicht nur die Frau, sondern auch ihr Baby.» Es gibt aber auch andere Meinungen: «Ein Kaiserschnitt ist eine vollwertige Geburtsoption.»
In der Schweiz kommt jedes dritte Baby per Kaiserschnitt zur Welt – sie gehört damit zu den europäischen Ländern mit den höchsten Raten. Ziehen Schweizer Frauen diesen grundsätzlich einer vaginalen Geburt vor? Aus ästhetischen Gründen, aus Angst vor Geburtsschmerzen oder weil sie das Geburtsdatum wählen möchten?
Reine Wunschkaiserschnitte sind selten
Leonhard Schäffer, Chefarzt der Geburtsklinik am Kantonsspital Baden (KSB), verneint: «Die meisten Frauen wünschen sich nach wie vor eine natürliche Geburt.» Es komme nur vereinzelt vor, dass Schwangere von Beginn an und ohne medizinische Notwendigkeit einen Kaiserschnitt möchten. Und auch bei diesen Fällen stellt Schäffer infrage, ob man von einem «Wunschkaiserschnitt» sprechen könne, wie das oft getan werde: «In der Regel sind es häufiger Ängste vor der Geburt, nicht das Verfolgen eines bestimmten Lifestyles, die zum Entscheid für einen Kaiserschnitt führen.» Vor allem Frauen, die bereits einen langen Weg zur Schwangerschaft hinter sich haben oder Fehlgeburten erlebten, würden aus Angst ums Baby häufiger einen Kaiserschnitt thematisieren, sagt der Gynäkologe.
Wichtig sei, die Beweggründe zu eruieren und allfällige unbegründete Ängste zu nehmen. Reine Wunschkaiserschnitte, zum Beispiel aus praktischen Gründen, empfiehlt der Experte nicht.
Dieser Meinung ist auch Fabienne Eberhard, Co-Präsidentin der Interessengemeinschaft der Geburtshäuser Schweiz (IGGH-CH). Sie hält es für zentral, herauszufinden, weshalb eine Frau einen Kaiserschnitt möchte, und sie entsprechend zu beraten. Eberhard gibt zu bedenken: «Ein Kaiserschnitt ist nicht bloss ein kleines Schnittchen. Es handelt sich um einen mittelschweren Baucheingriff.» Aus ihrer Sicht muss die Kaiserschnitt-Rate gesenkt werden – auch mit Verweis auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese rechnet mit einer nötigen Rate von 15 bis 19 Prozent. Leonhard Schäffer vom KSB sagt dazu: «Jeder seriöse Geburtshelfer versucht, Eingriffe zu vermeiden.» Dies, obwohl Spitäler mit Kaiserschnitten mehr Geld verdienen als mit natürlichen Geburten – was Kritiker häufig als Ursache für die hohe Rate nennen. «Ein geplanter Kaiserschnitt ist tatsächlich lukrativer», gesteht Schäffer. Seriöse Geburtskliniken und -helfende seien jedoch nicht von Gewinnmaximierung getrieben.
Wenig Veränderung in den letzten 15 Jahren
Die Kaiserschnitt-Rate von rund einem Drittel ist seit gut 15 Jahren etwa gleich. Der grosse Anstieg fand zu Beginn der Nullerjahre statt. Als möglichen Grund nennt Schäffer die stärker gewichtete Patientenautonomie sowie das grössere Selbstbewusstsein der werdenden Mütter. «Die Frauen, die von Beginn an einen Kaiserschnitt möchten, sind sehr überzeugt von ihrem Entscheid.» Sie liessen sich weder von kritischen Stimmen beirren noch von Fachpersonen umstimmen.
- Die Plazenta liegt über dem inneren Muttermund
- Das Kind befindet sich in Querlage
- Bei einer Zwillingsschwangerschaft befindet sich der erste Zwilling nicht in Kopflage
- Es handelt sich um eine Schwangerschaft mit mehr als zwei Kindern
- Die Mutter leidet an aktiven Infektionen wie einer Herpes genitalis oder einer HIV-Infektion mit einer hohen Virusmenge
- Der Muttermund öffnet sich während der Geburt nicht oder nicht ausreichend
- Die Herztonkurve des Kindes deutet während der Geburt auf einen Sauerstoffmangel hin
- Die Plazenta liegt über dem inneren Muttermund
- Das Kind befindet sich in Querlage
- Bei einer Zwillingsschwangerschaft befindet sich der erste Zwilling nicht in Kopflage
- Es handelt sich um eine Schwangerschaft mit mehr als zwei Kindern
- Die Mutter leidet an aktiven Infektionen wie einer Herpes genitalis oder einer HIV-Infektion mit einer hohen Virusmenge
- Der Muttermund öffnet sich während der Geburt nicht oder nicht ausreichend
- Die Herztonkurve des Kindes deutet während der Geburt auf einen Sauerstoffmangel hin
Fabienne Eberhard sieht Wohlstand und ein hohes Sicherheitsbedürfnis als weitere Faktoren. Sie sagt: «Für eine Spontangeburt muss man nichts unterschreiben. Bei einem Kaiserschnitt hingegen werden vorgängig alle möglichen Risiken aufgelistet.» Gehe etwas schief, sei schneller ein Schuldiger oder eine Schuldige gefunden. Eberhard hat den Eindruck, einige schwangere Frauen «wollen einerseits selbstbestimmt sein, aber nicht die volle Verantwortung für die Geburt übernehmen». Horrorstorys über Geburten aus dem Umfeld würden dann ihr Übriges tun: «Sie können dazu führen, dass Frauen weniger darauf vertrauen, dass unser Körper für die Geburt gemacht ist», sagt Eberhard.
Gesundheitliche Risiken sind umstritten
Dass ein Kaiserschnitt einen Einfluss auf die Bindung zwischen Mutter und Kind hat, glauben weder Schäffer noch Eberhard. Diskutiert werden jedoch gesundheitliche Risiken: Kinder brauchen häufiger Atemhilfe, Mütter haben unter anderem ein erhöhtes Infektionsrisiko und können später unter Verwachsungen der Narbe oder Komplikationen bei einer nächsten Schwangerschaft leiden. Fabienne Eberhard sieht ausserdem für die Babys insofern einen Nachteil, als dass sie bei einem Kaiserschnitt nicht mit dem Mikrobiom der Mutter in Kontakt kommen. Das könne langfristig das Risiko für Allergien, Asthma, Adipositas, Diabetes und Zöliakie erhöhen – wobei diese Aussage nach wie vor umstritten ist. Trotzdem sagt Fabienne Eberhard: «Wollen wir solche Gesellschaftskrankheiten reduzieren, muss auch die Kaiserschnitt-Rate sinken.»
Kolumnistin Rebekka Bräm hat ihr Kind übrigens mittlerweile zur Welt gebracht – ohne Kaiserschnitt.