17 Stunden nach Schwangerschaftstest ist das Kind da
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Australierin merkte nichts:Kurz nach Schwangerschaftstest ist das Kind da

«Gravitas Suppressalis»
Warum Frauen eine Schwangerschaft verdrängen

Immer wieder erzählen Frauen davon, eine Schwangerschaft bis zur Geburt nicht bemerkt zu haben. Unglaubwürdig? Tatsächlich gibt es in der Schweiz gut 100 unbemerkte Schwangerschaften pro Jahr. Eine Expertin sagt, wer betroffen ist, und was die Konsequenzen sein können.
Publiziert: 11:16 Uhr
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Aktualisiert: 11:41 Uhr
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Frauen können eine Schwangerschaft verdrängen oder verleugnen. Sie merken erst sehr spät, dass sie schwanger sind – in Extremfällen erst bei der Geburt.
Foto: imago/Westend61

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Evelyne RollasonFreie Journalistin Service-Team

In einem Wohnwagen am Burning-Man-Festival im vergangenen August wachte eine 37-jährige Frau morgens mit starken Bauchschmerzen auf. Wenig später gebar sie dort ihr kleines Mädchen. Die Frau sagt, sie hatte keine Ahnung davon, dass sie schwanger war.

Eine ähnliche Geschichte erzählte Anfang September eine 45-jährige Britin beim TV-Sender ITV. Nach einem Langstreckenflug nach Kanada im Mai dieses Jahres hatte sie im Hotel plötzlich starke Schmerzen – und gebar auf der Toilette ein Überraschungs-Baby.

Eine 20-jährige Australierin merkte im Mai dieses Jahres erst 17 Stunden vor Geburt, dass sie schwanger war. Sie sagt, sie hätte immer ihre Periode gehabt und die Pille genommen, jedoch angenommen, sie kämpfe mit einer Gluten-Intoleranz. Beim Arztbesuch kam heraus, dass sie schwanger war.

Unbemerkte Schwangerschaften passieren öfter, als man denkt

Immer wieder kursieren Geschichten von plötzlichen Geburten – und sie passieren öfter, als man denkt. Eine «Gravitas Suppressalis» nennen Fachleute das Phänomen. Eine verdrängte Schwangerschaft, die bis zur 20. Woche nicht wahrgenommen wird. Laut swissmom.ch kommt dies in der Schweiz schätzungsweise über 100 Mal pro Jahr vor. Bei einem knappen Drittel davon passiert die Geburt des Babys ohne Vorwarnung. Die umfassendste Studie zu diesen hochgerechneten Zahlen stammt aus Deutschland, als im Jahr 2002 Mediziner 62 unbemerkte Schwangerschaften genau untersuchten.

Die leitende Ärztin vom Ambulatorium Geburtshilfe der Universitätsklinik für Frauenheilkunde am Inselspital Bern, Dr. med. Anda-Petronela Radan, kennt das Phänomen.

Blick: Man hört immer wieder Geschichten von unbemerkten Schwangerschaften – wie oft kommt das tatsächlich vor?
Anda-Petronela Radan:
Eine völlig unbemerkte Schwangerschaft bis zur Geburt ist sehr selten. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa eine von 2000 bis 2500 Schwangerschaften erst unter der Geburt entdeckt wird. Häufiger ist die Situation, dass die Schwangerschaft relativ spät – im zweiten oder dritten Trimester – erkannt wird.

Warum verdrängen Frauen eine Schwangerschaft?
Das kann unterschiedliche Gründe haben. In manchen Fällen ist es eine unbewusste Verdrängung. Zum Beispiel in belastenden Lebenssituationen oder bei Angst vor den Konsequenzen einer Schwangerschaft. In anderen Fällen liegt tatsächlich kein aktives «Verleugnen» vor, die Frau nimmt die Signale ihres Körpers anders wahr.

Gibt es bestimmte Risikogruppen?
Es gibt keine eindeutige typische Gruppe. Übergewicht kann dazu führen, dass körperliche Veränderungen – etwa ein wachsender Bauch – weniger auffallen. Auch Frauen, die bereits mehrere Kinder geboren haben, können Veränderungen im Bauchbereich anders einschätzen. Manchmal spielen auch seelische Belastungen oder schwierige Erfahrungen im Leben eine Rolle. Zum Beispiel, wenn eine Frau schon früher traumatische Erlebnisse hatte. Es kann grundsätzlich Frauen jeden Alters und in jeder Lebenssituation betreffen.

Ist der Hintergrund eher psychischer oder körperlicher Natur?
Oft handelt es sich um eine Kombination. Psychologische Faktoren wie Stress, Verdrängung oder Ängste können eine Rolle spielen. Gleichzeitig können unregelmässige Zyklen, weiterhin auftretende Blutungen oder unspezifische Symptome wie Müdigkeit oder leichte Bauchschmerzen den körperlichen Hinweis auf eine Schwangerschaft verschleiern.

Wie deuten diese Frauen typische Schwangerschaftssymptome wie ausbleibende Periode, wachsender Bauch oder Übelkeit?
Die Signale werden häufig anderen Ursachen zugeschrieben. Blutungen können als Menstruation interpretiert werden. Übelkeit wird als Magen-Darm-Beschwerden gedeutet. Gewichtszunahme oder Bauchumfang als allgemeine Gewichtszunahme. Selbst Kindsbewegungen können als Darmbewegungen oder Muskelzuckungen interpretiert werden.

Ist eine unbemerkte Schwangerschaft gefährlich für das ungeborene Baby?
Ja, potenziell. Da die Frau nicht von der Schwangerschaft weiss, verzichtet sie oft nicht auf Alkohol, Nikotin oder bestimmte Medikamente. Zudem könnten Ärztinnen und Ärzte bei Vorsorgeuntersuchungen Risiken wie Wachstumsstörungen, Lageanomalien oder Schwangerschaftsdiabetes entsprechend behandeln. Dennoch entwickeln sich viele dieser Kinder trotz der Umstände gesund – aber das Risiko für Komplikationen ist höher als bei einer regulär betreuten Schwangerschaft.

PD Dr. med. Anda Radan ist leitende Ärztin am Ambulatorium Geburtshilfe im Inselspital Bern.
Foto: PASCAL GUGLER © Insel Gruppe AG

Wie gefährlich ist eine spontane Geburt bei einer unbemerkten Schwangerschaft?
Eine unerwartete Geburt ohne medizinische Vorbereitung kann riskant sein – sowohl für die Mutter als auch für das Kind. Es fehlt die Überwachung, die medizinische Unterstützung und das Wissen um mögliche Risiken wie Blutungen oder Komplikationen bei der Geburt.

Kommt es oft zu Frühgeburten?
Nein, im Gegenteil: Viele dieser Kinder kommen zum regulären Schwangerschaftsende zur Welt. Der Eindruck einer «Frühgeburt» entsteht, weil die Frau glaubt, nicht schwanger gewesen zu sein, und plötzlich ein Kind zur Welt bringt.

Hat eine unbemerkte Schwangerschaft Auswirkungen auf die Bindung zwischen Mutter und Kind?
Sie kann die Bindungsentwicklung beeinflussen. Vor allem, wenn die Geburt ein Schock war. Manche Frauen brauchen länger, um in ihre Mutterrolle hineinzufinden. Wichtig ist Unterstützung, etwa durch Familie, Hebammen oder psychosoziale Begleitung. Ist dies gegeben, entwickeln sich die meisten Mutter-Kind-Bindungen stabil und liebevoll.

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