Darum gehts
Beinverlängerungen aus ästhetischen Gründen gelten als umstritten – der Eingriff ist hoch invasiv und mit Risiken verbunden, die lebensverändernd sein können. Trotzdem lassen sich manche junge Männer nicht davon abbringen, sich dieser Tortur zu unterziehen. Zu stark empfinden sie ihre Körpergrösse als Belastung.
Axel Becker (45), Orthopäde und Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie, führt in Freiburg im Breisgau jährlich rund 100 Beinverlängerungen für kosmetische Zwecke durch. Im Gespräch erklärt er, wie der Eingriff abläuft, welche Verfahren er verwendet und worauf es bei einer möglichst sicheren Verlängerung ankommt.
Blick: Herr Becker, was sind das für Menschen, die sich von Ihnen operieren lassen?
Axel Becker: Rund 80 Prozent sind Männer, die meisten sind Anfang zwanzig oder Mitte vierzig. Viele empfinden ihre Grösse als persönlichen Makel oder möchten ihre Proportionen harmonisieren. Es sind oft sehr präzise, analytische Menschen, die sich intensiv mit ihrem Körper auseinandersetzen.
Video: So funktioniert die ästhetische OP mit einem Marknagel mit Klickfunktion. Becker Betz Institute, Deutschland
Das klingt nach Fitnessfreaks.
Nicht ausschliesslich. Manche Patienten sind sehr muskulös und legen grossen Wert auf ihr Äusseres, andere sitzen den ganzen Tag am Computer. Während der Verlängerung beobachte ich zwei Extreme: Die Bodybuilder, die wegen ihrer rigiden Muskulatur stärker leiden und länger dehnen müssen – und die sehr beweglichen Typen, bei denen der Körper die Verlängerung erstaunlich leicht mitmacht.
Wie funktioniert die Operation?
Bei der Operation wird der Knochen gezielt durchtrennt und im Markraum ein Verlängerungsnagel eingesetzt – ein schmaler Metallstab, den ich selbst mitentwickelt habe. Er lässt sich millimeterweise auseinander drehen, jede Drehbewegung verschiebt den Stab um rund 0,05 Millimeter. Zwanzig Klicks ergeben einen Millimeter. Die Patientinnen und Patienten führen diese Bewegung selbst aus. Zwischen den durchtrennten Knochenenden wächst neues Gewebe, das mit der Zeit verknöchert.
Video: Wie ein Patient den Klickmechanismus selbst auslöst.
Wie lange dauern die Operation und die Genesung?
Für zwei Oberschenkel dauert die OP etwa zwei Stunden. Danach bleiben die Patientinnen und Patienten fünf Tage in der Klinik und anschliessend neun Tage in der Reha, wo sie lernen, eine gute tägliche Routine zu entwickeln, zu dehnen und den Klickmechanismus zu bedienen. Die Verlängerungsphase dauert je nach Zielgrösse vier bis sechs Monate, danach folgen drei bis sechs Monate Regeneration, bis man wieder normal läuft. Bis man wieder sportlich aktiv sein kann, vergeht rund ein Jahr.
Davor geht man an Krücken?
Meistens nur in den ersten vier bis sechs Wochen. Danach können sich die meisten zu Hause frei bewegen und benutzen die Stützen nur noch draussen oder auf längeren Strecken. Wichtig ist, dass die Patienten möglichst früh mobil sind – das senkt das Risiko für Thrombosen und fördert die Knochenheilung.
Wie lässt sich das mit dem Alltag vereinbaren?
Nur mit guter Planung. Ich rate, nach der Operation vier Wochen auszusetzen und dann langsam wieder zu arbeiten. Wer im Homeoffice ist, kommt gut zurecht. Mit kleinen Kindern oder körperlicher Arbeit wird es deutlich schwieriger. Der Erfolg hängt stark davon ab, wie konsequent jemand trainiert und dehnt.
Was ist das Minimum?
Zwei Stunden pro Tag. Das Training umfasst Dehnungsübungen, Gangtraining und – nach Beendigung der Verlängerung – gezielte Kräftigung. Gerade während der Verlängerungsphase ist die Dehnarbeit entscheidend, damit Muskeln und Sehnen mit der knöchernen Verlängerung Schritt halten. Über eine App kann ich genau nachvollziehen, wie regelmässig jemand trainiert und klickt. Die Patientinnen und Patienten geben dort ihre Klickzahl, ihr Schmerzlevel und ihren Fortschritt ein. So sehe ich, ob sie im Plan sind oder ob wir etwas anpassen müssen. Wer diszipliniert trainiert, hat meist weniger Schmerzen und erholt sich schneller.
Wie viel grösser kann eine Person mithilfe dieser OP werden?
Wenn man Ober- und Unterschenkel verlängert, sind insgesamt bis zu 22 Zentimeter möglich. Rund 80 Prozent entscheiden sich aber nur für den Oberschenkel. Hier sind 6 bis 8 Zentimeter eine gute Grösse – das wirkt harmonisch und bleibt ästhetisch unauffällig.
Wie wirkt sich die Vergrösserung auf das Körpergefühl aus?
Durch die Verlängerung verändern sich die Hebelkräfte im Körper, besonders im Bereich der Beine. Wenn der Oberschenkel länger wird, verschiebt sich der Schwerpunkt bei der tiefen Kniebeuge leicht nach hinten. In der Bewegung, etwa beim Aufstehen aus der Hocke, braucht man deshalb mehr Kraft in der vorderen Oberschenkelmuskulatur. Das ist anfangs spürbar, pendelt sich mit Training aber wieder ein. Viele nehmen in der Verlängerungsphase sogar ab – fünf bis sieben Kilo weniger sind keine Seltenheit.
Video: Beinverlängerung mit einem magnetischen Marknagel zu medizinischen Zwecken. Schulthess Klinik Zürich
Was wäre im Hinblick auf die Risiken das schlimmste Szenario?
Das Schlimmste wäre, wenn die Verlängerung gestoppt werden muss, weil der Knochen oder das Gewebe nicht richtig mitmacht. Dann kann sich der gesamte Prozess verzögern oder im schlimmsten Fall abbrechen. Auch Infektionen oder eine Fehlstellung des Knochens können gravierende Folgen haben. Das kommt selten vor, aber wer unvorbereitet oder zu ehrgeizig an die Sache herangeht, riskiert genau das.
Wem raten Sie von diesem Eingriff ab?
Zu ihrer eigenen Sicherheit operiere ich keine stark übergewichtigen Menschen – im Oberschenkelbereich liegt die Grenze bei 100 Kilo, im Unterschenkel bei 85 bis 90. Auch Profisportlern rate ich ab, solange sie aktiv sind, weil sich durch die veränderten Hebelkräfte das Verletzungsrisiko erhöhen kann.
Was kostet die OP?
Eine Verlängerung am Oberschenkel kostet rund 57’000 Euro, am Unterschenkel etwa 62’000. Darin enthalten sind Klinikaufenthalt, Reha, Medikamente und das Implantat selbst. Wer beide Etappen macht, also Ober- und Unterschenkel, liegt entsprechend höher. Nach Abschluss der Verlängerung dauert es nochmals einige Monate, bis sportliche Aktivitäten wie Joggen oder Skifahren wieder möglich sind.
Wie zufrieden sind Sie eigentlich mit Ihrer Körpergrösse?
Ich bin 186 Zentimeter gross und zufrieden damit.